Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit unauslöschlichen Zügen prägte sich das
Bild des stolzen Tarquins, der die römische Frei-
heit entheiligte, und eine römische Matrone schän-
dete, in das Herz des patriotischen Bürgers; indeß
neben demselben, eben so unauslöschlich, eines Bru-
tus Gerechtigkeit glänzte.

Nur mit matten Farben mahlt sich in dem
Bürger Deutschlands das Erdbeben, welches
Länder und Städte in Ruinen zusammen warf;
indeß der unglückliche Calabrese noch oft vor dem-
selben schaudert.

Was man sieht, prägt sich tiefer ein, als
was von den übrigen Sinnen vernommen wird;
darum hält die Jmagination das Bild des ewigen
Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Händel-
sches Meisterconcert schon lange entschlüpft ist. --

Nichts ist dem, welcher sich in dem Lande
der Träume am besten gefällt, erwünschter, als
Dunkelheit und Stille. Da stört ihn nichts in
seiner chimärischen Wirksamkeit: da läßt kein
Sonnenstrahl seine Juno in Nebel zergehen: da
straft kein Laut eines wirklichen Menschen seine
gaucklerische Einbildungskraft Lügen. -- Daß
Gespenster und Teufel nur im Finstern herum-
schleichen dürften, ist eine eitle Erdichtung; sie
haben das Recht am Mittag so gut, als in der
Mitternachtsstunde zu spuken; nur daß, sobald
der Hahn zu krähen anfängt, das Geklirr ihrer

Ketten

Mit unausloͤſchlichen Zuͤgen praͤgte ſich das
Bild des ſtolzen Tarquins, der die roͤmiſche Frei-
heit entheiligte, und eine roͤmiſche Matrone ſchaͤn-
dete, in das Herz des patriotiſchen Buͤrgers; indeß
neben demſelben, eben ſo unausloͤſchlich, eines Bru-
tus Gerechtigkeit glaͤnzte.

Nur mit matten Farben mahlt ſich in dem
Buͤrger Deutſchlands das Erdbeben, welches
Laͤnder und Staͤdte in Ruinen zuſammen warf;
indeß der ungluͤckliche Calabreſe noch oft vor dem-
ſelben ſchaudert.

Was man ſieht, praͤgt ſich tiefer ein, als
was von den uͤbrigen Sinnen vernommen wird;
darum haͤlt die Jmagination das Bild des ewigen
Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Haͤndel-
ſches Meiſterconcert ſchon lange entſchluͤpft iſt. —

Nichts iſt dem, welcher ſich in dem Lande
der Traͤume am beſten gefaͤllt, erwuͤnſchter, als
Dunkelheit und Stille. Da ſtoͤrt ihn nichts in
ſeiner chimaͤriſchen Wirkſamkeit: da laͤßt kein
Sonnenſtrahl ſeine Juno in Nebel zergehen: da
ſtraft kein Laut eines wirklichen Menſchen ſeine
gauckleriſche Einbildungskraft Luͤgen. — Daß
Geſpenſter und Teufel nur im Finſtern herum-
ſchleichen duͤrften, iſt eine eitle Erdichtung; ſie
haben das Recht am Mittag ſo gut, als in der
Mitternachtsſtunde zu ſpuken; nur daß, ſobald
der Hahn zu kraͤhen anfaͤngt, das Geklirr ihrer

Ketten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0070" n="46"/>
          <p>Mit unauslo&#x0364;&#x017F;chlichen Zu&#x0364;gen pra&#x0364;gte &#x017F;ich das<lb/>
Bild des &#x017F;tolzen Tarquins, der die ro&#x0364;mi&#x017F;che Frei-<lb/>
heit entheiligte, und eine ro&#x0364;mi&#x017F;che Matrone &#x017F;cha&#x0364;n-<lb/>
dete, in das Herz des patrioti&#x017F;chen Bu&#x0364;rgers; indeß<lb/>
neben dem&#x017F;elben, eben &#x017F;o unauslo&#x0364;&#x017F;chlich, eines Bru-<lb/>
tus Gerechtigkeit gla&#x0364;nzte.</p><lb/>
          <p>Nur mit matten Farben mahlt &#x017F;ich in dem<lb/>
Bu&#x0364;rger Deut&#x017F;chlands das Erdbeben, welches<lb/>
La&#x0364;nder und Sta&#x0364;dte in Ruinen zu&#x017F;ammen warf;<lb/>
indeß der unglu&#x0364;ckliche Calabre&#x017F;e noch oft vor dem-<lb/>
&#x017F;elben &#x017F;chaudert.</p><lb/>
          <p>Was man &#x017F;ieht, pra&#x0364;gt &#x017F;ich tiefer ein, als<lb/>
was von den u&#x0364;brigen Sinnen vernommen wird;<lb/>
darum ha&#x0364;lt die Jmagination das Bild des ewigen<lb/>
Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Ha&#x0364;ndel-<lb/>
&#x017F;ches Mei&#x017F;terconcert &#x017F;chon lange ent&#x017F;chlu&#x0364;pft i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nichts i&#x017F;t dem, welcher &#x017F;ich in dem Lande<lb/>
der Tra&#x0364;ume am be&#x017F;ten gefa&#x0364;llt, erwu&#x0364;n&#x017F;chter, als<lb/>
Dunkelheit und Stille. Da &#x017F;to&#x0364;rt ihn nichts in<lb/>
&#x017F;einer chima&#x0364;ri&#x017F;chen Wirk&#x017F;amkeit: da la&#x0364;ßt kein<lb/>
Sonnen&#x017F;trahl &#x017F;eine Juno in Nebel zergehen: da<lb/>
&#x017F;traft kein Laut eines wirklichen Men&#x017F;chen &#x017F;eine<lb/>
gauckleri&#x017F;che Einbildungskraft Lu&#x0364;gen. &#x2014; Daß<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;ter und Teufel nur im Fin&#x017F;tern herum-<lb/>
&#x017F;chleichen du&#x0364;rften, i&#x017F;t eine eitle Erdichtung; &#x017F;ie<lb/>
haben das Recht am Mittag &#x017F;o gut, als in der<lb/>
Mitternachts&#x017F;tunde zu &#x017F;puken; nur daß, &#x017F;obald<lb/>
der Hahn zu kra&#x0364;hen anfa&#x0364;ngt, das Geklirr ihrer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ketten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0070] Mit unausloͤſchlichen Zuͤgen praͤgte ſich das Bild des ſtolzen Tarquins, der die roͤmiſche Frei- heit entheiligte, und eine roͤmiſche Matrone ſchaͤn- dete, in das Herz des patriotiſchen Buͤrgers; indeß neben demſelben, eben ſo unausloͤſchlich, eines Bru- tus Gerechtigkeit glaͤnzte. Nur mit matten Farben mahlt ſich in dem Buͤrger Deutſchlands das Erdbeben, welches Laͤnder und Staͤdte in Ruinen zuſammen warf; indeß der ungluͤckliche Calabreſe noch oft vor dem- ſelben ſchaudert. Was man ſieht, praͤgt ſich tiefer ein, als was von den uͤbrigen Sinnen vernommen wird; darum haͤlt die Jmagination das Bild des ewigen Vaters von Angelo noch, wenn ihr ein Haͤndel- ſches Meiſterconcert ſchon lange entſchluͤpft iſt. — Nichts iſt dem, welcher ſich in dem Lande der Traͤume am beſten gefaͤllt, erwuͤnſchter, als Dunkelheit und Stille. Da ſtoͤrt ihn nichts in ſeiner chimaͤriſchen Wirkſamkeit: da laͤßt kein Sonnenſtrahl ſeine Juno in Nebel zergehen: da ſtraft kein Laut eines wirklichen Menſchen ſeine gauckleriſche Einbildungskraft Luͤgen. — Daß Geſpenſter und Teufel nur im Finſtern herum- ſchleichen duͤrften, iſt eine eitle Erdichtung; ſie haben das Recht am Mittag ſo gut, als in der Mitternachtsſtunde zu ſpuken; nur daß, ſobald der Hahn zu kraͤhen anfaͤngt, das Geklirr ihrer Ketten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/70
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/70>, abgerufen am 02.05.2024.