Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


witzes zu finden glaubt, kommt zu ihnen, und
versichert, er habe die wahre Ursach von Hamlets
Verrücktheit ausfindig gemacht. Der König und
die Mutter des Prinzen brennen vor Verlangen,
dieselbe zu erfahren, und bitten dringend, sie ih-
nen gleich mitzutheilen. Statt nun durch eine
schnelle und kurze Eröfnung seiner Gedanken das
Verlangen derselben zu stillen, fängt der Pedant
folgende Oration an:

"Mein König und meine Königin, wollt'
ich mich lange dabey aufhalten, was Majestät
seyn muß, was Pflicht des Unterthanen ist, war-
um der Tag, Tag, und die Nacht, Nacht, und
die Zeit, Zeit ist, so hieße das weiter nichts, als
Nacht, Tag und Zeit verschwenden. Darum
da Kürze die Seele des Witzes ist, und langwie-
rige Weitläuftigkeit nur das Aeußere der Rede
aufschmückt, so will ich kurz seyn.
Euer edler Sohn ist toll, toll nenn' ich es;
denn, wenn man die wahre Tollheit beschreiben
will, was ist sie anders, als, sonst nichts, als
toll zu seyn? Aber das bey Seite gesetzt --
Königin. Mehr Sachen und weniger Um-
schweife!
Pol. Jch kann darauf schwören, Königin,
ich brauche nicht die geringsten Umschweife. Daß
er toll ist, das ist wahr; es ist wahr, es ist zu
bedauren; und zu bedauren ist es, daß es wahr

ist.
Q 4


witzes zu finden glaubt, kommt zu ihnen, und
verſichert, er habe die wahre Urſach von Hamlets
Verruͤcktheit ausfindig gemacht. Der Koͤnig und
die Mutter des Prinzen brennen vor Verlangen,
dieſelbe zu erfahren, und bitten dringend, ſie ih-
nen gleich mitzutheilen. Statt nun durch eine
ſchnelle und kurze Eroͤfnung ſeiner Gedanken das
Verlangen derſelben zu ſtillen, faͤngt der Pedant
folgende Oration an:

„Mein Koͤnig und meine Koͤnigin, wollt'
ich mich lange dabey aufhalten, was Majeſtaͤt
ſeyn muß, was Pflicht des Unterthanen iſt, war-
um der Tag, Tag, und die Nacht, Nacht, und
die Zeit, Zeit iſt, ſo hieße das weiter nichts, als
Nacht, Tag und Zeit verſchwenden. Darum
da Kuͤrze die Seele des Witzes iſt, und langwie-
rige Weitlaͤuftigkeit nur das Aeußere der Rede
aufſchmuͤckt, ſo will ich kurz ſeyn.
Euer edler Sohn iſt toll, toll nenn' ich es;
denn, wenn man die wahre Tollheit beſchreiben
will, was iſt ſie anders, als, ſonſt nichts, als
toll zu ſeyn? Aber das bey Seite geſetzt —
Koͤnigin. Mehr Sachen und weniger Um-
ſchweife!
Pol. Jch kann darauf ſchwoͤren, Koͤnigin,
ich brauche nicht die geringſten Umſchweife. Daß
er toll iſt, das iſt wahr; es iſt wahr, es iſt zu
bedauren; und zu bedauren iſt es, daß es wahr

iſt.
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="247"/><lb/>
witzes zu finden glaubt, kommt zu ihnen, und<lb/>
ver&#x017F;ichert, er habe die wahre Ur&#x017F;ach von Hamlets<lb/>
Verru&#x0364;cktheit ausfindig gemacht. Der Ko&#x0364;nig und<lb/>
die Mutter des Prinzen brennen vor Verlangen,<lb/>
die&#x017F;elbe zu erfahren, und bitten dringend, &#x017F;ie ih-<lb/>
nen gleich mitzutheilen. Statt nun durch eine<lb/>
&#x017F;chnelle und kurze Ero&#x0364;fnung &#x017F;einer Gedanken das<lb/>
Verlangen der&#x017F;elben zu &#x017F;tillen, fa&#x0364;ngt der Pedant<lb/>
folgende Oration an:</p><lb/>
          <p>
            <cit>
              <quote>&#x201E;Mein Ko&#x0364;nig und meine Ko&#x0364;nigin, wollt'<lb/>
ich mich lange dabey aufhalten, was Maje&#x017F;ta&#x0364;t<lb/>
&#x017F;eyn muß, was Pflicht des Unterthanen i&#x017F;t, war-<lb/>
um der Tag, Tag, und die Nacht, Nacht, und<lb/>
die Zeit, Zeit i&#x017F;t, &#x017F;o hieße das weiter nichts, als<lb/>
Nacht, Tag und Zeit ver&#x017F;chwenden. Darum<lb/>
da Ku&#x0364;rze die Seele des Witzes i&#x017F;t, und langwie-<lb/>
rige Weitla&#x0364;uftigkeit nur das Aeußere der Rede<lb/>
auf&#x017F;chmu&#x0364;ckt, &#x017F;o will ich kurz &#x017F;eyn.<lb/>
Euer edler Sohn i&#x017F;t toll, toll nenn' ich es;<lb/>
denn, wenn man die wahre Tollheit be&#x017F;chreiben<lb/>
will, was i&#x017F;t &#x017F;ie anders, als, &#x017F;on&#x017F;t nichts, als<lb/>
toll zu &#x017F;eyn? Aber das bey Seite ge&#x017F;etzt &#x2014;<lb/>
Ko&#x0364;nigin. Mehr Sachen und weniger Um-<lb/>
&#x017F;chweife!<lb/>
Pol. Jch kann darauf &#x017F;chwo&#x0364;ren, Ko&#x0364;nigin,<lb/>
ich brauche nicht die gering&#x017F;ten Um&#x017F;chweife. Daß<lb/>
er toll i&#x017F;t, das i&#x017F;t wahr; es i&#x017F;t wahr, es i&#x017F;t zu<lb/>
bedauren; und zu bedauren i&#x017F;t es, daß es wahr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw><fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t.</fw><lb/></quote>
            </cit>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0271] witzes zu finden glaubt, kommt zu ihnen, und verſichert, er habe die wahre Urſach von Hamlets Verruͤcktheit ausfindig gemacht. Der Koͤnig und die Mutter des Prinzen brennen vor Verlangen, dieſelbe zu erfahren, und bitten dringend, ſie ih- nen gleich mitzutheilen. Statt nun durch eine ſchnelle und kurze Eroͤfnung ſeiner Gedanken das Verlangen derſelben zu ſtillen, faͤngt der Pedant folgende Oration an: „Mein Koͤnig und meine Koͤnigin, wollt' ich mich lange dabey aufhalten, was Majeſtaͤt ſeyn muß, was Pflicht des Unterthanen iſt, war- um der Tag, Tag, und die Nacht, Nacht, und die Zeit, Zeit iſt, ſo hieße das weiter nichts, als Nacht, Tag und Zeit verſchwenden. Darum da Kuͤrze die Seele des Witzes iſt, und langwie- rige Weitlaͤuftigkeit nur das Aeußere der Rede aufſchmuͤckt, ſo will ich kurz ſeyn. Euer edler Sohn iſt toll, toll nenn' ich es; denn, wenn man die wahre Tollheit beſchreiben will, was iſt ſie anders, als, ſonſt nichts, als toll zu ſeyn? Aber das bey Seite geſetzt — Koͤnigin. Mehr Sachen und weniger Um- ſchweife! Pol. Jch kann darauf ſchwoͤren, Koͤnigin, ich brauche nicht die geringſten Umſchweife. Daß er toll iſt, das iſt wahr; es iſt wahr, es iſt zu bedauren; und zu bedauren iſt es, daß es wahr iſt. Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/271
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/271>, abgerufen am 22.11.2024.