Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedächtnißidee zu erforschen, destoweniger pflegt
es zu gelingen; denn eben der heftige Eifer, die
Begierde macht das Gemüth unruhig, und zer-
streuet es.

Mancher gewöhnt sich, bey der Hererzählung
seiner Gedanken aus dem Gedächtnisse, oder über-
haupt bey dem Vortrage, eine besondere Handlung
vorzunehmen, oder sich auf besondere Gegenstände
zu fixiren. Hieran kann sich das Gedächtniß so
eigensinnig gewöhnen, daß, wenn die Handlung
verhindert oder der Gegenstand entfernt wird,
durchaus nichts hervorgebracht werden kann: weil
die Gewöhnung diese Dinge zu nothwendigen Be-
dürfnissen macht, welche, wenn sie ihre Befrie-
digung nicht finden, ein Gefühl der Unlust bewir-
ken und das Gemüth verhindern, seine Aufmerk-
samkeit auf die zu reproducirenden Vorstellungen zu
richten. Gerard erzählt davon in seinem Versuch
über das Genie, aus dem Schwätzer und Zu-
schauer, zwey englischen Zeitschriften, folgende
Beyspiele.

Jch saß neulich, sagt der Schwätzer, bey
einem vortreflichen Historienerzähler. Mitten in
der Erzählung merkte ich, daß er zerstreut wurde,
und etwas mit den Augen suchte; -- ich wurde
gewahr, daß es seine Schnupftabacksdose war,
die in einiger Entfernung von ihm stand; und be-

deckte

Gedaͤchtnißidee zu erforſchen, deſtoweniger pflegt
es zu gelingen; denn eben der heftige Eifer, die
Begierde macht das Gemuͤth unruhig, und zer-
ſtreuet es.

Mancher gewoͤhnt ſich, bey der Hererzaͤhlung
ſeiner Gedanken aus dem Gedaͤchtniſſe, oder uͤber-
haupt bey dem Vortrage, eine beſondere Handlung
vorzunehmen, oder ſich auf beſondere Gegenſtaͤnde
zu fixiren. Hieran kann ſich das Gedaͤchtniß ſo
eigenſinnig gewoͤhnen, daß, wenn die Handlung
verhindert oder der Gegenſtand entfernt wird,
durchaus nichts hervorgebracht werden kann: weil
die Gewoͤhnung dieſe Dinge zu nothwendigen Be-
duͤrfniſſen macht, welche, wenn ſie ihre Befrie-
digung nicht finden, ein Gefuͤhl der Unluſt bewir-
ken und das Gemuͤth verhindern, ſeine Aufmerk-
ſamkeit auf die zu reproducirenden Vorſtellungen zu
richten. Gerard erzaͤhlt davon in ſeinem Verſuch
uͤber das Genie, aus dem Schwaͤtzer und Zu-
ſchauer, zwey engliſchen Zeitſchriften, folgende
Beyſpiele.

Jch ſaß neulich, ſagt der Schwaͤtzer, bey
einem vortreflichen Hiſtorienerzaͤhler. Mitten in
der Erzaͤhlung merkte ich, daß er zerſtreut wurde,
und etwas mit den Augen ſuchte; — ich wurde
gewahr, daß es ſeine Schnupftabacksdoſe war,
die in einiger Entfernung von ihm ſtand; und be-

deckte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="134"/>
Geda&#x0364;chtnißidee zu erfor&#x017F;chen, de&#x017F;toweniger pflegt<lb/>
es zu gelingen; denn eben der heftige Eifer, die<lb/>
Begierde macht das Gemu&#x0364;th unruhig, und zer-<lb/>
&#x017F;treuet es.</p><lb/>
          <p>Mancher gewo&#x0364;hnt &#x017F;ich, bey der Hererza&#x0364;hlung<lb/>
&#x017F;einer Gedanken aus dem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e, oder u&#x0364;ber-<lb/>
haupt bey dem Vortrage, eine be&#x017F;ondere Handlung<lb/>
vorzunehmen, oder &#x017F;ich auf be&#x017F;ondere Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
zu fixiren. Hieran kann &#x017F;ich das Geda&#x0364;chtniß &#x017F;o<lb/>
eigen&#x017F;innig gewo&#x0364;hnen, daß, wenn die Handlung<lb/>
verhindert oder der Gegen&#x017F;tand entfernt wird,<lb/>
durchaus nichts hervorgebracht werden kann: weil<lb/>
die Gewo&#x0364;hnung die&#x017F;e Dinge zu nothwendigen Be-<lb/>
du&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en macht, welche, wenn &#x017F;ie ihre Befrie-<lb/>
digung nicht finden, ein Gefu&#x0364;hl der Unlu&#x017F;t bewir-<lb/>
ken und das Gemu&#x0364;th verhindern, &#x017F;eine Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit auf die zu reproducirenden Vor&#x017F;tellungen zu<lb/>
richten. Gerard erza&#x0364;hlt davon in &#x017F;einem Ver&#x017F;uch<lb/>
u&#x0364;ber das Genie, aus dem Schwa&#x0364;tzer und Zu-<lb/>
&#x017F;chauer, zwey engli&#x017F;chen Zeit&#x017F;chriften, folgende<lb/>
Bey&#x017F;piele.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;aß neulich, &#x017F;agt der Schwa&#x0364;tzer, bey<lb/>
einem vortreflichen Hi&#x017F;torienerza&#x0364;hler. Mitten in<lb/>
der Erza&#x0364;hlung merkte ich, daß er zer&#x017F;treut wurde,<lb/>
und etwas mit den Augen &#x017F;uchte; &#x2014; ich wurde<lb/>
gewahr, daß es &#x017F;eine Schnupftabacksdo&#x017F;e war,<lb/>
die in einiger Entfernung von ihm &#x017F;tand; und be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">deckte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0158] Gedaͤchtnißidee zu erforſchen, deſtoweniger pflegt es zu gelingen; denn eben der heftige Eifer, die Begierde macht das Gemuͤth unruhig, und zer- ſtreuet es. Mancher gewoͤhnt ſich, bey der Hererzaͤhlung ſeiner Gedanken aus dem Gedaͤchtniſſe, oder uͤber- haupt bey dem Vortrage, eine beſondere Handlung vorzunehmen, oder ſich auf beſondere Gegenſtaͤnde zu fixiren. Hieran kann ſich das Gedaͤchtniß ſo eigenſinnig gewoͤhnen, daß, wenn die Handlung verhindert oder der Gegenſtand entfernt wird, durchaus nichts hervorgebracht werden kann: weil die Gewoͤhnung dieſe Dinge zu nothwendigen Be- duͤrfniſſen macht, welche, wenn ſie ihre Befrie- digung nicht finden, ein Gefuͤhl der Unluſt bewir- ken und das Gemuͤth verhindern, ſeine Aufmerk- ſamkeit auf die zu reproducirenden Vorſtellungen zu richten. Gerard erzaͤhlt davon in ſeinem Verſuch uͤber das Genie, aus dem Schwaͤtzer und Zu- ſchauer, zwey engliſchen Zeitſchriften, folgende Beyſpiele. Jch ſaß neulich, ſagt der Schwaͤtzer, bey einem vortreflichen Hiſtorienerzaͤhler. Mitten in der Erzaͤhlung merkte ich, daß er zerſtreut wurde, und etwas mit den Augen ſuchte; — ich wurde gewahr, daß es ſeine Schnupftabacksdoſe war, die in einiger Entfernung von ihm ſtand; und be- deckte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/158
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/158>, abgerufen am 01.05.2024.