So fern der Geiz sich in der Versagung des Vergnügens und der Bequemlichkeit äußert, wird er Kargheit genannt.
Der Karge befindet sich in einer ewigen Be- denklichkeit. Er möchte so gern ein Vergnügen genießen, aber doch auch nicht gern seine Geld- börse öfnen. Er überlegt daher und überlegt, und über dem Ueberlegen geht das Vergnügen vorüber. Er freut sich herzlich und ist so zufrieden und ru- hig, wenn er sich etwas versagt, eine geldfodern- de Neigung überwunden hat. Wie weise hab' ich gehandelt, denkt er bey sich selbst, wenn die Gelegenheit, welche ihn reizte, vorbeygeeilt ist; der Genuß wäre doch nun geendigt: und ich hätte meine Batzen nicht mehr! Täglich sinnt er auf neue Methoden, seine Bedürfnisse mit noch we- niger Geldaufwand zu stillen, und ökonomischere Einrichtungen zu treffen. Es gewährt ihm eine angenehme Unterhaltung, den Aufwand Andrer nachzurechnen, und mit dem Seinigen zu verglei- chen; nur muß bey der gemachten Bilanz der Vortheil auf seiner Seite seyn; denn, wenn das Gegentheil statt findet, wird er von den heftigsten Gewissensbissen gepeinigt. Wagt er es einmal, sich ein Vergnügen für Geld zu verschaffen; so hat er hundert Gründe, sich vor seinem kargen Gewissen zu rechtfertigen, und wiederholt es, dem Scheine nach Andern, in der That aber sich
selbst,
So fern der Geiz ſich in der Verſagung des Vergnuͤgens und der Bequemlichkeit aͤußert, wird er Kargheit genannt.
Der Karge befindet ſich in einer ewigen Be- denklichkeit. Er moͤchte ſo gern ein Vergnuͤgen genießen, aber doch auch nicht gern ſeine Geld- boͤrſe oͤfnen. Er uͤberlegt daher und uͤberlegt, und uͤber dem Ueberlegen geht das Vergnuͤgen voruͤber. Er freut ſich herzlich und iſt ſo zufrieden und ru- hig, wenn er ſich etwas verſagt, eine geldfodern- de Neigung uͤberwunden hat. Wie weiſe hab' ich gehandelt, denkt er bey ſich ſelbſt, wenn die Gelegenheit, welche ihn reizte, vorbeygeeilt iſt; der Genuß waͤre doch nun geendigt: und ich haͤtte meine Batzen nicht mehr! Taͤglich ſinnt er auf neue Methoden, ſeine Beduͤrfniſſe mit noch we- niger Geldaufwand zu ſtillen, und oͤkonomiſchere Einrichtungen zu treffen. Es gewaͤhrt ihm eine angenehme Unterhaltung, den Aufwand Andrer nachzurechnen, und mit dem Seinigen zu verglei- chen; nur muß bey der gemachten Bilanz der Vortheil auf ſeiner Seite ſeyn; denn, wenn das Gegentheil ſtatt findet, wird er von den heftigſten Gewiſſensbiſſen gepeinigt. Wagt er es einmal, ſich ein Vergnuͤgen fuͤr Geld zu verſchaffen; ſo hat er hundert Gruͤnde, ſich vor ſeinem kargen Gewiſſen zu rechtfertigen, und wiederholt es, dem Scheine nach Andern, in der That aber ſich
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So fern der Geiz ſich in der Verſagung des
Vergnuͤgens und der Bequemlichkeit aͤußert, wird
er Kargheit genannt.
Der Karge befindet ſich in einer ewigen Be-
denklichkeit. Er moͤchte ſo gern ein Vergnuͤgen
genießen, aber doch auch nicht gern ſeine Geld-
boͤrſe oͤfnen. Er uͤberlegt daher und uͤberlegt, und
uͤber dem Ueberlegen geht das Vergnuͤgen voruͤber.
Er freut ſich herzlich und iſt ſo zufrieden und ru-
hig, wenn er ſich etwas verſagt, eine geldfodern-
de Neigung uͤberwunden hat. Wie weiſe hab'
ich gehandelt, denkt er bey ſich ſelbſt, wenn die
Gelegenheit, welche ihn reizte, vorbeygeeilt iſt;
der Genuß waͤre doch nun geendigt: und ich haͤtte
meine Batzen nicht mehr! Taͤglich ſinnt er auf
neue Methoden, ſeine Beduͤrfniſſe mit noch we-
niger Geldaufwand zu ſtillen, und oͤkonomiſchere
Einrichtungen zu treffen. Es gewaͤhrt ihm eine
angenehme Unterhaltung, den Aufwand Andrer
nachzurechnen, und mit dem Seinigen zu verglei-
chen; nur muß bey der gemachten Bilanz der
Vortheil auf ſeiner Seite ſeyn; denn, wenn das
Gegentheil ſtatt findet, wird er von den heftigſten
Gewiſſensbiſſen gepeinigt. Wagt er es einmal,
ſich ein Vergnuͤgen fuͤr Geld zu verſchaffen; ſo
hat er hundert Gruͤnde, ſich vor ſeinem kargen
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/196>, abgerufen am 22.11.2024.
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