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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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dies geht ihm zu Herzen.*) Er findet seine Re-
gan und ihren Gemahl, den Herzog von Korn-
wallis, auf des Grafen von Glocester Schloß.
Aber welch ein Schnitt in sein königliches, in
sein Vaterherz! Sein Bote liegt in Fesseln auf
Befehl seiner Tochter und ihres Gemahls. Sein
Narr verkündigt ihm: "Du wirst noch recht viel
Herzeleid an deinen Töchtern erleben."
**) Sei-
ne Tochter Regan täuscht seine Hofnung. Sie,
von der er glaubte, daß sie ihn an Gonerill rä-
chen würde, ist mit dieser einverstanden; billigt
ihr Betragen; macht dem Vater Vorwürfe; ver-
langt, daß er zu ihrer Schwester zurückkehre, ihre
Verzeihung suche, sein Gefolge noch geringer ma-
che. Und endlich kommt Gonerill selbst. Welch
eine Wirkung mußte nun die Gegenwart dieser
teuflischen Tochter auf sein Herz, auf seinen Ver-
stand haben! und Gonerill und Regan vereinigt,
zeigen nun ihre Undankbarkeit, ihre Lieblosigkeit,
ihren Willen den Vater zum Sclaven zu ernie-
drigen. Da mußte Lear empfinden, wie ihn der
Dichter empfinden läßt:

"Jhr seht mich hier, ihr Götter, einen ar-
men alten Mann, vom Gram so niedergedrückt,
wie
*) 2. Aufz. 4. Auftr. "Das ist sonderbar, daß sie so
von Hause abreisen, und mir meinen Boten nicht
zurückschicken."
**) 2. Aufz. 4. Auftr.

dies geht ihm zu Herzen.*) Er findet ſeine Re-
gan und ihren Gemahl, den Herzog von Korn-
wallis, auf des Grafen von Gloceſter Schloß.
Aber welch ein Schnitt in ſein koͤnigliches, in
ſein Vaterherz! Sein Bote liegt in Feſſeln auf
Befehl ſeiner Tochter und ihres Gemahls. Sein
Narr verkuͤndigt ihm: „Du wirſt noch recht viel
Herzeleid an deinen Toͤchtern erleben.„
**) Sei-
ne Tochter Regan taͤuſcht ſeine Hofnung. Sie,
von der er glaubte, daß ſie ihn an Gonerill raͤ-
chen wuͤrde, iſt mit dieſer einverſtanden; billigt
ihr Betragen; macht dem Vater Vorwuͤrfe; ver-
langt, daß er zu ihrer Schweſter zuruͤckkehre, ihre
Verzeihung ſuche, ſein Gefolge noch geringer ma-
che. Und endlich kommt Gonerill ſelbſt. Welch
eine Wirkung mußte nun die Gegenwart dieſer
teufliſchen Tochter auf ſein Herz, auf ſeinen Ver-
ſtand haben! und Gonerill und Regan vereinigt,
zeigen nun ihre Undankbarkeit, ihre Liebloſigkeit,
ihren Willen den Vater zum Sclaven zu ernie-
drigen. Da mußte Lear empfinden, wie ihn der
Dichter empfinden laͤßt:

„Jhr ſeht mich hier, ihr Goͤtter, einen ar-
men alten Mann, vom Gram ſo niedergedruͤckt,
wie
*) 2. Aufz. 4. Auftr. „Das iſt ſonderbar, daß ſie ſo
von Hauſe abreiſen, und mir meinen Boten nicht
zuruͤckſchicken.„
**) 2. Aufz. 4. Auftr.
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[198/0222] dies geht ihm zu Herzen. *) Er findet ſeine Re- gan und ihren Gemahl, den Herzog von Korn- wallis, auf des Grafen von Gloceſter Schloß. Aber welch ein Schnitt in ſein koͤnigliches, in ſein Vaterherz! Sein Bote liegt in Feſſeln auf Befehl ſeiner Tochter und ihres Gemahls. Sein Narr verkuͤndigt ihm: „Du wirſt noch recht viel Herzeleid an deinen Toͤchtern erleben.„ **) Sei- ne Tochter Regan taͤuſcht ſeine Hofnung. Sie, von der er glaubte, daß ſie ihn an Gonerill raͤ- chen wuͤrde, iſt mit dieſer einverſtanden; billigt ihr Betragen; macht dem Vater Vorwuͤrfe; ver- langt, daß er zu ihrer Schweſter zuruͤckkehre, ihre Verzeihung ſuche, ſein Gefolge noch geringer ma- che. Und endlich kommt Gonerill ſelbſt. Welch eine Wirkung mußte nun die Gegenwart dieſer teufliſchen Tochter auf ſein Herz, auf ſeinen Ver- ſtand haben! und Gonerill und Regan vereinigt, zeigen nun ihre Undankbarkeit, ihre Liebloſigkeit, ihren Willen den Vater zum Sclaven zu ernie- drigen. Da mußte Lear empfinden, wie ihn der Dichter empfinden laͤßt: „Jhr ſeht mich hier, ihr Goͤtter, einen ar- men alten Mann, vom Gram ſo niedergedruͤckt, wie *) 2. Aufz. 4. Auftr. „Das iſt ſonderbar, daß ſie ſo von Hauſe abreiſen, und mir meinen Boten nicht zuruͤckſchicken.„ **) 2. Aufz. 4. Auftr.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/222>, abgerufen am 27.04.2024.