Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

mit grossem kritischen Fleisse zusammengestellt. Dieselbe Kunst bildet den Thon, den Stein, das Erz, das Holz und Elfenbein , - stiekt oder webt die Teppiche, malt die Leinwand und die Tempel- oder Kirchendecken und Wände, wie und wo die Stoffe sich darbieten. Die Gestalt, welche der Künstler dem Thone, Stein, Erz u. s. f. gibt, kleidet zunächst den Stoff, ist des Stoffes Kleid, weshalb der Künstler nicht noch anderweitige Bekleidungen zu entlehnen und nachzuahmen braucht, - kein Steinbekleider im Sinne Semper's, sondern ein Steinformer und Baumeister ist, und zwar weder factisch, noch auch nur genetisch, da in der Kunst die Genesis doch kaum von dem Factum getrennt zu werden vermag, wie dieses Semper anzunehmen scheint. Ueberhaupt ist die Kunst nicht so tiefsinnig, verwickelt und nachdenkend oder vielmehr mit Nachdenken stylnachahmend, als dieses Semper sich vorstellt: sondern die wahre und höchste Kunst ist die natürlichste, einfachste, unabsichtlichste und möglichst aus sich selbst schaffende. Alle die weitgehenden Folgerungen, welche nun plötzlich aus den assyrischen und babylonischen Kunstdenkmalen für die griechische Kunst gezogen werden wollen, sind um so bedenklicher, als die Babylonier und Assyrier mit dem aufblühenden Griechenland niemals in unmittelbarer Verbindung oder auch nur in irgend welcher näherer Beziehung gestanden sind, sondern jedenfalls phönicische oder kleinasiatische Vermittelungen eingeschoben werden müssten. Dazu kommt, dass ganz entschieden der babylonische Backsteinbau und der assyrische Steinbau, ja schlechthin Babylon und Ninive mit der Baukunst und ihren darauf bezüglichen Künsten jünger sind, als der ägyptische Steinbau, vielleicht selbst als die ägyptischen Pyramiden.1) Die wirkliche Baukunst ist Steinbaukunst und die letztere wurde unwiderleglich als der Pyramiden-, Obelisken-, Tempel-, Gräber-, Fluss- und Canalbau zuerst und Jahrtausende vor Christus in Aegypten geübt, so dass die Aegypter als die Lehrer im Steinbau wenigstens bei den Völkern am Mittelmeere, namentlich bei den Griechen betrachtet

1) Vergl. darüber die eigenen Bemerkungen Semper's, I. S. 405 ff.

mit grossem kritischen Fleisse zusammengestellt. Dieselbe Kunst bildet den Thon, den Stein, das Erz, das Holz und Elfenbein , – stiekt oder webt die Teppiche, malt die Leinwand und die Tempel- oder Kirchendecken und Wände, wie und wo die Stoffe sich darbieten. Die Gestalt, welche der Künstler dem Thone, Stein, Erz u. s. f. gibt, kleidet zunächst den Stoff, ist des Stoffes Kleid, weshalb der Künstler nicht noch anderweitige Bekleidungen zu entlehnen und nachzuahmen braucht, – kein Steinbekleider im Sinne Semper’s, sondern ein Steinformer und Baumeister ist, und zwar weder factisch, noch auch nur genetisch, da in der Kunst die Genesis doch kaum von dem Factum getrennt zu werden vermag, wie dieses Semper anzunehmen scheint. Ueberhaupt ist die Kunst nicht so tiefsinnig, verwickelt und nachdenkend oder vielmehr mit Nachdenken stylnachahmend, als dieses Semper sich vorstellt: sondern die wahre und höchste Kunst ist die natürlichste, einfachste, unabsichtlichste und möglichst aus sich selbst schaffende. Alle die weitgehenden Folgerungen, welche nun plötzlich aus den assyrischen und babylonischen Kunstdenkmalen für die griechische Kunst gezogen werden wollen, sind um so bedenklicher, als die Babylonier und Assyrier mit dem aufblühenden Griechenland niemals in unmittelbarer Verbindung oder auch nur in irgend welcher näherer Beziehung gestanden sind, sondern jedenfalls phönicische oder kleinasiatische Vermittelungen eingeschoben werden müssten. Dazu kommt, dass ganz entschieden der babylonische Backsteinbau und der assyrische Steinbau, ja schlechthin Babylon und Ninive mit der Baukunst und ihren darauf bezüglichen Künsten jünger sind, als der ägyptische Steinbau, vielleicht selbst als die ägyptischen Pyramiden.1) Die wirkliche Baukunst ist Steinbaukunst und die letztere wurde unwiderleglich als der Pyramiden-, Obelisken-, Tempel-, Gräber-, Fluss- und Canalbau zuerst und Jahrtausende vor Christus in Aegypten geübt, so dass die Aegypter als die Lehrer im Steinbau wenigstens bei den Völkern am Mittelmeere, namentlich bei den Griechen betrachtet

1) Vergl. darüber die eigenen Bemerkungen Semper’s, I. S. 405 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0324" n="304"/>
mit grossem kritischen Fleisse zusammengestellt. Dieselbe Kunst bildet den Thon, den Stein, das Erz, das Holz und Elfenbein , &#x2013; stiekt oder webt die Teppiche, malt die Leinwand und die Tempel- oder Kirchendecken und Wände, wie und wo die Stoffe sich darbieten. Die Gestalt, welche der Künstler dem Thone, Stein, Erz u. s. f. gibt, kleidet zunächst den Stoff, ist des Stoffes Kleid, weshalb der Künstler nicht noch anderweitige Bekleidungen zu entlehnen und nachzuahmen braucht, &#x2013; kein <hi rendition="#g">Steinbekleider</hi> im Sinne Semper&#x2019;s, sondern ein Steinformer und Baumeister ist, und zwar weder factisch, noch auch nur genetisch, da in der Kunst die Genesis doch kaum von dem Factum getrennt zu werden vermag, wie dieses Semper anzunehmen scheint. Ueberhaupt ist die Kunst nicht so tiefsinnig, verwickelt und nachdenkend oder vielmehr mit Nachdenken stylnachahmend, als dieses Semper sich vorstellt: sondern die wahre und höchste Kunst ist die natürlichste, einfachste, unabsichtlichste und möglichst aus sich selbst schaffende. Alle die weitgehenden Folgerungen, welche nun plötzlich aus den assyrischen und babylonischen Kunstdenkmalen für die griechische Kunst gezogen werden wollen, sind um so bedenklicher, als die Babylonier und Assyrier mit dem aufblühenden Griechenland niemals in unmittelbarer Verbindung oder auch nur in irgend welcher näherer Beziehung gestanden sind, sondern jedenfalls phönicische oder kleinasiatische Vermittelungen eingeschoben werden müssten. Dazu kommt, dass ganz entschieden der babylonische Backsteinbau und der assyrische Steinbau, ja schlechthin Babylon und Ninive mit der Baukunst und ihren darauf bezüglichen Künsten jünger sind, als der ägyptische Steinbau, vielleicht selbst als die ägyptischen Pyramiden.<note place="foot" n="1)">Vergl. darüber die eigenen Bemerkungen Semper&#x2019;s, I. S. 405 ff.</note> Die wirkliche Baukunst ist Steinbaukunst und die letztere wurde unwiderleglich als der Pyramiden-, Obelisken-, Tempel-, Gräber-, Fluss- und Canalbau <hi rendition="#g">zuerst</hi> und Jahrtausende vor Christus in Aegypten geübt, so dass die Aegypter als die Lehrer im Steinbau wenigstens bei den Völkern am Mittelmeere, namentlich bei den Griechen betrachtet
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0324] mit grossem kritischen Fleisse zusammengestellt. Dieselbe Kunst bildet den Thon, den Stein, das Erz, das Holz und Elfenbein , – stiekt oder webt die Teppiche, malt die Leinwand und die Tempel- oder Kirchendecken und Wände, wie und wo die Stoffe sich darbieten. Die Gestalt, welche der Künstler dem Thone, Stein, Erz u. s. f. gibt, kleidet zunächst den Stoff, ist des Stoffes Kleid, weshalb der Künstler nicht noch anderweitige Bekleidungen zu entlehnen und nachzuahmen braucht, – kein Steinbekleider im Sinne Semper’s, sondern ein Steinformer und Baumeister ist, und zwar weder factisch, noch auch nur genetisch, da in der Kunst die Genesis doch kaum von dem Factum getrennt zu werden vermag, wie dieses Semper anzunehmen scheint. Ueberhaupt ist die Kunst nicht so tiefsinnig, verwickelt und nachdenkend oder vielmehr mit Nachdenken stylnachahmend, als dieses Semper sich vorstellt: sondern die wahre und höchste Kunst ist die natürlichste, einfachste, unabsichtlichste und möglichst aus sich selbst schaffende. Alle die weitgehenden Folgerungen, welche nun plötzlich aus den assyrischen und babylonischen Kunstdenkmalen für die griechische Kunst gezogen werden wollen, sind um so bedenklicher, als die Babylonier und Assyrier mit dem aufblühenden Griechenland niemals in unmittelbarer Verbindung oder auch nur in irgend welcher näherer Beziehung gestanden sind, sondern jedenfalls phönicische oder kleinasiatische Vermittelungen eingeschoben werden müssten. Dazu kommt, dass ganz entschieden der babylonische Backsteinbau und der assyrische Steinbau, ja schlechthin Babylon und Ninive mit der Baukunst und ihren darauf bezüglichen Künsten jünger sind, als der ägyptische Steinbau, vielleicht selbst als die ägyptischen Pyramiden. 1) Die wirkliche Baukunst ist Steinbaukunst und die letztere wurde unwiderleglich als der Pyramiden-, Obelisken-, Tempel-, Gräber-, Fluss- und Canalbau zuerst und Jahrtausende vor Christus in Aegypten geübt, so dass die Aegypter als die Lehrer im Steinbau wenigstens bei den Völkern am Mittelmeere, namentlich bei den Griechen betrachtet 1) Vergl. darüber die eigenen Bemerkungen Semper’s, I. S. 405 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-21T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-21T13:44:32Z)
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-21T13:44:32Z)
Maxi Grubert: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-21T13:44:32Z)
Bayerische Staatsbibliothek Digital: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-21T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863/324
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863/324>, abgerufen am 17.05.2024.