eignen Zustand bringen kann; und um so stärker, je gegenwärtiger und wichtiger man sich die Beziehung auf sein Jch vorstellt.
Wem die Natur eine reizbare und lebhafte Phantasie verlieh, des Herz wird leicht von einem Gegenstande getroffen, weil er sich schnell alles vergegenwärtigen, sich selbst bald in jedes Ver- hältniß setzen kann. Wer hingegen eine matte und träge Einbildungskraft hat, bedarf schon stär- kerer Anregungen, wenn sein Herz bewegt werden soll.
Wer bey dem Anblick der Gestirne des Him- mels nur daran denkt, wie er ihre Bewegungen und Veränderungen mit diesem oder jenem Sy- stem reimen will, und sie also als etwas von ihm ganz Abgesondertes, und blos für seinen Verstand Gehörendes betrachtet, bleibt kalt und ungerührt. Wer sie aber als empfindende Wesen ansieht, wel- che durch ihre Schönheit das Herz erfreuen, ihn sehn und an ihm Theil nehmen, der fühlt ihre Gegenwart, und stimmt in die Begeisterung ein, mit welcher Oßian zum Abendsterne redet:
"Stern der dämmernden Nacht, schön fun- kelst du in Westen, hebst dein strahlend Haupt aus deiner Wolke, wandelst stattlich deinen Hü- gel hin. Wornach blickst du auf die Haide? Die stürmenden Winde haben sich gelegt; von ferne kommt des Giesbachs Murmeln; rauschen-
de
eignen Zuſtand bringen kann; und um ſo ſtaͤrker, je gegenwaͤrtiger und wichtiger man ſich die Beziehung auf ſein Jch vorſtellt.
Wem die Natur eine reizbare und lebhafte Phantaſie verlieh, des Herz wird leicht von einem Gegenſtande getroffen, weil er ſich ſchnell alles vergegenwaͤrtigen, ſich ſelbſt bald in jedes Ver- haͤltniß ſetzen kann. Wer hingegen eine matte und traͤge Einbildungskraft hat, bedarf ſchon ſtaͤr- kerer Anregungen, wenn ſein Herz bewegt werden ſoll.
Wer bey dem Anblick der Geſtirne des Him- mels nur daran denkt, wie er ihre Bewegungen und Veraͤnderungen mit dieſem oder jenem Sy- ſtem reimen will, und ſie alſo als etwas von ihm ganz Abgeſondertes, und blos fuͤr ſeinen Verſtand Gehoͤrendes betrachtet, bleibt kalt und ungeruͤhrt. Wer ſie aber als empfindende Weſen anſieht, wel- che durch ihre Schoͤnheit das Herz erfreuen, ihn ſehn und an ihm Theil nehmen, der fuͤhlt ihre Gegenwart, und ſtimmt in die Begeiſterung ein, mit welcher Oßian zum Abendſterne redet:
„Stern der daͤmmernden Nacht, ſchoͤn fun- kelſt du in Weſten, hebſt dein ſtrahlend Haupt aus deiner Wolke, wandelſt ſtattlich deinen Huͤ- gel hin. Wornach blickſt du auf die Haide? Die ſtuͤrmenden Winde haben ſich gelegt; von ferne kommt des Giesbachs Murmeln; rauſchen-
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[299/0015]
eignen Zuſtand bringen kann; und um ſo ſtaͤrker,
je gegenwaͤrtiger und wichtiger man ſich die
Beziehung auf ſein Jch vorſtellt.
Wem die Natur eine reizbare und lebhafte
Phantaſie verlieh, des Herz wird leicht von einem
Gegenſtande getroffen, weil er ſich ſchnell alles
vergegenwaͤrtigen, ſich ſelbſt bald in jedes Ver-
haͤltniß ſetzen kann. Wer hingegen eine matte
und traͤge Einbildungskraft hat, bedarf ſchon ſtaͤr-
kerer Anregungen, wenn ſein Herz bewegt werden
ſoll.
Wer bey dem Anblick der Geſtirne des Him-
mels nur daran denkt, wie er ihre Bewegungen
und Veraͤnderungen mit dieſem oder jenem Sy-
ſtem reimen will, und ſie alſo als etwas von ihm
ganz Abgeſondertes, und blos fuͤr ſeinen Verſtand
Gehoͤrendes betrachtet, bleibt kalt und ungeruͤhrt.
Wer ſie aber als empfindende Weſen anſieht, wel-
che durch ihre Schoͤnheit das Herz erfreuen, ihn
ſehn und an ihm Theil nehmen, der fuͤhlt ihre
Gegenwart, und ſtimmt in die Begeiſterung ein,
mit welcher Oßian zum Abendſterne redet:
„Stern der daͤmmernden Nacht, ſchoͤn fun-
kelſt du in Weſten, hebſt dein ſtrahlend Haupt
aus deiner Wolke, wandelſt ſtattlich deinen Huͤ-
gel hin. Wornach blickſt du auf die Haide?
Die ſtuͤrmenden Winde haben ſich gelegt; von
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/15>, abgerufen am 23.11.2024.
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