Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863.ex tabulis olim fiebant, wie es auch heute noch in grossen Städten vielfach der Fall zu sein pflegt.1) Alle Bauhütten hatten eine handwerksmässige, eine zunftmässige Verfassung, waren aber wesentlich zugleich Bauschulen, Kunstschulen für die Künstler aller Landestheile und der verschiedenen Länder; rechtlich standen die Bauhütten gleich einer städtischen Zunft, aber eine städtische Bauzunft war keine Bauhütte, keine Bauschule, denn sie übte das Bauhandwerk und nicht die Baukunst, die Bauwissenschaft. Die Bauhütten hatten ihre wirklichen Geheimnisse und deshalb kennt man dieselben nicht, wogegen Viele und darunter namentlich auch Schnaase von ihrer Nichtkenntniss des Geheimnisses oder gar von der Nichtveröffentlichung der Geheimnisse in der Yorker Urkunde, in den Statuten des Boileau und in den gemeinen deutschen Steinmetzordnungen auf das Nichtbestehen schliessen wollen. Die Künstler, die Eingeweihten, die Unterrichteten haben zu York, zu Paris, zu Speier und Regensburg, zu Torgau, Strassburg und anderwärts in das Gesetz nur aufnehmen und niederschreiben lassen, was man ungefährdet konnte und durfte. Die Kunst, die deutsche Baukunst umschlang alle deutschen Bauhütten, alle deutschen Bauzünfte, die Baukünstler und Bauhandwerker des ganzen deutschen Vaterlandes nach dem Reichsgesetze zu Einem Bruderbunde, zu einem Künstlervereine mit einem gemeinsamen Obermeister; aber der schöne Bruderbund zerfiel, ehe nur er recht in das Leben eingetreten war, da die Kunst im religiösen Streite und Unglauben unterging; der Geist erstarb im neuen Hause. Die Kirchenbaukunst hatte selbst als die Kunst der gesammten Christenheit2) eben sich erhoben und verknüpfte wandernd alle christlichen Länder und Künstler in ihren Hütten, um neben denselben die herrlichsten Steindome und Steinthürme erstehen zu lassen; am Tage des vollendeten Prachtbaues wurde die schaffende Hütte gebrochen, damit an einem andern Orte ein neuer Bau begonnen werden könne. Das hohe christliche Ideal, welches das ganze Mittelalter trägt und bewegt, und 1) Guhl und Koner, II. S. 287. 2) Vergl. Schnaase, IV. S. 19.
ex tabulis olim fiebant, wie es auch heute noch in grossen Städten vielfach der Fall zu sein pflegt.1) Alle Bauhütten hatten eine handwerksmässige, eine zunftmässige Verfassung, waren aber wesentlich zugleich Bauschulen, Kunstschulen für die Künstler aller Landestheile und der verschiedenen Länder; rechtlich standen die Bauhütten gleich einer städtischen Zunft, aber eine städtische Bauzunft war keine Bauhütte, keine Bauschule, denn sie übte das Bauhandwerk und nicht die Baukunst, die Bauwissenschaft. Die Bauhütten hatten ihre wirklichen Geheimnisse und deshalb kennt man dieselben nicht, wogegen Viele und darunter namentlich auch Schnaase von ihrer Nichtkenntniss des Geheimnisses oder gar von der Nichtveröffentlichung der Geheimnisse in der Yorker Urkunde, in den Statuten des Boileau und in den gemeinen deutschen Steinmetzordnungen auf das Nichtbestehen schliessen wollen. Die Künstler, die Eingeweihten, die Unterrichteten haben zu York, zu Paris, zu Speier und Regensburg, zu Torgau, Strassburg und anderwärts in das Gesetz nur aufnehmen und niederschreiben lassen, was man ungefährdet konnte und durfte. Die Kunst, die deutsche Baukunst umschlang alle deutschen Bauhütten, alle deutschen Bauzünfte, die Baukünstler und Bauhandwerker des ganzen deutschen Vaterlandes nach dem Reichsgesetze zu Einem Bruderbunde, zu einem Künstlervereine mit einem gemeinsamen Obermeister; aber der schöne Bruderbund zerfiel, ehe nur er recht in das Leben eingetreten war, da die Kunst im religiösen Streite und Unglauben unterging; der Geist erstarb im neuen Hause. Die Kirchenbaukunst hatte selbst als die Kunst der gesammten Christenheit2) eben sich erhoben und verknüpfte wandernd alle christlichen Länder und Künstler in ihren Hütten, um neben denselben die herrlichsten Steindome und Steinthürme erstehen zu lassen; am Tage des vollendeten Prachtbaues wurde die schaffende Hütte gebrochen, damit an einem andern Orte ein neuer Bau begonnen werden könne. Das hohe christliche Ideal, welches das ganze Mittelalter trägt und bewegt, und 1) Guhl und Koner, II. S. 287. 2) Vergl. Schnaase, IV. S. 19.
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ex tabulis olim fiebant, wie es auch heute noch in grossen Städten vielfach der Fall zu sein pflegt. 1) Alle Bauhütten hatten eine handwerksmässige, eine zunftmässige Verfassung, waren aber wesentlich zugleich Bauschulen, Kunstschulen für die Künstler aller Landestheile und der verschiedenen Länder; rechtlich standen die Bauhütten gleich einer städtischen Zunft, aber eine städtische Bauzunft war keine Bauhütte, keine Bauschule, denn sie übte das Bauhandwerk und nicht die Baukunst, die Bauwissenschaft. Die Bauhütten hatten ihre wirklichen Geheimnisse und deshalb kennt man dieselben nicht, wogegen Viele und darunter namentlich auch Schnaase von ihrer Nichtkenntniss des Geheimnisses oder gar von der Nichtveröffentlichung der Geheimnisse in der Yorker Urkunde, in den Statuten des Boileau und in den gemeinen deutschen Steinmetzordnungen auf das Nichtbestehen schliessen wollen. Die Künstler, die Eingeweihten, die Unterrichteten haben zu York, zu Paris, zu Speier und Regensburg, zu Torgau, Strassburg und anderwärts in das Gesetz nur aufnehmen und niederschreiben lassen, was man ungefährdet konnte und durfte. Die Kunst, die deutsche Baukunst umschlang alle deutschen Bauhütten, alle deutschen Bauzünfte, die Baukünstler und Bauhandwerker des ganzen deutschen Vaterlandes nach dem Reichsgesetze zu Einem Bruderbunde, zu einem Künstlervereine mit einem gemeinsamen Obermeister; aber der schöne Bruderbund zerfiel, ehe nur er recht in das Leben eingetreten war, da die Kunst im religiösen Streite und Unglauben unterging; der Geist erstarb im neuen Hause. Die Kirchenbaukunst hatte selbst als die Kunst der gesammten Christenheit 2) eben sich erhoben und verknüpfte wandernd alle christlichen Länder und Künstler in ihren Hütten, um neben denselben die herrlichsten Steindome und Steinthürme erstehen zu lassen; am Tage des vollendeten Prachtbaues wurde die schaffende Hütte gebrochen, damit an einem andern Orte ein neuer Bau begonnen werden könne. Das hohe christliche Ideal, welches das ganze Mittelalter trägt und bewegt, und
1) Guhl und Koner, II. S. 287.
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