werden. Man disputire ja nicht gründlich mit ihm, ja nicht nach den Regeln einer gesunden Lo- gik; sonst reizt man ihn die Waffen seines -- Witzes -- zu ergreifen, den Bannstrahl seiner Machtsprüche und Gemeinplätze zu schleudern, und mit selbstgefälligem Hohnlächeln die verdam- menden und zu Boden schlagenden Prädikate, "Wortkrämer, Pedant" und dergleichen auszu- sprechen. Will man ihn zum Freunde haben, so höre man seinem philosophischen -- Geschwätze -- zu, ohne ihn durch etwas anders, als Jn- terjektionen der Bewunderung und Verwunderung, Kopfnicken und ähnliche Zeichen des Erstaunens und Beyfalls zu unterbrechen; sage, ihm hörbar, einem Andern ins Ohr, welch ein großer, außer- ordentlicher Mann er sey; bemerke seine affek- tirten und nachgeäften Singularitäten, und lasse ihm bey zweifelhaften Urtheilen und verschiedenen Meynungen das votum decisivum.
So wie der Geniestolz in den Lüften fährt, und sich von Luft nährt, so kriecht der Gelehrten- oder Schulstolz im Staube und nährt sich da- von. Cicero und Aristoteles, Tertullianus und Augustinus, Donatus und Erasmus von Rotter- dam, das Corpus und der Codex und alle in alten Stil gebundene und bestäubte Folianten und Quartanten sind die Festen seines pedanti- schen Stolzes. So wie dem Geniestolzen Alles,
was
Ee 2
werden. Man diſputire ja nicht gruͤndlich mit ihm, ja nicht nach den Regeln einer geſunden Lo- gik; ſonſt reizt man ihn die Waffen ſeines — Witzes — zu ergreifen, den Bannſtrahl ſeiner Machtſpruͤche und Gemeinplaͤtze zu ſchleudern, und mit ſelbſtgefaͤlligem Hohnlaͤcheln die verdam- menden und zu Boden ſchlagenden Praͤdikate, „Wortkraͤmer, Pedant„ und dergleichen auszu- ſprechen. Will man ihn zum Freunde haben, ſo hoͤre man ſeinem philoſophiſchen — Geſchwaͤtze — zu, ohne ihn durch etwas anders, als Jn- terjektionen der Bewunderung und Verwunderung, Kopfnicken und aͤhnliche Zeichen des Erſtaunens und Beyfalls zu unterbrechen; ſage, ihm hoͤrbar, einem Andern ins Ohr, welch ein großer, außer- ordentlicher Mann er ſey; bemerke ſeine affek- tirten und nachgeaͤften Singularitaͤten, und laſſe ihm bey zweifelhaften Urtheilen und verſchiedenen Meynungen das votum deciſivum.
So wie der Genieſtolz in den Luͤften faͤhrt, und ſich von Luft naͤhrt, ſo kriecht der Gelehrten- oder Schulſtolz im Staube und naͤhrt ſich da- von. Cicero und Ariſtoteles, Tertullianus und Auguſtinus, Donatus und Eraſmus von Rotter- dam, das Corpus und der Codex und alle in alten Stil gebundene und beſtaͤubte Folianten und Quartanten ſind die Feſten ſeines pedanti- ſchen Stolzes. So wie dem Genieſtolzen Alles,
was
Ee 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="435"/><lb/>
werden. Man diſputire ja nicht <hirendition="#b">gruͤndlich</hi> mit<lb/>
ihm, ja nicht nach den Regeln einer geſunden Lo-<lb/>
gik; ſonſt reizt man ihn die Waffen ſeines —<lb/>
Witzes — zu ergreifen, den Bannſtrahl ſeiner<lb/>
Machtſpruͤche und Gemeinplaͤtze zu ſchleudern,<lb/>
und mit ſelbſtgefaͤlligem Hohnlaͤcheln die verdam-<lb/>
menden und zu Boden ſchlagenden Praͤdikate,<lb/>„Wortkraͤmer, Pedant„ und dergleichen auszu-<lb/>ſprechen. Will man ihn zum Freunde haben,<lb/>ſo hoͤre man ſeinem philoſophiſchen — Geſchwaͤtze<lb/>— zu, ohne ihn durch etwas anders, als Jn-<lb/>
terjektionen der Bewunderung und Verwunderung,<lb/>
Kopfnicken und aͤhnliche Zeichen des Erſtaunens<lb/>
und Beyfalls zu unterbrechen; ſage, ihm hoͤrbar,<lb/>
einem Andern ins Ohr, welch ein großer, außer-<lb/>
ordentlicher Mann er ſey; bemerke ſeine affek-<lb/>
tirten und nachgeaͤften Singularitaͤten, und laſſe<lb/>
ihm bey zweifelhaften Urtheilen und verſchiedenen<lb/>
Meynungen das <hirendition="#aq"><hirendition="#i">votum deciſivum</hi></hi>.</p><lb/><p>So wie der Genieſtolz in den <hirendition="#b">Luͤften</hi> faͤhrt,<lb/>
und ſich von Luft naͤhrt, ſo kriecht der Gelehrten-<lb/>
oder Schulſtolz im <hirendition="#b">Staube</hi> und naͤhrt ſich da-<lb/>
von. Cicero und Ariſtoteles, Tertullianus und<lb/>
Auguſtinus, Donatus und Eraſmus von Rotter-<lb/>
dam, das <hirendition="#aq">Corpus</hi> und der <hirendition="#aq">Codex</hi> und alle in<lb/>
alten Stil gebundene und beſtaͤubte Folianten<lb/>
und Quartanten ſind die Feſten ſeines pedanti-<lb/>ſchen Stolzes. So wie dem Genieſtolzen Alles,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Ee 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">was</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[435/0151]
werden. Man diſputire ja nicht gruͤndlich mit
ihm, ja nicht nach den Regeln einer geſunden Lo-
gik; ſonſt reizt man ihn die Waffen ſeines —
Witzes — zu ergreifen, den Bannſtrahl ſeiner
Machtſpruͤche und Gemeinplaͤtze zu ſchleudern,
und mit ſelbſtgefaͤlligem Hohnlaͤcheln die verdam-
menden und zu Boden ſchlagenden Praͤdikate,
„Wortkraͤmer, Pedant„ und dergleichen auszu-
ſprechen. Will man ihn zum Freunde haben,
ſo hoͤre man ſeinem philoſophiſchen — Geſchwaͤtze
— zu, ohne ihn durch etwas anders, als Jn-
terjektionen der Bewunderung und Verwunderung,
Kopfnicken und aͤhnliche Zeichen des Erſtaunens
und Beyfalls zu unterbrechen; ſage, ihm hoͤrbar,
einem Andern ins Ohr, welch ein großer, außer-
ordentlicher Mann er ſey; bemerke ſeine affek-
tirten und nachgeaͤften Singularitaͤten, und laſſe
ihm bey zweifelhaften Urtheilen und verſchiedenen
Meynungen das votum deciſivum.
So wie der Genieſtolz in den Luͤften faͤhrt,
und ſich von Luft naͤhrt, ſo kriecht der Gelehrten-
oder Schulſtolz im Staube und naͤhrt ſich da-
von. Cicero und Ariſtoteles, Tertullianus und
Auguſtinus, Donatus und Eraſmus von Rotter-
dam, das Corpus und der Codex und alle in
alten Stil gebundene und beſtaͤubte Folianten
und Quartanten ſind die Feſten ſeines pedanti-
ſchen Stolzes. So wie dem Genieſtolzen Alles,
was
Ee 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/151>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.