Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fessel ist im Grunde nicht von der Binde verschieden, denn auch die Binde ist eine Fessel, - was bindet, fesselt, und umgekehrt; der Sehende, der im Lichte Wandelnde, der wahre Meister ist ebenso auch ein von dem Laster und der Leidenschaft Befreiter, ein Tugendhafter und Reiner. Ja noch mehr, nur die Tugend, das Gute und die Reinheit leuchten und sind mithin der Weg, das Mittel und das Mass des Lichtes, sind das Licht selbst. Diese Bedeutung der Fessel und der Entfesselung hat unter allen mir aus Büchern oder auch aus eigener Anschauung bekannten maurerischen Systemen einzig das rectificirte System der schottischen Maurerei klar und bestimmt erfasst, da nach dessen Ritual dem zum schottischen Meister zu Befördernden vor der Eidesabnahme, vor dem Tugendgelübde die bis dahin von ihm getragenen Fesseln, als das Sinnbild der Sklaverei, der Leidenschaften und der Laster abgenommen werden, d. h. der schottische Meister soll und will sich diese Fesseln selbst abnehmen, indem er aus eigenem innern oder freien Antriebe den Leidenschaften und dem Laster entsaget. Die rectificirte schottische Maurerei hat durch diese Deutung des Symbols der Fessel, bewusst oder unbewusst, sich auf den wahrhaft geschichtlichen, auf den uralten symbolischen Standpunkt gestellt.

Der Strick ist ursprünglich, und zwar allem Vermuthen nach ägyptisch, nur das Symbol jener Schlange des Bösen, welche nach den Schriften des alten Bundes, und in einer merkwürdigen Uebereinstimmung mit diesen auch nach den Zendschriften, die Urmenschen, Adam und Eva, Meschia und Meschiane verlockte, die Frucht des verbotenen Baumes zu kosten, wodurch die Menschheit den Himmel, das Paradies verlor und der Sünde, dem Schmerze und der Sterblichkeit verfiel. Die Bestimmung der gefallenen Menschheit ist, von ihrem Falle sich wieder zu erheben, die Schlange des Bösen zu überwinden und ihr den Kopf zu zertreten, und diese Bestimmung hatten wesentlich auch die alten Mysterien sich gesetzt; sie wollten den die Schlange besiegenden Menschen aus der irdischen Finsterniss in das ewige Licht, in den Himmel, zu Gott zurückführen. Daher musste in die Gebräuche der

Die Fessel ist im Grunde nicht von der Binde verschieden, denn auch die Binde ist eine Fessel, – was bindet, fesselt, und umgekehrt; der Sehende, der im Lichte Wandelnde, der wahre Meister ist ebenso auch ein von dem Laster und der Leidenschaft Befreiter, ein Tugendhafter und Reiner. Ja noch mehr, nur die Tugend, das Gute und die Reinheit leuchten und sind mithin der Weg, das Mittel und das Mass des Lichtes, sind das Licht selbst. Diese Bedeutung der Fessel und der Entfesselung hat unter allen mir aus Büchern oder auch aus eigener Anschauung bekannten maurerischen Systemen einzig das rectificirte System der schottischen Maurerei klar und bestimmt erfasst, da nach dessen Ritual dem zum schottischen Meister zu Befördernden vor der Eidesabnahme, vor dem Tugendgelübde die bis dahin von ihm getragenen Fesseln, als das Sinnbild der Sklaverei, der Leidenschaften und der Laster abgenommen werden, d. h. der schottische Meister soll und will sich diese Fesseln selbst abnehmen, indem er aus eigenem innern oder freien Antriebe den Leidenschaften und dem Laster entsaget. Die rectificirte schottische Maurerei hat durch diese Deutung des Symbols der Fessel, bewusst oder unbewusst, sich auf den wahrhaft geschichtlichen, auf den uralten symbolischen Standpunkt gestellt.

Der Strick ist ursprünglich, und zwar allem Vermuthen nach ägyptisch, nur das Symbol jener Schlange des Bösen, welche nach den Schriften des alten Bundes, und in einer merkwürdigen Uebereinstimmung mit diesen auch nach den Zendschriften, die Urmenschen, Adam und Eva, Meschia und Meschiane verlockte, die Frucht des verbotenen Baumes zu kosten, wodurch die Menschheit den Himmel, das Paradies verlor und der Sünde, dem Schmerze und der Sterblichkeit verfiel. Die Bestimmung der gefallenen Menschheit ist, von ihrem Falle sich wieder zu erheben, die Schlange des Bösen zu überwinden und ihr den Kopf zu zertreten, und diese Bestimmung hatten wesentlich auch die alten Mysterien sich gesetzt; sie wollten den die Schlange besiegenden Menschen aus der irdischen Finsterniss in das ewige Licht, in den Himmel, zu Gott zurückführen. Daher musste in die Gebräuche der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0354" n="338"/>
Die Fessel ist im Grunde nicht von der Binde verschieden, denn auch die
 Binde ist eine Fessel, &#x2013; was bindet, fesselt, und umgekehrt; der Sehende, der im Lichte Wandelnde,
 der wahre Meister ist ebenso auch ein von dem Laster und der Leidenschaft Befreiter, ein
 Tugendhafter und Reiner. Ja noch mehr, nur die Tugend, das Gute und die Reinheit leuchten und sind
 mithin der Weg, das Mittel und das Mass des Lichtes, sind das Licht selbst. Diese Bedeutung der
 Fessel und der Entfesselung hat unter allen mir aus Büchern oder auch aus eigener Anschauung
 bekannten maurerischen Systemen einzig das rectificirte System der schottischen Maurerei klar und
 bestimmt erfasst, da nach dessen Ritual dem zum schottischen Meister zu Befördernden vor der
 Eidesabnahme, vor dem Tugendgelübde die bis dahin von ihm getragenen Fesseln, als das Sinnbild der
 Sklaverei, der Leidenschaften und der Laster abgenommen werden, d. h. der schottische Meister soll
 und will sich diese Fesseln selbst abnehmen, indem er aus eigenem innern oder freien Antriebe den
 Leidenschaften und dem Laster entsaget. Die rectificirte schottische Maurerei hat durch diese
 Deutung des Symbols der Fessel, bewusst oder unbewusst, sich auf den wahrhaft geschichtlichen, auf
 den uralten symbolischen Standpunkt gestellt.</p>
        <p> Der Strick ist ursprünglich, und zwar allem Vermuthen nach ägyptisch, nur das Symbol jener
 Schlange des Bösen, welche nach den Schriften des alten Bundes, und in einer merkwürdigen
 Uebereinstimmung mit diesen auch nach den Zendschriften, die Urmenschen, Adam und Eva, Meschia und
 Meschiane verlockte, die Frucht des verbotenen Baumes zu kosten, wodurch die Menschheit den Himmel,
 das Paradies verlor und der Sünde, dem Schmerze und der Sterblichkeit verfiel. Die Bestimmung der
 gefallenen Menschheit ist, von ihrem Falle sich wieder zu erheben, die Schlange des Bösen zu
 überwinden und ihr den Kopf zu zertreten, und diese Bestimmung hatten wesentlich auch die alten
 Mysterien sich gesetzt; sie wollten den die Schlange besiegenden Menschen aus der irdischen
 Finsterniss in das ewige Licht, in den Himmel, zu Gott zurückführen. Daher musste in die Gebräuche
 der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0354] Die Fessel ist im Grunde nicht von der Binde verschieden, denn auch die Binde ist eine Fessel, – was bindet, fesselt, und umgekehrt; der Sehende, der im Lichte Wandelnde, der wahre Meister ist ebenso auch ein von dem Laster und der Leidenschaft Befreiter, ein Tugendhafter und Reiner. Ja noch mehr, nur die Tugend, das Gute und die Reinheit leuchten und sind mithin der Weg, das Mittel und das Mass des Lichtes, sind das Licht selbst. Diese Bedeutung der Fessel und der Entfesselung hat unter allen mir aus Büchern oder auch aus eigener Anschauung bekannten maurerischen Systemen einzig das rectificirte System der schottischen Maurerei klar und bestimmt erfasst, da nach dessen Ritual dem zum schottischen Meister zu Befördernden vor der Eidesabnahme, vor dem Tugendgelübde die bis dahin von ihm getragenen Fesseln, als das Sinnbild der Sklaverei, der Leidenschaften und der Laster abgenommen werden, d. h. der schottische Meister soll und will sich diese Fesseln selbst abnehmen, indem er aus eigenem innern oder freien Antriebe den Leidenschaften und dem Laster entsaget. Die rectificirte schottische Maurerei hat durch diese Deutung des Symbols der Fessel, bewusst oder unbewusst, sich auf den wahrhaft geschichtlichen, auf den uralten symbolischen Standpunkt gestellt. Der Strick ist ursprünglich, und zwar allem Vermuthen nach ägyptisch, nur das Symbol jener Schlange des Bösen, welche nach den Schriften des alten Bundes, und in einer merkwürdigen Uebereinstimmung mit diesen auch nach den Zendschriften, die Urmenschen, Adam und Eva, Meschia und Meschiane verlockte, die Frucht des verbotenen Baumes zu kosten, wodurch die Menschheit den Himmel, das Paradies verlor und der Sünde, dem Schmerze und der Sterblichkeit verfiel. Die Bestimmung der gefallenen Menschheit ist, von ihrem Falle sich wieder zu erheben, die Schlange des Bösen zu überwinden und ihr den Kopf zu zertreten, und diese Bestimmung hatten wesentlich auch die alten Mysterien sich gesetzt; sie wollten den die Schlange besiegenden Menschen aus der irdischen Finsterniss in das ewige Licht, in den Himmel, zu Gott zurückführen. Daher musste in die Gebräuche der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/354
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/354>, abgerufen am 23.11.2024.