Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

gen und fassen kann. So stand gewiß der üppi-
ge Polemo, als er vom nächtlichen Schmause
kommend, in die offne Thür der Akademie ging,
und Xenokrates, der ihn erblickte, sein Thema ver-
ließ, und von Mäßigkeit und Sittsamkeit redete,
mehrere Augenblicke bewußtlos da, bis endlich seine
Seele von der Menge der Eindrücke, unter wel-
chen sie erdrückt wurde, einige zu Vorstellungen
verklärte, und nun Polemo die Kränze des Ba-
chus vom Haupt riß, und seine nackten Arme un-
ter dem Mantel verbarg. --

So blieb Aeneas, als der Götterbote, der
mit einemmale erschien, (inuadit) von ihm schied,
(medio sermone reliquit) und ihm den Willen
Jupiters verkündete, von der geliebten Dido sich
zu trennen, in bewußtloser Betäubung zurück --
(adspectu obmutuit amens) denn der Gedanke
an die Beleidigung der Götter und die Liebe zur Kö-
nigin Carthagos unterdrückten seine Seele.

So brach gewiß manches Lesers Bewußtseyn
auf einige Momente ab, mit den starken Worten
des Dichters der Messiade, in welchen er den
Tod des Erlösers schildert --

Vater, (sprach er) in deine Hände befehl' ich
meine Seele!
Drauf -- (Gott, Mittler, erbarme dich unser!)
Es ist vollendet --
Und er neigte sein Haupt, und starb. --

Jn
B 4

gen und faſſen kann. So ſtand gewiß der uͤppi-
ge Polemo, als er vom naͤchtlichen Schmauſe
kommend, in die offne Thuͤr der Akademie ging,
und Xenokrates, der ihn erblickte, ſein Thema ver-
ließ, und von Maͤßigkeit und Sittſamkeit redete,
mehrere Augenblicke bewußtlos da, bis endlich ſeine
Seele von der Menge der Eindruͤcke, unter wel-
chen ſie erdruͤckt wurde, einige zu Vorſtellungen
verklaͤrte, und nun Polemo die Kraͤnze des Ba-
chus vom Haupt riß, und ſeine nackten Arme un-
ter dem Mantel verbarg. —

So blieb Aeneas, als der Goͤtterbote, der
mit einemmale erſchien, (inuadit) von ihm ſchied,
(medio ſermone reliquit) und ihm den Willen
Jupiters verkuͤndete, von der geliebten Dido ſich
zu trennen, in bewußtloſer Betaͤubung zuruͤck —
(adſpectu obmutuit amens) denn der Gedanke
an die Beleidigung der Goͤtter und die Liebe zur Koͤ-
nigin Carthagos unterdruͤckten ſeine Seele.

So brach gewiß manches Leſers Bewußtſeyn
auf einige Momente ab, mit den ſtarken Worten
des Dichters der Meſſiade, in welchen er den
Tod des Erloͤſers ſchildert —

Vater, (ſprach er) in deine Haͤnde befehl' ich
meine Seele!
Drauf — (Gott, Mittler, erbarme dich unſer!)
Es iſt vollendet —
Und er neigte ſein Haupt, und ſtarb. —

Jn
B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0047" n="23"/>
gen und fa&#x017F;&#x017F;en kann. So &#x017F;tand gewiß der u&#x0364;ppi-<lb/>
ge Polemo, als er vom na&#x0364;chtlichen Schmau&#x017F;e<lb/>
kommend, in die offne Thu&#x0364;r der Akademie ging,<lb/>
und Xenokrates, der ihn erblickte, &#x017F;ein Thema ver-<lb/>
ließ, und von Ma&#x0364;ßigkeit und Sitt&#x017F;amkeit redete,<lb/>
mehrere Augenblicke bewußtlos da, bis endlich &#x017F;eine<lb/>
Seele von der Menge der Eindru&#x0364;cke, unter wel-<lb/>
chen &#x017F;ie erdru&#x0364;ckt wurde, einige zu Vor&#x017F;tellungen<lb/>
verkla&#x0364;rte, und nun Polemo die Kra&#x0364;nze des Ba-<lb/>
chus vom Haupt riß, und &#x017F;eine nackten Arme un-<lb/>
ter dem Mantel verbarg. &#x2014;</p><lb/>
            <p>So blieb Aeneas, als der Go&#x0364;tterbote, der<lb/>
mit einemmale er&#x017F;chien, (<hi rendition="#aq">inuadit</hi>) von ihm &#x017F;chied,<lb/>
(<hi rendition="#aq">medio &#x017F;ermone reliquit</hi>) und ihm den Willen<lb/>
Jupiters verku&#x0364;ndete, von der geliebten Dido &#x017F;ich<lb/>
zu trennen, in bewußtlo&#x017F;er Beta&#x0364;ubung zuru&#x0364;ck &#x2014;<lb/>
(<hi rendition="#aq">ad&#x017F;pectu obmutuit amens</hi>) denn der Gedanke<lb/>
an die Beleidigung der Go&#x0364;tter und die Liebe zur Ko&#x0364;-<lb/>
nigin Carthagos unterdru&#x0364;ckten &#x017F;eine Seele.</p><lb/>
            <p>So brach gewiß manches Le&#x017F;ers Bewußt&#x017F;eyn<lb/>
auf einige Momente ab, mit den &#x017F;tarken Worten<lb/>
des Dichters der Me&#x017F;&#x017F;iade, in welchen er den<lb/>
Tod des Erlo&#x0364;&#x017F;ers &#x017F;childert &#x2014;</p><lb/>
            <cit>
              <quote>Vater, (&#x017F;prach er) in deine Ha&#x0364;nde befehl' ich<lb/><hi rendition="#et">meine Seele!</hi><lb/>
Drauf &#x2014; (Gott, Mittler, erbarme dich un&#x017F;er!)<lb/><hi rendition="#et">Es i&#x017F;t vollendet &#x2014;</hi><lb/>
Und er neigte &#x017F;ein Haupt, und &#x017F;tarb. &#x2014;</quote>
            </cit><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">B 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0047] gen und faſſen kann. So ſtand gewiß der uͤppi- ge Polemo, als er vom naͤchtlichen Schmauſe kommend, in die offne Thuͤr der Akademie ging, und Xenokrates, der ihn erblickte, ſein Thema ver- ließ, und von Maͤßigkeit und Sittſamkeit redete, mehrere Augenblicke bewußtlos da, bis endlich ſeine Seele von der Menge der Eindruͤcke, unter wel- chen ſie erdruͤckt wurde, einige zu Vorſtellungen verklaͤrte, und nun Polemo die Kraͤnze des Ba- chus vom Haupt riß, und ſeine nackten Arme un- ter dem Mantel verbarg. — So blieb Aeneas, als der Goͤtterbote, der mit einemmale erſchien, (inuadit) von ihm ſchied, (medio ſermone reliquit) und ihm den Willen Jupiters verkuͤndete, von der geliebten Dido ſich zu trennen, in bewußtloſer Betaͤubung zuruͤck — (adſpectu obmutuit amens) denn der Gedanke an die Beleidigung der Goͤtter und die Liebe zur Koͤ- nigin Carthagos unterdruͤckten ſeine Seele. So brach gewiß manches Leſers Bewußtſeyn auf einige Momente ab, mit den ſtarken Worten des Dichters der Meſſiade, in welchen er den Tod des Erloͤſers ſchildert — Vater, (ſprach er) in deine Haͤnde befehl' ich meine Seele! Drauf — (Gott, Mittler, erbarme dich unſer!) Es iſt vollendet — Und er neigte ſein Haupt, und ſtarb. — Jn B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/47
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/47>, abgerufen am 29.03.2024.