glaube, daß uns die Art und die Gesetze der gött- lichen Wirksamkeit an sich selbst unbekannt sind, und daher eine Vergleichung zwischen derselben und unsrer Seele nicht gut möglich seyn möchte.
So wie ich itzt die Sache ansehe, scheint mir vielmehr die Meinung wahrscheinlicher zu seyn, nach welcher die Seele im tiefen, ruhigen Schlaf, d. h. demjenigen Zustand, wo alle Or- gane des äußern und innern Sinnes unbewegt ruhen, ohne Vorstellungen ist. Denn es ist keine einzige Erfahrung, welche das Gegentheil unwiderleglich bewiese; hingegen mehrere, welche die Meinung wahrscheinlich machen, daß zur Her- vorbringung vollkommner Vorstellungen in dem Menschen die Seele die Empfindungswerkzeuge des Körpers, gleichsam als Träger oder Ablieferer ihrer Vorstellungen, nöthig habe. Sobald man anfängt zu ermüden, mithin die Sinnesorgane zum Dienst der Seele träger werden, fangen auch die Vorstellungen an matter und unmerkbarer zu werden: und von dem Augenblick des Einschla- fens weiß man nichts, auch wenn man sich noch so fest vornahm, ihn zu bemerken. Jn einem betäubenden Schmerze, wo man alle Sin- ne verschließt, um auf keinem Wege etwas einzulassen, weil man von allem Vermehrung der Pein fürchtet, weiß man nichts von sich, weder in dem gegenwärtigen Augenblicke, noch nachher.
Ja
glaube, daß uns die Art und die Geſetze der goͤtt- lichen Wirkſamkeit an ſich ſelbſt unbekannt ſind, und daher eine Vergleichung zwiſchen derſelben und unſrer Seele nicht gut moͤglich ſeyn moͤchte.
So wie ich itzt die Sache anſehe, ſcheint mir vielmehr die Meinung wahrſcheinlicher zu ſeyn, nach welcher die Seele im tiefen, ruhigen Schlaf, d. h. demjenigen Zuſtand, wo alle Or- gane des aͤußern und innern Sinnes unbewegt ruhen, ohne Vorſtellungen iſt. Denn es iſt keine einzige Erfahrung, welche das Gegentheil unwiderleglich bewieſe; hingegen mehrere, welche die Meinung wahrſcheinlich machen, daß zur Her- vorbringung vollkommner Vorſtellungen in dem Menſchen die Seele die Empfindungswerkzeuge des Koͤrpers, gleichſam als Traͤger oder Ablieferer ihrer Vorſtellungen, noͤthig habe. Sobald man anfaͤngt zu ermuͤden, mithin die Sinnesorgane zum Dienſt der Seele traͤger werden, fangen auch die Vorſtellungen an matter und unmerkbarer zu werden: und von dem Augenblick des Einſchla- fens weiß man nichts, auch wenn man ſich noch ſo feſt vornahm, ihn zu bemerken. Jn einem betaͤubenden Schmerze, wo man alle Sin- ne verſchließt, um auf keinem Wege etwas einzulaſſen, weil man von allem Vermehrung der Pein fuͤrchtet, weiß man nichts von ſich, weder in dem gegenwaͤrtigen Augenblicke, noch nachher.
Ja
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glaube, daß uns die Art und die Geſetze der goͤtt-
lichen Wirkſamkeit an ſich ſelbſt unbekannt ſind,
und daher eine Vergleichung zwiſchen derſelben
und unſrer Seele nicht gut moͤglich ſeyn moͤchte.
So wie ich itzt die Sache anſehe, ſcheint mir
vielmehr die Meinung wahrſcheinlicher zu ſeyn,
nach welcher die Seele im tiefen, ruhigen
Schlaf, d. h. demjenigen Zuſtand, wo alle Or-
gane des aͤußern und innern Sinnes unbewegt
ruhen, ohne Vorſtellungen iſt. Denn es iſt
keine einzige Erfahrung, welche das Gegentheil
unwiderleglich bewieſe; hingegen mehrere, welche
die Meinung wahrſcheinlich machen, daß zur Her-
vorbringung vollkommner Vorſtellungen in dem
Menſchen die Seele die Empfindungswerkzeuge
des Koͤrpers, gleichſam als Traͤger oder Ablieferer
ihrer Vorſtellungen, noͤthig habe. Sobald man
anfaͤngt zu ermuͤden, mithin die Sinnesorgane
zum Dienſt der Seele traͤger werden, fangen auch
die Vorſtellungen an matter und unmerkbarer zu
werden: und von dem Augenblick des Einſchla-
fens weiß man nichts, auch wenn man ſich noch
ſo feſt vornahm, ihn zu bemerken. Jn einem
betaͤubenden Schmerze, wo man alle Sin-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/90>, abgerufen am 24.11.2024.
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