Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Aegypter sangen ihre Manerosklage, die Klage um die Flüchtigkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge, welche sich in die Trauer um den früh verstorbenen Adonis-Osiris mischte, nach Plutarch I, 1 und Herodot II, 78 auch bei den Gastmahlen, wobei man das Bild eines Verstorbenen in einer Kiste, - wie man sagte, des Osiris, mit der Mahnung umhertrug, dass Alle bald ebenfalls Solche sein werden und in Erinnerung an den nahenden Tod mässig im Genusse der Freuden sein sollten. Nach dem Vorgange der Aegypter wurde gemäss Petron auch bei den feierlichen Gastmahlen der Römer ein silbernes bewegliches Todtengerippe, Larva genannt, auf der Tafel aufgestellt, um zu einem desto eilfertigeren Genusse des Lebens zu ermuntern. Dieses Gerippe wurde durch einen Sklaven bei den Gästen mit den Worten herumgetragen oder sonst ihnen mit denselben gezeigt:

Heu, heu, nos miseros, quam totus homuncio nil est!
Sic erimus cuneti, postquam nos auferet Orcus.
Ergo vivamus, dum licet esse bene. 1)

In der ägyptischen Todtenklage, welche nach dem Vorbilde der Leichenfeiern des Adonis-Osiris zu einer allgemeinen Sitte der Leichenfeiern geworden war, wurde über den verstorbenen Bruder und die verstorbene Schwester gewehklagt, ihnen ein Weh zugerufen, wie aus der daraus hervorgegangenen jüdischen Todtenklage geschlossen werden darf. Die Aegypter, welche nach den Behauptungen der Griechen, zumal des Herodot II, 123 unter allen Völkern zuerst die Unsterblichkeit der Seele geglaubt und gelehrt haben und die alle rein und gerechtfertigt oder selig Verstorbene in das Lichtreich des Osiris eingegangen und mit ihm vereinigt dachten, mussten desshalb alle Menschen wenigstens beim Sarge und im Tode als Brüder und Schwestern, als Geschöpfe und Kinder des Osiris betrachten. Da die Juden, besonders in den Büchern Mosis, zugleich sehr ausgeprägt die Vorstellung einer Unterwelt

1) Lessing's gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. V. S. 324; Brugsch, a. a. O., S. 24 u. 25.

Die Aegypter sangen ihre Manerosklage, die Klage um die Flüchtigkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge, welche sich in die Trauer um den früh verstorbenen Adonis-Osiris mischte, nach Plutarch I, 1 und Herodot II, 78 auch bei den Gastmahlen, wobei man das Bild eines Verstorbenen in einer Kiste, – wie man sagte, des Osiris, mit der Mahnung umhertrug, dass Alle bald ebenfalls Solche sein werden und in Erinnerung an den nahenden Tod mässig im Genusse der Freuden sein sollten. Nach dem Vorgange der Aegypter wurde gemäss Petron auch bei den feierlichen Gastmahlen der Römer ein silbernes bewegliches Todtengerippe, Larva genannt, auf der Tafel aufgestellt, um zu einem desto eilfertigeren Genusse des Lebens zu ermuntern. Dieses Gerippe wurde durch einen Sklaven bei den Gästen mit den Worten herumgetragen oder sonst ihnen mit denselben gezeigt:

Heu, heu, nos miseros, quam totus homuncio nil est!
Sic erimus cuneti, postquam nos auferet Orcus.
Ergo vivamus, dum licet esse bene. 1)

In der ägyptischen Todtenklage, welche nach dem Vorbilde der Leichenfeiern des Adonis-Osiris zu einer allgemeinen Sitte der Leichenfeiern geworden war, wurde über den verstorbenen Bruder und die verstorbene Schwester gewehklagt, ihnen ein Weh zugerufen, wie aus der daraus hervorgegangenen jüdischen Todtenklage geschlossen werden darf. Die Aegypter, welche nach den Behauptungen der Griechen, zumal des Herodot II, 123 unter allen Völkern zuerst die Unsterblichkeit der Seele geglaubt und gelehrt haben und die alle rein und gerechtfertigt oder selig Verstorbene in das Lichtreich des Osiris eingegangen und mit ihm vereinigt dachten, mussten desshalb alle Menschen wenigstens beim Sarge und im Tode als Brüder und Schwestern, als Geschöpfe und Kinder des Osiris betrachten. Da die Juden, besonders in den Büchern Mosis, zugleich sehr ausgeprägt die Vorstellung einer Unterwelt

1) Lessing’s gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. V. S. 324; Brugsch, a. a. O., S. 24 u. 25.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0104" n="88"/>
        <p> Die Aegypter sangen ihre Manerosklage, die Klage um die Flüchtigkeit und Hinfälligkeit des
 menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge, welche sich in die Trauer um den früh verstorbenen
 Adonis-Osiris mischte, nach Plutarch I, 1 und Herodot II, 78 auch bei den Gastmahlen, wobei man das
 Bild eines Verstorbenen in einer Kiste, &#x2013; wie man sagte, des Osiris, mit der Mahnung umhertrug, dass
 Alle bald ebenfalls Solche sein werden und in Erinnerung an den nahenden Tod mässig im Genusse der
 Freuden sein sollten. Nach dem Vorgange der Aegypter wurde gemäss Petron auch bei den feierlichen
 Gastmahlen der Römer ein silbernes bewegliches Todtengerippe, Larva genannt, auf der Tafel
 aufgestellt, um zu einem desto eilfertigeren Genusse des Lebens zu ermuntern. Dieses Gerippe wurde
 durch einen Sklaven bei den Gästen mit den Worten herumgetragen oder sonst ihnen mit denselben
 gezeigt:</p>
        <p>
          <cit rendition="#et">
            <quote> Heu, heu, nos miseros, quam totus homuncio nil est!<lb/>
Sic erimus cuneti, postquam nos
 auferet Orcus.<lb/>
Ergo vivamus, dum licet esse bene. <note place="foot" n="1)">Lessing&#x2019;s
 gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. V. S. 324; Brugsch, a. a. O., S. 24 u. 25.</note></quote>
          </cit>
        </p>
        <p> In der ägyptischen Todtenklage, welche nach dem Vorbilde der Leichenfeiern des Adonis-Osiris zu
 einer allgemeinen Sitte der Leichenfeiern geworden war, wurde über den verstorbenen Bruder und die
 verstorbene Schwester gewehklagt, ihnen ein Weh zugerufen, wie aus der daraus hervorgegangenen
 jüdischen Todtenklage geschlossen werden darf. Die Aegypter, welche nach den Behauptungen der
 Griechen, zumal des Herodot II, 123 unter allen Völkern zuerst die Unsterblichkeit der Seele
 geglaubt und gelehrt haben und die alle rein und gerechtfertigt oder selig Verstorbene in das
 Lichtreich des Osiris eingegangen und mit ihm vereinigt dachten, mussten desshalb alle Menschen
 wenigstens beim Sarge und im Tode als Brüder und Schwestern, als Geschöpfe und Kinder des Osiris
 betrachten. Da die Juden, besonders in den Büchern Mosis, zugleich sehr ausgeprägt die Vorstellung
 einer Unterwelt
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0104] Die Aegypter sangen ihre Manerosklage, die Klage um die Flüchtigkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge, welche sich in die Trauer um den früh verstorbenen Adonis-Osiris mischte, nach Plutarch I, 1 und Herodot II, 78 auch bei den Gastmahlen, wobei man das Bild eines Verstorbenen in einer Kiste, – wie man sagte, des Osiris, mit der Mahnung umhertrug, dass Alle bald ebenfalls Solche sein werden und in Erinnerung an den nahenden Tod mässig im Genusse der Freuden sein sollten. Nach dem Vorgange der Aegypter wurde gemäss Petron auch bei den feierlichen Gastmahlen der Römer ein silbernes bewegliches Todtengerippe, Larva genannt, auf der Tafel aufgestellt, um zu einem desto eilfertigeren Genusse des Lebens zu ermuntern. Dieses Gerippe wurde durch einen Sklaven bei den Gästen mit den Worten herumgetragen oder sonst ihnen mit denselben gezeigt: Heu, heu, nos miseros, quam totus homuncio nil est! Sic erimus cuneti, postquam nos auferet Orcus. Ergo vivamus, dum licet esse bene. 1) In der ägyptischen Todtenklage, welche nach dem Vorbilde der Leichenfeiern des Adonis-Osiris zu einer allgemeinen Sitte der Leichenfeiern geworden war, wurde über den verstorbenen Bruder und die verstorbene Schwester gewehklagt, ihnen ein Weh zugerufen, wie aus der daraus hervorgegangenen jüdischen Todtenklage geschlossen werden darf. Die Aegypter, welche nach den Behauptungen der Griechen, zumal des Herodot II, 123 unter allen Völkern zuerst die Unsterblichkeit der Seele geglaubt und gelehrt haben und die alle rein und gerechtfertigt oder selig Verstorbene in das Lichtreich des Osiris eingegangen und mit ihm vereinigt dachten, mussten desshalb alle Menschen wenigstens beim Sarge und im Tode als Brüder und Schwestern, als Geschöpfe und Kinder des Osiris betrachten. Da die Juden, besonders in den Büchern Mosis, zugleich sehr ausgeprägt die Vorstellung einer Unterwelt 1) Lessing’s gesammelte Werke, Leipzig 1841, Bd. V. S. 324; Brugsch, a. a. O., S. 24 u. 25.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/104
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/104>, abgerufen am 27.11.2024.