Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Augen, je zwei vorn und zwei hinten, nämlich mit zwei offenen und zwei in Ruhe geschlossenen Augen, und mit vier Schwingen an den Schultern, zwei erhobenen und zwei herabhängenden, abgebildet wurde, um auszusprechen, dass Gott sehe, wenn er schlafe, und schlafe, wenn er wache, - oder fliegend ruhe und ruhend fliege, - dass Ruhe und Bewegung, Oeffnen und Schliessen im nimmer endenden Spiele des Weltalls wechseln. In diesem Sinne gibt auch Kopp, der Tempel Salomos, Stuttgart 1839, den Cherubim, welche die Wände des salomonischen Tempels zieren, einen erhobenen und einen gesenkten Flügel. Obschon dieser Deutung- des Symbols der zwei Säulen die volle Zustimmung ertheilt werden muss, kann dennoch dieselbe erst in einer spätern Zeit der Menschengeschichte aufgekommen sein, weil dieselbe eine philosophische, eine speculative ist und die Menschen im Uranfange ihres Seins nicht philosophirten oder speculirten. Ursprünglich bedeuten die beiden Säulen einfach die auf- und die untergehende Sonne, den Morgen oder Tag (Jakin) und den Abend oder die Nacht (Boaz), oder auch die Sonne als die Leuchte des Tages und den Mond als die Leuchte der Nacht,1) wie denn in dem Tempel des Melkarth oder des Herakles zu Tyrus die eine Säule bei Tage und die andere bei Nacht leuchtete. Auch Moses spricht: "Und Gott machte zwei grosse Lichter; das grössere, das dem Tag vorstelle, und ein kleineres Licht, das der Nacht verstehe." - Eine Fortbildung und Erweiterung des Symbols war es, dass dasselbe vom Tageslauf auf den Jahreslauf, von der am Morgen jeden Tages aufgehenden und am Abend wieder untergehenden Sonne auf die Sonne während ihres Jahreslaufes durch das Sternenmeer, durch den Thierkreis angewandt wurde. Nunmehr bezeichneten die Säulen Jakin und Boaz das steigende und das sinkende Jahr, den Sommer und den Winter, das ewig wechselnde Leben und

1) Bei den griechischen Dichtern ist es ein sehr oft vorkommendes Bild von der Sonne als Auge des Tages und vom Monde als Auge der Nacht. Auch hielten die alten Germanen Sonne, Mond und Sterne für Augen des Himmels (Furtwängler, die Idee des Todes, S. 56, Anm. 6).

Augen, je zwei vorn und zwei hinten, nämlich mit zwei offenen und zwei in Ruhe geschlossenen Augen, und mit vier Schwingen an den Schultern, zwei erhobenen und zwei herabhängenden, abgebildet wurde, um auszusprechen, dass Gott sehe, wenn er schlafe, und schlafe, wenn er wache, – oder fliegend ruhe und ruhend fliege, – dass Ruhe und Bewegung, Oeffnen und Schliessen im nimmer endenden Spiele des Weltalls wechseln. In diesem Sinne gibt auch Kopp, der Tempel Salomos, Stuttgart 1839, den Cherubim, welche die Wände des salomonischen Tempels zieren, einen erhobenen und einen gesenkten Flügel. Obschon dieser Deutung- des Symbols der zwei Säulen die volle Zustimmung ertheilt werden muss, kann dennoch dieselbe erst in einer spätern Zeit der Menschengeschichte aufgekommen sein, weil dieselbe eine philosophische, eine speculative ist und die Menschen im Uranfange ihres Seins nicht philosophirten oder speculirten. Ursprünglich bedeuten die beiden Säulen einfach die auf- und die untergehende Sonne, den Morgen oder Tag (Jakin) und den Abend oder die Nacht (Boaz), oder auch die Sonne als die Leuchte des Tages und den Mond als die Leuchte der Nacht,1) wie denn in dem Tempel des Melkarth oder des Herakles zu Tyrus die eine Säule bei Tage und die andere bei Nacht leuchtete. Auch Moses spricht: „Und Gott machte zwei grosse Lichter; das grössere, das dem Tag vorstelle, und ein kleineres Licht, das der Nacht verstehe.“ – Eine Fortbildung und Erweiterung des Symbols war es, dass dasselbe vom Tageslauf auf den Jahreslauf, von der am Morgen jeden Tages aufgehenden und am Abend wieder untergehenden Sonne auf die Sonne während ihres Jahreslaufes durch das Sternenmeer, durch den Thierkreis angewandt wurde. Nunmehr bezeichneten die Säulen Jakin und Boaz das steigende und das sinkende Jahr, den Sommer und den Winter, das ewig wechselnde Leben und

1) Bei den griechischen Dichtern ist es ein sehr oft vorkommendes Bild von der Sonne als Auge des Tages und vom Monde als Auge der Nacht. Auch hielten die alten Germanen Sonne, Mond und Sterne für Augen des Himmels (Furtwängler, die Idee des Todes, S. 56, Anm. 6).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="207"/>
Augen, je
 zwei vorn und zwei hinten, nämlich mit zwei offenen und zwei in Ruhe geschlossenen Augen, und mit
 vier Schwingen an den Schultern, zwei erhobenen und zwei herabhängenden, abgebildet wurde, um
 auszusprechen, dass Gott sehe, wenn er schlafe, und schlafe, wenn er wache, &#x2013; oder fliegend ruhe und
 ruhend fliege, &#x2013; dass Ruhe und Bewegung, Oeffnen und Schliessen im nimmer endenden Spiele des
 Weltalls wechseln. In diesem Sinne gibt auch Kopp, der Tempel Salomos, Stuttgart 1839, den Cherubim,
 welche die Wände des salomonischen Tempels zieren, einen erhobenen und einen gesenkten Flügel.
 Obschon dieser Deutung- des Symbols der zwei Säulen die volle Zustimmung ertheilt werden muss, kann
 dennoch dieselbe erst in einer spätern Zeit der Menschengeschichte aufgekommen sein, weil dieselbe
 eine philosophische, eine speculative ist und die Menschen im Uranfange ihres Seins nicht
 philosophirten oder speculirten. Ursprünglich bedeuten die beiden Säulen einfach die auf- und die
 untergehende Sonne, den Morgen oder Tag (Jakin) und den Abend oder die Nacht (Boaz), oder auch die
 Sonne als die Leuchte des Tages und den Mond als die Leuchte der Nacht,<note place="foot" n="1)">Bei
 den griechischen Dichtern ist es ein sehr oft vorkommendes Bild von der Sonne als Auge des Tages und
 vom Monde als Auge der Nacht. Auch hielten die alten Germanen Sonne, Mond und Sterne für Augen des
 Himmels (Furtwängler, die Idee des Todes, S. 56, Anm. 6). </note> wie denn in dem Tempel des
 Melkarth oder des Herakles zu Tyrus die eine Säule bei Tage und die andere bei Nacht leuchtete. Auch
 Moses spricht: &#x201E;Und Gott machte zwei grosse Lichter; das grössere, das dem Tag vorstelle, und ein
 kleineres Licht, das der Nacht verstehe.&#x201C; &#x2013; Eine Fortbildung und Erweiterung des Symbols war es,
 dass dasselbe vom Tageslauf auf den Jahreslauf, von der am Morgen jeden Tages aufgehenden und am
 Abend wieder untergehenden Sonne auf die Sonne während ihres Jahreslaufes durch das Sternenmeer,
 durch den Thierkreis angewandt wurde. Nunmehr bezeichneten die Säulen Jakin und Boaz das steigende
 und das sinkende Jahr, den Sommer und den Winter, das ewig wechselnde Leben und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0223] Augen, je zwei vorn und zwei hinten, nämlich mit zwei offenen und zwei in Ruhe geschlossenen Augen, und mit vier Schwingen an den Schultern, zwei erhobenen und zwei herabhängenden, abgebildet wurde, um auszusprechen, dass Gott sehe, wenn er schlafe, und schlafe, wenn er wache, – oder fliegend ruhe und ruhend fliege, – dass Ruhe und Bewegung, Oeffnen und Schliessen im nimmer endenden Spiele des Weltalls wechseln. In diesem Sinne gibt auch Kopp, der Tempel Salomos, Stuttgart 1839, den Cherubim, welche die Wände des salomonischen Tempels zieren, einen erhobenen und einen gesenkten Flügel. Obschon dieser Deutung- des Symbols der zwei Säulen die volle Zustimmung ertheilt werden muss, kann dennoch dieselbe erst in einer spätern Zeit der Menschengeschichte aufgekommen sein, weil dieselbe eine philosophische, eine speculative ist und die Menschen im Uranfange ihres Seins nicht philosophirten oder speculirten. Ursprünglich bedeuten die beiden Säulen einfach die auf- und die untergehende Sonne, den Morgen oder Tag (Jakin) und den Abend oder die Nacht (Boaz), oder auch die Sonne als die Leuchte des Tages und den Mond als die Leuchte der Nacht, 1) wie denn in dem Tempel des Melkarth oder des Herakles zu Tyrus die eine Säule bei Tage und die andere bei Nacht leuchtete. Auch Moses spricht: „Und Gott machte zwei grosse Lichter; das grössere, das dem Tag vorstelle, und ein kleineres Licht, das der Nacht verstehe.“ – Eine Fortbildung und Erweiterung des Symbols war es, dass dasselbe vom Tageslauf auf den Jahreslauf, von der am Morgen jeden Tages aufgehenden und am Abend wieder untergehenden Sonne auf die Sonne während ihres Jahreslaufes durch das Sternenmeer, durch den Thierkreis angewandt wurde. Nunmehr bezeichneten die Säulen Jakin und Boaz das steigende und das sinkende Jahr, den Sommer und den Winter, das ewig wechselnde Leben und 1) Bei den griechischen Dichtern ist es ein sehr oft vorkommendes Bild von der Sonne als Auge des Tages und vom Monde als Auge der Nacht. Auch hielten die alten Germanen Sonne, Mond und Sterne für Augen des Himmels (Furtwängler, die Idee des Todes, S. 56, Anm. 6).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/223
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/223>, abgerufen am 06.05.2024.