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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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schwatzen und Tadeln Andrer, besonders gegen
ihre treuen Toilettenmädchen und andre gemeine
Weiber, von welchen sie keine Concurrenz be-
fürchten, sind charakteristische Eigenthümlichkeiten
ihrer Aeußerungen, und überhaupt sind in ih-
rem Herzen und Munde alle die Eigenschaften,
welche man bey Handels- und Handwerksleuten,
die auf Gewinn ausgehen, unter dem Namen des
Brodtneides zusammenfaßt.

Der geistige Stolz gründet sich entweder
auf Talent oder auf Gelehrsamkeit. Sonst
war diese Art des geistigen Stolzes gemeiner, jetzt
ist es jene, weil man, um als Genie zu erschei-
nen, nicht nöthig hat, mit vieler Mühe zu lernen,
wovon man in unsern Tagen nicht viel hält.

Um sich als talentvollen Mann, als Genie
zu zeigen, ist nothwendig, daß man sich in allem,
was hierauf Beziehung hat, von Andern unter-
scheide. Daher sind die Urtheile des Geniestol-
zen paradox, sein Aeußeres auffallend, seine
Meynungen beständig denen der Andern entgegen.
Alles Gewöhnliche ist ihm Unsinn, und er läßt
keine Gelegenheit vorbey, wo er durch den An-
griff allgemeiner und gewöhnlicher Meynungen zei-
gen kann, daß er ein besondrer und ungewöhnli-
cher Kopf sey. Aber so sehr originell und frey
er scheinen will; so wenig ist er es. Er äffet
alles nach, was er von einem als Genie aner-

kannten
Ee

ſchwatzen und Tadeln Andrer, beſonders gegen
ihre treuen Toilettenmaͤdchen und andre gemeine
Weiber, von welchen ſie keine Concurrenz be-
fuͤrchten, ſind charakteriſtiſche Eigenthuͤmlichkeiten
ihrer Aeußerungen, und uͤberhaupt ſind in ih-
rem Herzen und Munde alle die Eigenſchaften,
welche man bey Handels- und Handwerksleuten,
die auf Gewinn ausgehen, unter dem Namen des
Brodtneides zuſammenfaßt.

Der geiſtige Stolz gruͤndet ſich entweder
auf Talent oder auf Gelehrſamkeit. Sonſt
war dieſe Art des geiſtigen Stolzes gemeiner, jetzt
iſt es jene, weil man, um als Genie zu erſchei-
nen, nicht noͤthig hat, mit vieler Muͤhe zu lernen,
wovon man in unſern Tagen nicht viel haͤlt.

Um ſich als talentvollen Mann, als Genie
zu zeigen, iſt nothwendig, daß man ſich in allem,
was hierauf Beziehung hat, von Andern unter-
ſcheide. Daher ſind die Urtheile des Genieſtol-
zen paradox, ſein Aeußeres auffallend, ſeine
Meynungen beſtaͤndig denen der Andern entgegen.
Alles Gewoͤhnliche iſt ihm Unſinn, und er laͤßt
keine Gelegenheit vorbey, wo er durch den An-
griff allgemeiner und gewoͤhnlicher Meynungen zei-
gen kann, daß er ein beſondrer und ungewoͤhnli-
cher Kopf ſey. Aber ſo ſehr originell und frey
er ſcheinen will; ſo wenig iſt er es. Er aͤffet
alles nach, was er von einem als Genie aner-

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[433/0149] ſchwatzen und Tadeln Andrer, beſonders gegen ihre treuen Toilettenmaͤdchen und andre gemeine Weiber, von welchen ſie keine Concurrenz be- fuͤrchten, ſind charakteriſtiſche Eigenthuͤmlichkeiten ihrer Aeußerungen, und uͤberhaupt ſind in ih- rem Herzen und Munde alle die Eigenſchaften, welche man bey Handels- und Handwerksleuten, die auf Gewinn ausgehen, unter dem Namen des Brodtneides zuſammenfaßt. Der geiſtige Stolz gruͤndet ſich entweder auf Talent oder auf Gelehrſamkeit. Sonſt war dieſe Art des geiſtigen Stolzes gemeiner, jetzt iſt es jene, weil man, um als Genie zu erſchei- nen, nicht noͤthig hat, mit vieler Muͤhe zu lernen, wovon man in unſern Tagen nicht viel haͤlt. Um ſich als talentvollen Mann, als Genie zu zeigen, iſt nothwendig, daß man ſich in allem, was hierauf Beziehung hat, von Andern unter- ſcheide. Daher ſind die Urtheile des Genieſtol- zen paradox, ſein Aeußeres auffallend, ſeine Meynungen beſtaͤndig denen der Andern entgegen. Alles Gewoͤhnliche iſt ihm Unſinn, und er laͤßt keine Gelegenheit vorbey, wo er durch den An- griff allgemeiner und gewoͤhnlicher Meynungen zei- gen kann, daß er ein beſondrer und ungewoͤhnli- cher Kopf ſey. Aber ſo ſehr originell und frey er ſcheinen will; ſo wenig iſt er es. Er aͤffet alles nach, was er von einem als Genie aner- kannten Ee

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/149>, abgerufen am 25.11.2024.