sich giebt, und also seinen Forderungen und Er- wartungen gar nicht entsprechen. Die häufigen Kränkungen seiner, wenn gleich chimärischen, doch von ihm empfundenen Würde verbittern ihm das Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerstört sein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver- stand, weil er diese, die ihm so häufige Einsprüche thun, für seine bittersten Feinde hält. Mit Be- dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei- ne Person aus meiner zweyten Vaterstadt, welche itzt in Berlin ihre Wohnung im Hause der Ver- rückten hat. Ein ausschweifender Hochmuth, der sie besonders in Rücksicht der Schönheit über alle andre ihres Geschlechts erheben wollte, flößte ihr den Wahn ein, daß hohe und große Männer sich um ihren Besitz drängen würden. Der Wahn betrog sie, wie leicht zu vermuthen, und ihr Verstand wurde das Opfer seiner Erbitterung. Jtzt lebt sie in dem Hause des Elends, und wähnt, eine Fürstin geworden zu seyn, und Könige und Prinzen in ihren Fesseln zu führen -- und ist zu- frieden, weil ihr Verstand nicht mehr widerspre- chen kann.
Herr Meister erzählt in dem zweyten Theil seiner Vorlesung über die Schwärmerey, aus den Papieren der schon oben genannten ascetischen Gesellschaft in Zürich, die Geschichte eines Wei- bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz
über
ſich giebt, und alſo ſeinen Forderungen und Er- wartungen gar nicht entſprechen. Die haͤufigen Kraͤnkungen ſeiner, wenn gleich chimaͤriſchen, doch von ihm empfundenen Wuͤrde verbittern ihm das Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerſtoͤrt ſein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver- ſtand, weil er dieſe, die ihm ſo haͤufige Einſpruͤche thun, fuͤr ſeine bitterſten Feinde haͤlt. Mit Be- dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei- ne Perſon aus meiner zweyten Vaterſtadt, welche itzt in Berlin ihre Wohnung im Hauſe der Ver- ruͤckten hat. Ein ausſchweifender Hochmuth, der ſie beſonders in Ruͤckſicht der Schoͤnheit uͤber alle andre ihres Geſchlechts erheben wollte, floͤßte ihr den Wahn ein, daß hohe und große Maͤnner ſich um ihren Beſitz draͤngen wuͤrden. Der Wahn betrog ſie, wie leicht zu vermuthen, und ihr Verſtand wurde das Opfer ſeiner Erbitterung. Jtzt lebt ſie in dem Hauſe des Elends, und waͤhnt, eine Fuͤrſtin geworden zu ſeyn, und Koͤnige und Prinzen in ihren Feſſeln zu fuͤhren — und iſt zu- frieden, weil ihr Verſtand nicht mehr widerſpre- chen kann.
Herr Meiſter erzaͤhlt in dem zweyten Theil ſeiner Vorleſung uͤber die Schwaͤrmerey, aus den Papieren der ſchon oben genannten aſcetiſchen Geſellſchaft in Zuͤrich, die Geſchichte eines Wei- bes, welches, aus Erbitterung gegen ihren Schmerz
uͤber
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[188/0212]
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Kraͤnkungen ſeiner, wenn gleich chimaͤriſchen, doch
von ihm empfundenen Wuͤrde verbittern ihm das
Leben in der wirklichen Welt; und endlich zerſtoͤrt
ſein verzweifelnder Hochmuth Sinne und Ver-
ſtand, weil er dieſe, die ihm ſo haͤufige Einſpruͤche
thun, fuͤr ſeine bitterſten Feinde haͤlt. Mit Be-
dauren und innigem Mitleid denk' ich hiebey an ei-
ne Perſon aus meiner zweyten Vaterſtadt, welche
itzt in Berlin ihre Wohnung im Hauſe der Ver-
ruͤckten hat. Ein ausſchweifender Hochmuth,
der ſie beſonders in Ruͤckſicht der Schoͤnheit uͤber
alle andre ihres Geſchlechts erheben wollte, floͤßte
ihr den Wahn ein, daß hohe und große Maͤnner
ſich um ihren Beſitz draͤngen wuͤrden. Der
Wahn betrog ſie, wie leicht zu vermuthen, und
ihr Verſtand wurde das Opfer ſeiner Erbitterung.
Jtzt lebt ſie in dem Hauſe des Elends, und waͤhnt,
eine Fuͤrſtin geworden zu ſeyn, und Koͤnige und
Prinzen in ihren Feſſeln zu fuͤhren — und iſt zu-
frieden, weil ihr Verſtand nicht mehr widerſpre-
chen kann.
Herr Meiſter erzaͤhlt in dem zweyten Theil
ſeiner Vorleſung uͤber die Schwaͤrmerey, aus
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/212>, abgerufen am 26.11.2024.
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