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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861.

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tempel des ganzen jüdischen Volkes, der 12 Stämme Israels, war das sichtbare Symbol, dass Gott bei seinem Volke und dieses in ihm und nach seinem Gesetze wohnen wolle. Der Tempel und alle darin gethanenen Gebete und gebrachten Opfer waren nur das Flehen der 12 Stämme Israels, dass Gott mit ihnen und sie mit Gott sein möchten; der Hohepriester namentlich, der allein der Bundeslade und dem Throne des Unsichtbaren in seinem dunkelen Allerheiligsten sich nahen darf, ist nur der symbolische Vertreter der zwölf Stämme Israels und trägt daher ihren Namen auf seinem Brustschilde. Gott allein soll über Israel herrschen und Israel allein will Gottes Volk sein, ihn nennen und bekennen. Doch Gott ist nicht allein das Gesetz, er ist auch die Liebe und Gnade, welche sühnend und verzeihend hinwegnimmt die Sünden und die Schuld des Volkes Israel, weshalb der Thron Gottes über der Bundeslade und über dem Gesetze im letzten und höchsten Sinne der Gnadendeckel, der Deckel der Sühne und Vergebung, Kapporeth heisst.1) Der Tempel ist mithin wesentlich auch der Ort, wo Gott um Verzeihung und Gnade für die Sünden angerufen, wo die Sühn- und Bittopfer dargebracht werden; das Allerheiligste aber ist die Stätte der höchsten Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung Gottes, - der Thron Gottes; Gott selbst ist nur die göttliche Gnade und Güte, welche alle Sünden der Menschen hinwegnimmt und tilgt, sobald der Mensch sie bereuet und zu Gott zurückkehrt. An dem, von Israeliten jährlich gefeierten grossen Sühnetag wurde ein dreifacher Sühneact vollzogen: zuerst geschah die Sühne des Heiligthums und seiner Geräthe, dann die Sühne des Hohepriesters und der Priesterfamilie, endlich die Sühne des ganzen Volkes. Jeder dieser drei Sühneacte wurde einzeln vorgenommen und zwar dadurch, dass der Hohepriester die Blutsprengung auf oder vor dem Gnadendeckel, der Kapporeth verriehtete.2) Aehnlich wurde z. B. auch bei den Griechen in

1) Umbreit, in den Studien und Kritiken, 1843. II. S. 155; Baehr, S. 165 ff. Theilweise abweichend, jedoch im Sühnegedanken übereinstimmend, sind Hengstenberg, Beiträge III. S. 640 ff., und Keil, der Tempel Salomo's, S. 145 ff.
2) Baehr, S. 170.

tempel des ganzen jüdischen Volkes, der 12 Stämme Israels, war das sichtbare Symbol, dass Gott bei seinem Volke und dieses in ihm und nach seinem Gesetze wohnen wolle. Der Tempel und alle darin gethanenen Gebete und gebrachten Opfer waren nur das Flehen der 12 Stämme Israels, dass Gott mit ihnen und sie mit Gott sein möchten; der Hohepriester namentlich, der allein der Bundeslade und dem Throne des Unsichtbaren in seinem dunkelen Allerheiligsten sich nahen darf, ist nur der symbolische Vertreter der zwölf Stämme Israels und trägt daher ihren Namen auf seinem Brustschilde. Gott allein soll über Israel herrschen und Israel allein will Gottes Volk sein, ihn nennen und bekennen. Doch Gott ist nicht allein das Gesetz, er ist auch die Liebe und Gnade, welche sühnend und verzeihend hinwegnimmt die Sünden und die Schuld des Volkes Israel, weshalb der Thron Gottes über der Bundeslade und über dem Gesetze im letzten und höchsten Sinne der Gnadendeckel, der Deckel der Sühne und Vergebung, Kapporeth heisst.1) Der Tempel ist mithin wesentlich auch der Ort, wo Gott um Verzeihung und Gnade für die Sünden angerufen, wo die Sühn- und Bittopfer dargebracht werden; das Allerheiligste aber ist die Stätte der höchsten Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung Gottes, – der Thron Gottes; Gott selbst ist nur die göttliche Gnade und Güte, welche alle Sünden der Menschen hinwegnimmt und tilgt, sobald der Mensch sie bereuet und zu Gott zurückkehrt. An dem, von Israeliten jährlich gefeierten grossen Sühnetag wurde ein dreifacher Sühneact vollzogen: zuerst geschah die Sühne des Heiligthums und seiner Geräthe, dann die Sühne des Hohepriesters und der Priesterfamilie, endlich die Sühne des ganzen Volkes. Jeder dieser drei Sühneacte wurde einzeln vorgenommen und zwar dadurch, dass der Hohepriester die Blutsprengung auf oder vor dem Gnadendeckel, der Kapporeth verriehtete.2) Aehnlich wurde z. B. auch bei den Griechen in

1) Umbreit, in den Studien und Kritiken, 1843. II. S. 155; Baehr, S. 165 ff. Theilweise abweichend, jedoch im Sühnegedanken übereinstimmend, sind Hengstenberg, Beiträge III. S. 640 ff., und Keil, der Tempel Salomo’s, S. 145 ff.
2) Baehr, S. 170.
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[152/0172] tempel des ganzen jüdischen Volkes, der 12 Stämme Israels, war das sichtbare Symbol, dass Gott bei seinem Volke und dieses in ihm und nach seinem Gesetze wohnen wolle. Der Tempel und alle darin gethanenen Gebete und gebrachten Opfer waren nur das Flehen der 12 Stämme Israels, dass Gott mit ihnen und sie mit Gott sein möchten; der Hohepriester namentlich, der allein der Bundeslade und dem Throne des Unsichtbaren in seinem dunkelen Allerheiligsten sich nahen darf, ist nur der symbolische Vertreter der zwölf Stämme Israels und trägt daher ihren Namen auf seinem Brustschilde. Gott allein soll über Israel herrschen und Israel allein will Gottes Volk sein, ihn nennen und bekennen. Doch Gott ist nicht allein das Gesetz, er ist auch die Liebe und Gnade, welche sühnend und verzeihend hinwegnimmt die Sünden und die Schuld des Volkes Israel, weshalb der Thron Gottes über der Bundeslade und über dem Gesetze im letzten und höchsten Sinne der Gnadendeckel, der Deckel der Sühne und Vergebung, Kapporeth heisst. 1) Der Tempel ist mithin wesentlich auch der Ort, wo Gott um Verzeihung und Gnade für die Sünden angerufen, wo die Sühn- und Bittopfer dargebracht werden; das Allerheiligste aber ist die Stätte der höchsten Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung Gottes, – der Thron Gottes; Gott selbst ist nur die göttliche Gnade und Güte, welche alle Sünden der Menschen hinwegnimmt und tilgt, sobald der Mensch sie bereuet und zu Gott zurückkehrt. An dem, von Israeliten jährlich gefeierten grossen Sühnetag wurde ein dreifacher Sühneact vollzogen: zuerst geschah die Sühne des Heiligthums und seiner Geräthe, dann die Sühne des Hohepriesters und der Priesterfamilie, endlich die Sühne des ganzen Volkes. Jeder dieser drei Sühneacte wurde einzeln vorgenommen und zwar dadurch, dass der Hohepriester die Blutsprengung auf oder vor dem Gnadendeckel, der Kapporeth verriehtete. 2) Aehnlich wurde z. B. auch bei den Griechen in 1) Umbreit, in den Studien und Kritiken, 1843. II. S. 155; Baehr, S. 165 ff. Theilweise abweichend, jedoch im Sühnegedanken übereinstimmend, sind Hengstenberg, Beiträge III. S. 640 ff., und Keil, der Tempel Salomo’s, S. 145 ff. 2) Baehr, S. 170.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei02_1861/172>, abgerufen am 27.04.2024.