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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861.

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bete1) der Menseh der Gottheit näher und freier von der Erde Banden, und die tröstende Kraft des Gebetes besteht allein darin, dass im Gebete der Mensch mehr die Nichtigkeit und Vergängliehkeit der irdischen Dinge, des irdischen Wehes und Jammers, sowie die Unverletzlichkeit und Unvergängliehkeit des göttlichen Geistes fühlt und erkennt. Das Gebet ist die Erhebung des Menschen über die Erde und von der Erde zu Gott und deshalb beten alle Menschen und alle Völker, welche an Gott glauben. - Mahommed soll gesagt haben: "Der Gläubige ist Gott am nächsten, wenn er betet."2) Bei den Indern heisst Brahma das Gebet und Gott, welchen letztern der Inder durch das erstere zu erreichen und herbeizuziehen strebt; die Brahmanen sind die Betenden.3) Dass ein Gott sei und Alles lenke und richte, ist der Inhalt aller Gebete und beten heisst nur, Gott bekennen und anrufen. Im Gebete fällt die Scheidewand zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen der Menschheit und der Gottheit; der betende Mensch ruht gleichsam an dem Herzen und in dem Geiste Gottes und schöpft dort die Liebe und die Wahrheit, Vergebung und Hoffnung. Wen das Unglück und die Sünde niederbeugen, den richtet das aufrichtige und gottinnige Gebet wieder empor, da er weiss, dass der allgütige Gott das Unglück hinwegnehmen und dem Bereuenden vergeben wird. Göthe singt unendlich wahr:

Wer nie sein Brod in Thränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmel'schen Mächte!

Der Spruch, dass Gott Diejenigen züchtige und strafe, welche er liebe, beruht auf der Erfahrung, dass der Glückliche Gott ganz in seinem Uebermuthe vergisst und nur noch der Unglückliche auf ihn als seinen Schützer

1) Verzl. besonders Lasaulx, die Gebete der Griechen und Römer, in den Studien des klassischen Alterthums, S. 137 - 158.
2) Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 52.
3) Vergl. Roth. Brahma und die Brahmanen, in der Zeitschrift d. d. m. Gesch., I. S. 66 ff.; Lassen, a. a. O. I. S. 766.

bete1) der Menseh der Gottheit näher und freier von der Erde Banden, und die tröstende Kraft des Gebetes besteht allein darin, dass im Gebete der Mensch mehr die Nichtigkeit und Vergängliehkeit der irdischen Dinge, des irdischen Wehes und Jammers, sowie die Unverletzlichkeit und Unvergängliehkeit des göttlichen Geistes fühlt und erkennt. Das Gebet ist die Erhebung des Menschen über die Erde und von der Erde zu Gott und deshalb beten alle Menschen und alle Völker, welche an Gott glauben. – Mahommed soll gesagt haben: „Der Gläubige ist Gott am nächsten, wenn er betet.“2) Bei den Indern heisst Brahma das Gebet und Gott, welchen letztern der Inder durch das erstere zu erreichen und herbeizuziehen strebt; die Brahmanen sind die Betenden.3) Dass ein Gott sei und Alles lenke und richte, ist der Inhalt aller Gebete und beten heisst nur, Gott bekennen und anrufen. Im Gebete fällt die Scheidewand zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen der Menschheit und der Gottheit; der betende Mensch ruht gleichsam an dem Herzen und in dem Geiste Gottes und schöpft dort die Liebe und die Wahrheit, Vergebung und Hoffnung. Wen das Unglück und die Sünde niederbeugen, den richtet das aufrichtige und gottinnige Gebet wieder empor, da er weiss, dass der allgütige Gott das Unglück hinwegnehmen und dem Bereuenden vergeben wird. Göthe singt unendlich wahr:

Wer nie sein Brod in Thränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmel’schen Mächte!

Der Spruch, dass Gott Diejenigen züchtige und strafe, welche er liebe, beruht auf der Erfahrung, dass der Glückliche Gott ganz in seinem Uebermuthe vergisst und nur noch der Unglückliche auf ihn als seinen Schützer

1) Verzl. besonders Lasaulx, die Gebete der Griechen und Römer, in den Studien des klassischen Alterthums, S. 137 – 158.
2) Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 52.
3) Vergl. Roth. Brahma und die Brahmanen, in der Zeitschrift d. d. m. Gesch., I. S. 66 ff.; Lassen, a. a. O. I. S. 766.
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[99/0119] bete 1) der Menseh der Gottheit näher und freier von der Erde Banden, und die tröstende Kraft des Gebetes besteht allein darin, dass im Gebete der Mensch mehr die Nichtigkeit und Vergängliehkeit der irdischen Dinge, des irdischen Wehes und Jammers, sowie die Unverletzlichkeit und Unvergängliehkeit des göttlichen Geistes fühlt und erkennt. Das Gebet ist die Erhebung des Menschen über die Erde und von der Erde zu Gott und deshalb beten alle Menschen und alle Völker, welche an Gott glauben. – Mahommed soll gesagt haben: „Der Gläubige ist Gott am nächsten, wenn er betet.“ 2) Bei den Indern heisst Brahma das Gebet und Gott, welchen letztern der Inder durch das erstere zu erreichen und herbeizuziehen strebt; die Brahmanen sind die Betenden. 3) Dass ein Gott sei und Alles lenke und richte, ist der Inhalt aller Gebete und beten heisst nur, Gott bekennen und anrufen. Im Gebete fällt die Scheidewand zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen der Menschheit und der Gottheit; der betende Mensch ruht gleichsam an dem Herzen und in dem Geiste Gottes und schöpft dort die Liebe und die Wahrheit, Vergebung und Hoffnung. Wen das Unglück und die Sünde niederbeugen, den richtet das aufrichtige und gottinnige Gebet wieder empor, da er weiss, dass der allgütige Gott das Unglück hinwegnehmen und dem Bereuenden vergeben wird. Göthe singt unendlich wahr: Wer nie sein Brod in Thränen ass, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend sass, Der kennt euch nicht, ihr himmel’schen Mächte! Der Spruch, dass Gott Diejenigen züchtige und strafe, welche er liebe, beruht auf der Erfahrung, dass der Glückliche Gott ganz in seinem Uebermuthe vergisst und nur noch der Unglückliche auf ihn als seinen Schützer 1) Verzl. besonders Lasaulx, die Gebete der Griechen und Römer, in den Studien des klassischen Alterthums, S. 137 – 158. 2) Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 52. 3) Vergl. Roth. Brahma und die Brahmanen, in der Zeitschrift d. d. m. Gesch., I. S. 66 ff.; Lassen, a. a. O. I. S. 766.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei02_1861/119>, abgerufen am 22.12.2024.