nun fand ich auch den Grund der prätorischen Erscheinung. Leibnitz in seinen nouveaux Essays sur l'entendement humain sagt unter andern in dem Avant-propos, um seinen Begriff von an- gebornen Jdeen zu erläutern: "Il est vrai, qu'il ne faut point s'imaginer, qu'on puisse lire dans l'Ame ces eternelles loix de la raison a livre ouvert comme l'Edit du Preteur se lit sur son album &c. Diese letztern Worte hatte ich mir, ich weiß nicht warum, ganz unwillkührlich oft wiederholt, und überhaupt die ganze Stelle zu einem gewissen Zweck mir angemerkt. So fand also die Jmagination die Vorstellung des Prätors mit seinem Album in meinem Jdeenvorrathe, und stellte ihn in jenen Saal hin. Aber warum in dieser prätorischen Form Friedrich der Zweyte? Als ich hierauf kam, wäre ich beynahe über die Unordentlichkeit meiner Einbildungskraft unwillig geworden; allein ich fand zum Glück zu ihrer Entschuldigung Folgendes:
Jch hatte irgendwo -- ich meyne im Ham- burger politischen Journal -- schon vor langer Zeit gelesen, der Kaiser von China wünsche den König Friedrich zu seinem Sergeanten zu haben. Dies war mir wegen des seltsamen Contrastes sehr auffallend und lächerlich gewesen. Nun hatte freylich meine Einbildungskraft die antiqua- rische Sünde begangen, und einen römischen
Prätor
G
nun fand ich auch den Grund der praͤtoriſchen Erſcheinung. Leibnitz in ſeinen nouveaux Eſſays ſur l'entendement humain ſagt unter andern in dem Avant-propos, um ſeinen Begriff von an- gebornen Jdeen zu erlaͤutern: „Il eſt vrai, qu'il ne faut point ſ'imaginer, qu'on puiſſe lire dans l'Ame ces eternelles loix de la raiſon à livre ouvert comme l'Edit du Preteur ſe lit ſur ſon album &c. Dieſe letztern Worte hatte ich mir, ich weiß nicht warum, ganz unwillkuͤhrlich oft wiederholt, und uͤberhaupt die ganze Stelle zu einem gewiſſen Zweck mir angemerkt. So fand alſo die Jmagination die Vorſtellung des Praͤtors mit ſeinem Album in meinem Jdeenvorrathe, und ſtellte ihn in jenen Saal hin. Aber warum in dieſer praͤtoriſchen Form Friedrich der Zweyte? Als ich hierauf kam, waͤre ich beynahe uͤber die Unordentlichkeit meiner Einbildungskraft unwillig geworden; allein ich fand zum Gluͤck zu ihrer Entſchuldigung Folgendes:
Jch hatte irgendwo — ich meyne im Ham- burger politiſchen Journal — ſchon vor langer Zeit geleſen, der Kaiſer von China wuͤnſche den Koͤnig Friedrich zu ſeinem Sergeanten zu haben. Dies war mir wegen des ſeltſamen Contraſtes ſehr auffallend und laͤcherlich geweſen. Nun hatte freylich meine Einbildungskraft die antiqua- riſche Suͤnde begangen, und einen roͤmiſchen
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gebornen Jdeen zu erlaͤutern: „Il eſt vrai, qu'il ne
faut point ſ'imaginer, qu'on puiſſe lire dans
l'Ame ces eternelles loix de la raiſon à livre
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album &c. Dieſe letztern Worte hatte ich mir,
ich weiß nicht warum, ganz unwillkuͤhrlich oft
wiederholt, und uͤberhaupt die ganze Stelle zu
einem gewiſſen Zweck mir angemerkt. So fand
alſo die Jmagination die Vorſtellung des Praͤtors
mit ſeinem Album in meinem Jdeenvorrathe, und
ſtellte ihn in jenen Saal hin. Aber warum in
dieſer praͤtoriſchen Form Friedrich der Zweyte?
Als ich hierauf kam, waͤre ich beynahe uͤber die
Unordentlichkeit meiner Einbildungskraft unwillig
geworden; allein ich fand zum Gluͤck zu ihrer
Entſchuldigung Folgendes:
Jch hatte irgendwo — ich meyne im Ham-
burger politiſchen Journal — ſchon vor langer
Zeit geleſen, der Kaiſer von China wuͤnſche den
Koͤnig Friedrich zu ſeinem Sergeanten zu haben.
Dies war mir wegen des ſeltſamen Contraſtes
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/121>, abgerufen am 02.05.2024.
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