über ihre vom Manne zurückbehaltenen Kinder, Lesung mystischer Schriften und Sectirerey, in Wahnsinn verfallen war. Jch theile diese Er- zählung mit den Worten des Mannes, welcher dieses Weib selbst beobachtet hat, und Folgendes von ihr sagt, mit:
Dieses Weib ist schon zum zweytenmale von ihrem Mann und vier Kindern entlaufen. Weil sie verworren redete, und jedermann fragte, ob man keine Kinder in dem Gehölze schreyen gehört habe, wurde sie angehalten. Das erstemal traf ich sie sehr unruhig im Bette angeschlossen an. Was fehlt euch? fragte ich. -- Mein Herr, antwortete sie, ich bitte und beschwöre euch bey eurer Seligkeit, daß ihr allen Geistlichen in Zürich saget, daß sie für mich und meine armen Kinder beten, damit unsre Seelen aus des Teufels Ra- chen errettet werden. -- Armes Weib, sprach ich, habt ihr also einen Mann, vielleicht auch Eltern? -- Nein, weder Vater noch Mann. Meine Kinder sind Bastarde. Beten sollt ihr, sage ich, und weiter nichts. -- Ja das will ich, und darum bin ich gekommen. Wollt ihr auch mitbeten? -- Nein, das kann ich nicht. Jch habe keine Seele mehr. Sie fuhr mir aus dem Leibe. Jch bin nichts mehr als Leib. -- Nun, versetzte ich, so will ich beten. Jch langte nach einem Gebetbuch. -- Nein, schrie
sie,
uͤber ihre vom Manne zuruͤckbehaltenen Kinder, Leſung myſtiſcher Schriften und Sectirerey, in Wahnſinn verfallen war. Jch theile dieſe Er- zaͤhlung mit den Worten des Mannes, welcher dieſes Weib ſelbſt beobachtet hat, und Folgendes von ihr ſagt, mit:
Dieſes Weib iſt ſchon zum zweytenmale von ihrem Mann und vier Kindern entlaufen. Weil ſie verworren redete, und jedermann fragte, ob man keine Kinder in dem Gehoͤlze ſchreyen gehoͤrt habe, wurde ſie angehalten. Das erſtemal traf ich ſie ſehr unruhig im Bette angeſchloſſen an. Was fehlt euch? fragte ich. — Mein Herr, antwortete ſie, ich bitte und beſchwoͤre euch bey eurer Seligkeit, daß ihr allen Geiſtlichen in Zuͤrich ſaget, daß ſie fuͤr mich und meine armen Kinder beten, damit unſre Seelen aus des Teufels Ra- chen errettet werden. — Armes Weib, ſprach ich, habt ihr alſo einen Mann, vielleicht auch Eltern? — Nein, weder Vater noch Mann. Meine Kinder ſind Baſtarde. Beten ſollt ihr, ſage ich, und weiter nichts. — Ja das will ich, und darum bin ich gekommen. Wollt ihr auch mitbeten? — Nein, das kann ich nicht. Jch habe keine Seele mehr. Sie fuhr mir aus dem Leibe. Jch bin nichts mehr als Leib. — Nun, verſetzte ich, ſo will ich beten. Jch langte nach einem Gebetbuch. — Nein, ſchrie
ſie,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0213"n="189"/>
uͤber ihre vom Manne zuruͤckbehaltenen Kinder,<lb/>
Leſung myſtiſcher Schriften und Sectirerey, in<lb/>
Wahnſinn verfallen war. Jch theile dieſe Er-<lb/>
zaͤhlung mit den Worten des Mannes, welcher<lb/>
dieſes Weib ſelbſt beobachtet hat, und Folgendes<lb/>
von ihr ſagt, mit:</p><lb/><p>Dieſes Weib iſt ſchon zum zweytenmale von<lb/>
ihrem Mann und vier Kindern entlaufen. Weil<lb/>ſie verworren redete, und jedermann fragte, ob<lb/>
man keine Kinder in dem Gehoͤlze ſchreyen gehoͤrt<lb/>
habe, wurde ſie angehalten. Das erſtemal traf<lb/>
ich ſie ſehr unruhig im Bette angeſchloſſen an.<lb/>
Was fehlt euch? fragte ich. — Mein Herr,<lb/>
antwortete ſie, ich bitte und beſchwoͤre euch bey<lb/>
eurer Seligkeit, daß ihr allen Geiſtlichen in Zuͤrich<lb/>ſaget, daß ſie fuͤr mich und meine armen Kinder<lb/>
beten, damit unſre Seelen aus des Teufels Ra-<lb/>
chen errettet werden. — Armes Weib, ſprach<lb/>
ich, habt ihr alſo einen Mann, vielleicht auch<lb/>
Eltern? — Nein, weder Vater noch Mann.<lb/>
Meine Kinder ſind Baſtarde. Beten ſollt ihr,<lb/>ſage ich, und weiter nichts. — Ja das<lb/>
will ich, und darum bin ich gekommen. Wollt<lb/>
ihr auch mitbeten? — Nein, das kann ich<lb/>
nicht. Jch habe keine Seele mehr. Sie fuhr<lb/>
mir aus dem Leibe. Jch bin nichts mehr als Leib.<lb/>— Nun, verſetzte ich, ſo will ich beten. Jch<lb/>
langte nach einem Gebetbuch. — Nein, ſchrie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſie,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0213]
uͤber ihre vom Manne zuruͤckbehaltenen Kinder,
Leſung myſtiſcher Schriften und Sectirerey, in
Wahnſinn verfallen war. Jch theile dieſe Er-
zaͤhlung mit den Worten des Mannes, welcher
dieſes Weib ſelbſt beobachtet hat, und Folgendes
von ihr ſagt, mit:
Dieſes Weib iſt ſchon zum zweytenmale von
ihrem Mann und vier Kindern entlaufen. Weil
ſie verworren redete, und jedermann fragte, ob
man keine Kinder in dem Gehoͤlze ſchreyen gehoͤrt
habe, wurde ſie angehalten. Das erſtemal traf
ich ſie ſehr unruhig im Bette angeſchloſſen an.
Was fehlt euch? fragte ich. — Mein Herr,
antwortete ſie, ich bitte und beſchwoͤre euch bey
eurer Seligkeit, daß ihr allen Geiſtlichen in Zuͤrich
ſaget, daß ſie fuͤr mich und meine armen Kinder
beten, damit unſre Seelen aus des Teufels Ra-
chen errettet werden. — Armes Weib, ſprach
ich, habt ihr alſo einen Mann, vielleicht auch
Eltern? — Nein, weder Vater noch Mann.
Meine Kinder ſind Baſtarde. Beten ſollt ihr,
ſage ich, und weiter nichts. — Ja das
will ich, und darum bin ich gekommen. Wollt
ihr auch mitbeten? — Nein, das kann ich
nicht. Jch habe keine Seele mehr. Sie fuhr
mir aus dem Leibe. Jch bin nichts mehr als Leib.
— Nun, verſetzte ich, ſo will ich beten. Jch
langte nach einem Gebetbuch. — Nein, ſchrie
ſie,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/213>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.