Da die Verhältnißstolzen ihren Stolz auf die äußern Beziehungen, in welchen sie gegen Andre stehen, gründen; so muß ihnen natürlich auch Alles, was damit zusammenhängt, sehr wichtig erscheinen.
Man sehe den Adelstolzen. Sein "von", sein Wappen, seine Stammbäume und die adli- che Etiquette, sind ihm die wichtigsten Dinge auf Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an- ders, als in tiefster Unterthänigkeit und gehöriger Entfernung an. Seine Tochter und sein Sohn vergesse dessen, was die Natur ihnen eingiebt, und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge- sprächston unter den Gehorsam der unnatür- lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt sehr menschenfreundlich zu seyn, wenn er mit stol- zer Gnade und Gewogenheit auf einen Bürgerli- chen herabsieht, und einige -- wichtige -- Wor- te gegen ihn fallen läßt; nur muß man dies nicht von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa- milie umgeben ist, denn dann muß er ja zeigen, daß er seines Ranges würdig sey, die Hoheit des- selben fühle, und gegen Bürgerliche zu behaupten verstehe. Nur dem dringenden Geldbedürfniß opfert der Adelstolze zuweilen seinen Stolz auf. Er thut so vertraut gegen den Mann, den er sonst weit unter sich sieht, aber itzt nöthig hat; weiß sich so ganz in die Neigungen, Wünsche,
Launen
Ee 4
Da die Verhaͤltnißſtolzen ihren Stolz auf die aͤußern Beziehungen, in welchen ſie gegen Andre ſtehen, gruͤnden; ſo muß ihnen natuͤrlich auch Alles, was damit zuſammenhaͤngt, ſehr wichtig erſcheinen.
Man ſehe den Adelſtolzen. Sein „von„, ſein Wappen, ſeine Stammbaͤume und die adli- che Etiquette, ſind ihm die wichtigſten Dinge auf Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an- ders, als in tiefſter Unterthaͤnigkeit und gehoͤriger Entfernung an. Seine Tochter und ſein Sohn vergeſſe deſſen, was die Natur ihnen eingiebt, und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge- ſpraͤchston unter den Gehorſam der unnatuͤr- lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt ſehr menſchenfreundlich zu ſeyn, wenn er mit ſtol- zer Gnade und Gewogenheit auf einen Buͤrgerli- chen herabſieht, und einige — wichtige — Wor- te gegen ihn fallen laͤßt; nur muß man dies nicht von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa- milie umgeben iſt, denn dann muß er ja zeigen, daß er ſeines Ranges wuͤrdig ſey, die Hoheit deſ- ſelben fuͤhle, und gegen Buͤrgerliche zu behaupten verſtehe. Nur dem dringenden Geldbeduͤrfniß opfert der Adelſtolze zuweilen ſeinen Stolz auf. Er thut ſo vertraut gegen den Mann, den er ſonſt weit unter ſich ſieht, aber itzt noͤthig hat; weiß ſich ſo ganz in die Neigungen, Wuͤnſche,
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Da die Verhaͤltnißſtolzen ihren Stolz auf die
aͤußern Beziehungen, in welchen ſie gegen Andre
ſtehen, gruͤnden; ſo muß ihnen natuͤrlich auch
Alles, was damit zuſammenhaͤngt, ſehr wichtig
erſcheinen.
Man ſehe den Adelſtolzen. Sein „von„,
ſein Wappen, ſeine Stammbaͤume und die adli-
che Etiquette, ſind ihm die wichtigſten Dinge auf
Erden. Kein Knecht, keine Magd rede ihn an-
ders, als in tiefſter Unterthaͤnigkeit und gehoͤriger
Entfernung an. Seine Tochter und ſein Sohn
vergeſſe deſſen, was die Natur ihnen eingiebt,
und nehme Liebesbezeugungen, Bitten, Ge-
ſpraͤchston unter den Gehorſam der unnatuͤr-
lichen adlichen Mode gefangen. Er glaubt
ſehr menſchenfreundlich zu ſeyn, wenn er mit ſtol-
zer Gnade und Gewogenheit auf einen Buͤrgerli-
chen herabſieht, und einige — wichtige — Wor-
te gegen ihn fallen laͤßt; nur muß man dies nicht
von ihm fordern, wenn er mit Leuten von Fa-
milie umgeben iſt, denn dann muß er ja zeigen,
daß er ſeines Ranges wuͤrdig ſey, die Hoheit deſ-
ſelben fuͤhle, und gegen Buͤrgerliche zu behaupten
verſtehe. Nur dem dringenden Geldbeduͤrfniß
opfert der Adelſtolze zuweilen ſeinen Stolz auf.
Er thut ſo vertraut gegen den Mann, den er
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/155>, abgerufen am 23.11.2024.
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