Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

men, die sein Aberglaube ihn als die Urheber sei-
nes Glücks oder Unglücks ansehen läßt. Das
heißeste Klima ist in seinen Wirkungen dem kälte-
sten
ähnlich. Hier macht die Derbheit der Ner-
ven, dort die Schlaffheit derselben den Menschen
unempfindlich. Der Nordpol stählt ihn, der
heißeste Süden schläfert ihn ein. Er thut und
denkt, hier so wenig, als dort, mehr, als nöthig ist,
ihn nicht verhungern zu lassen: und wo die Natur
auch dies für ihn thut, ist sein ganzes Leben ein
unthätiger Schlummer. Die gedankenleere Mi-
ne der Südamerikaner, sagt Robertson in seiner
vortrefflichen Geschichte von Amerika, ihr starrer,
unbedeutender Blick, ihre leblose Unachtsamkeit,
und ihre gänzliche Unwissenheit in Dingen, wo-
mit die Gedanken vernünftiger Wesen sich am er-
sten beschäfftigen sollten, machten auf die Spa-
nier, als sie diese rohen Leute zum erstenmal sahen,
einen solchen Eindruck, daß sie dieselben für Thiere
einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben
konnten, daß sie zum Menschengeschlechte gehör-
ten. Man mußte das Ansehn einer päbstlichen
Bulle anwenden, um diesen Wahn zu tilgen, und
die Spanier davon zu überzeugen, daß die Ame-
rikaner zu den Geschäfften der Menschheit fähig
und zu ihren Privilegien berechtigt seyen. Der
klarste Beweis von der sehr geringen Regsamkeit
und Trägheit der Jmagination in den rohen Ein-

woh-
D 2

men, die ſein Aberglaube ihn als die Urheber ſei-
nes Gluͤcks oder Ungluͤcks anſehen laͤßt. Das
heißeſte Klima iſt in ſeinen Wirkungen dem kaͤlte-
ſten
aͤhnlich. Hier macht die Derbheit der Ner-
ven, dort die Schlaffheit derſelben den Menſchen
unempfindlich. Der Nordpol ſtaͤhlt ihn, der
heißeſte Suͤden ſchlaͤfert ihn ein. Er thut und
denkt, hier ſo wenig, als dort, mehr, als noͤthig iſt,
ihn nicht verhungern zu laſſen: und wo die Natur
auch dies fuͤr ihn thut, iſt ſein ganzes Leben ein
unthaͤtiger Schlummer. Die gedankenleere Mi-
ne der Suͤdamerikaner, ſagt Robertſon in ſeiner
vortrefflichen Geſchichte von Amerika, ihr ſtarrer,
unbedeutender Blick, ihre lebloſe Unachtſamkeit,
und ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit in Dingen, wo-
mit die Gedanken vernuͤnftiger Weſen ſich am er-
ſten beſchaͤfftigen ſollten, machten auf die Spa-
nier, als ſie dieſe rohen Leute zum erſtenmal ſahen,
einen ſolchen Eindruck, daß ſie dieſelben fuͤr Thiere
einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben
konnten, daß ſie zum Menſchengeſchlechte gehoͤr-
ten. Man mußte das Anſehn einer paͤbſtlichen
Bulle anwenden, um dieſen Wahn zu tilgen, und
die Spanier davon zu uͤberzeugen, daß die Ame-
rikaner zu den Geſchaͤfften der Menſchheit faͤhig
und zu ihren Privilegien berechtigt ſeyen. Der
klarſte Beweis von der ſehr geringen Regſamkeit
und Traͤgheit der Jmagination in den rohen Ein-

woh-
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="51"/>
men, die &#x017F;ein Aberglaube ihn als die Urheber &#x017F;ei-<lb/>
nes Glu&#x0364;cks oder Unglu&#x0364;cks an&#x017F;ehen la&#x0364;ßt. Das<lb/>
heiße&#x017F;te Klima i&#x017F;t in &#x017F;einen <hi rendition="#b">Wirkungen</hi> dem <hi rendition="#b">ka&#x0364;lte-<lb/>
&#x017F;ten</hi> a&#x0364;hnlich. Hier macht die Derbheit der Ner-<lb/>
ven, dort die Schlaffheit der&#x017F;elben den Men&#x017F;chen<lb/>
unempfindlich. Der Nordpol &#x017F;ta&#x0364;hlt ihn, der<lb/>
heiße&#x017F;te Su&#x0364;den &#x017F;chla&#x0364;fert ihn ein. Er thut und<lb/>
denkt, hier &#x017F;o wenig, als dort, mehr, als no&#x0364;thig i&#x017F;t,<lb/>
ihn nicht verhungern zu la&#x017F;&#x017F;en: und wo die Natur<lb/>
auch dies fu&#x0364;r ihn thut, i&#x017F;t &#x017F;ein ganzes Leben ein<lb/>
untha&#x0364;tiger Schlummer. Die gedankenleere Mi-<lb/>
ne der Su&#x0364;damerikaner, &#x017F;agt Robert&#x017F;on in &#x017F;einer<lb/>
vortrefflichen Ge&#x017F;chichte von Amerika, ihr &#x017F;tarrer,<lb/>
unbedeutender Blick, ihre leblo&#x017F;e Unacht&#x017F;amkeit,<lb/>
und ihre ga&#x0364;nzliche Unwi&#x017F;&#x017F;enheit in Dingen, wo-<lb/>
mit die Gedanken vernu&#x0364;nftiger We&#x017F;en &#x017F;ich am er-<lb/>
&#x017F;ten be&#x017F;cha&#x0364;fftigen &#x017F;ollten, machten auf die Spa-<lb/>
nier, als &#x017F;ie die&#x017F;e rohen Leute zum er&#x017F;tenmal &#x017F;ahen,<lb/>
einen &#x017F;olchen Eindruck, daß &#x017F;ie die&#x017F;elben fu&#x0364;r Thiere<lb/>
einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben<lb/>
konnten, daß &#x017F;ie zum Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechte geho&#x0364;r-<lb/>
ten. Man mußte das An&#x017F;ehn einer pa&#x0364;b&#x017F;tlichen<lb/>
Bulle anwenden, um die&#x017F;en Wahn zu tilgen, und<lb/>
die Spanier davon zu u&#x0364;berzeugen, daß die Ame-<lb/>
rikaner zu den Ge&#x017F;cha&#x0364;fften der Men&#x017F;chheit fa&#x0364;hig<lb/>
und zu ihren Privilegien berechtigt &#x017F;eyen. Der<lb/>
klar&#x017F;te Beweis von der &#x017F;ehr geringen Reg&#x017F;amkeit<lb/>
und Tra&#x0364;gheit der Jmagination in den rohen Ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">woh-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0075] men, die ſein Aberglaube ihn als die Urheber ſei- nes Gluͤcks oder Ungluͤcks anſehen laͤßt. Das heißeſte Klima iſt in ſeinen Wirkungen dem kaͤlte- ſten aͤhnlich. Hier macht die Derbheit der Ner- ven, dort die Schlaffheit derſelben den Menſchen unempfindlich. Der Nordpol ſtaͤhlt ihn, der heißeſte Suͤden ſchlaͤfert ihn ein. Er thut und denkt, hier ſo wenig, als dort, mehr, als noͤthig iſt, ihn nicht verhungern zu laſſen: und wo die Natur auch dies fuͤr ihn thut, iſt ſein ganzes Leben ein unthaͤtiger Schlummer. Die gedankenleere Mi- ne der Suͤdamerikaner, ſagt Robertſon in ſeiner vortrefflichen Geſchichte von Amerika, ihr ſtarrer, unbedeutender Blick, ihre lebloſe Unachtſamkeit, und ihre gaͤnzliche Unwiſſenheit in Dingen, wo- mit die Gedanken vernuͤnftiger Weſen ſich am er- ſten beſchaͤfftigen ſollten, machten auf die Spa- nier, als ſie dieſe rohen Leute zum erſtenmal ſahen, einen ſolchen Eindruck, daß ſie dieſelben fuͤr Thiere einer niedrigen Art hielten, und nicht glauben konnten, daß ſie zum Menſchengeſchlechte gehoͤr- ten. Man mußte das Anſehn einer paͤbſtlichen Bulle anwenden, um dieſen Wahn zu tilgen, und die Spanier davon zu uͤberzeugen, daß die Ame- rikaner zu den Geſchaͤfften der Menſchheit faͤhig und zu ihren Privilegien berechtigt ſeyen. Der klarſte Beweis von der ſehr geringen Regſamkeit und Traͤgheit der Jmagination in den rohen Ein- woh- D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/75
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/75>, abgerufen am 25.11.2024.