lassen, welches ich beydes den Verfassern gelehr- ter Compendien der Psychologie überlasse; son- dern nur ganz kurz und klar sagen, was ich für den letzten Grund der Willensbestimmung halte, das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele beym Begehren und Verabscheuen geleitet werde.
Und dies ist nach meiner Meynung der Trieb des Subjekts zu seiner Erhaltung überhaupt und seines Wohlbefindens insbesondere, oder die Selbstliebe.
Aus dieser lassen sich alle Erscheinungen des menschlichen Begehrungsvermögens ungezwungen und ohne Mühe erklären, wenn man nur das Wort im natürlichen Sinn nimmt, und es nicht, wie so oft geschieht, mit Eigennutz und Selbst- sucht verwechselt. Auch die Gesinnungen und Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden in der Selbstliebe ihren Grund; denn was kann wohl für den, welcher fühlt, süßer seyn, was mehr zur Erhöhung seines Wohlbefindens beytra- gen, als für den, mit welchem sein Herz ihn in- nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben, was er hat?
Sie ist unverkennbar in den Handlungen des uneigennützigsten, und alle äußere und körperliche Güter verachtenden Stoikers; denn er setzt sein höchstes Wohlbefinden in die Erhabenheit über
das,
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laſſen, welches ich beydes den Verfaſſern gelehr- ter Compendien der Pſychologie uͤberlaſſe; ſon- dern nur ganz kurz und klar ſagen, was ich fuͤr den letzten Grund der Willensbeſtimmung halte, das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele beym Begehren und Verabſcheuen geleitet werde.
Und dies iſt nach meiner Meynung der Trieb des Subjekts zu ſeiner Erhaltung uͤberhaupt und ſeines Wohlbefindens insbeſondere, oder die Selbſtliebe.
Aus dieſer laſſen ſich alle Erſcheinungen des menſchlichen Begehrungsvermoͤgens ungezwungen und ohne Muͤhe erklaͤren, wenn man nur das Wort im natuͤrlichen Sinn nimmt, und es nicht, wie ſo oft geſchieht, mit Eigennutz und Selbſt- ſucht verwechſelt. Auch die Geſinnungen und Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden in der Selbſtliebe ihren Grund; denn was kann wohl fuͤr den, welcher fuͤhlt, ſuͤßer ſeyn, was mehr zur Erhoͤhung ſeines Wohlbefindens beytra- gen, als fuͤr den, mit welchem ſein Herz ihn in- nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben, was er hat?
Sie iſt unverkennbar in den Handlungen des uneigennuͤtzigſten, und alle aͤußere und koͤrperliche Guͤter verachtenden Stoikers; denn er ſetzt ſein hoͤchſtes Wohlbefinden in die Erhabenheit uͤber
das,
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laſſen, welches ich beydes den Verfaſſern gelehr-
ter Compendien der Pſychologie uͤberlaſſe; ſon-
dern nur ganz kurz und klar ſagen, was ich fuͤr
den letzten Grund der Willensbeſtimmung halte,
das heißt, wodurch ich glaube, daß die Seele
beym Begehren und Verabſcheuen geleitet werde.
Und dies iſt nach meiner Meynung der Trieb
des Subjekts zu ſeiner Erhaltung uͤberhaupt und
ſeines Wohlbefindens insbeſondere, oder die
Selbſtliebe.
Aus dieſer laſſen ſich alle Erſcheinungen des
menſchlichen Begehrungsvermoͤgens ungezwungen
und ohne Muͤhe erklaͤren, wenn man nur das
Wort im natuͤrlichen Sinn nimmt, und es nicht,
wie ſo oft geſchieht, mit Eigennutz und Selbſt-
ſucht verwechſelt. Auch die Geſinnungen und
Handlungen der alles aufopfernden Liebe, finden
in der Selbſtliebe ihren Grund; denn was kann
wohl fuͤr den, welcher fuͤhlt, ſuͤßer ſeyn, was
mehr zur Erhoͤhung ſeines Wohlbefindens beytra-
gen, als fuͤr den, mit welchem ſein Herz ihn in-
nig verbindet, zu dulden, zu handeln, zu geben,
was er hat?
Sie iſt unverkennbar in den Handlungen des
uneigennuͤtzigſten, und alle aͤußere und koͤrperliche
Guͤter verachtenden Stoikers; denn er ſetzt ſein
hoͤchſtes Wohlbefinden in die Erhabenheit uͤber
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/23>, abgerufen am 22.11.2024.
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