Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 350. Origo und domicilium. Einleitung.
drücke, dem domicilium, wenig Gefahr, indem sich hierin
der Rechtszustand wesentlich nicht verändert hat, dabei also
schon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf-
fassung festzuhalten. Anders verhält es sich mit der origo
(Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil
die Aussprüche des Römischen Rechts über diesen Gegen-
stand dunkel oder zweideutig wären, sondern weil hierin
unser Rechtszustand von dem Römischen durchaus verschie-
den ist, die Lebenserfahrung also nicht schon als Schutz gegen
eine unrichtige Auffassung der Begriffe dienen kann. Da
nun der eben erwähnte Ausdruck an sich leicht dahin führt,
ihn von dem Geburtsort zu verstehen, so hat sich dieser
letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung
verschafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung
der origo aus den Quellen des Römischen Rechts an-
geben (a). Der bloße Geburtsort an sich aber ist ein höchst
zufälliger Umstand, ohne allen juristischen Einfluß.

Bevor nun der wahre Sinn jener Kunstausdrücke fest-
gestellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß
die praktische Bedeutung derselben keinesweges auf die Ent-

(a) Voet. ad Pand. V. 1.
§. 91. "Est autem originis lo-
cus, in quo quis natus est, aut
nasci debuit, licet forte re
ipsa alibi natus esset, matre in
peregrinatione parturiente."

Durch den Zusatz wird allerdings
den nachtheiligen Folgen des fal-
schen Grundbegriffs entgegen ge-
arbeitet; die folgenden Allegate
aber erwähnen, daß hierin die
Meinungen schwankend seien. Eben
so ist Glück B. 6 § 511 schwan-
kend und verworren, indem mitten
in die richtigen Angaben immer
wieder der Geburtsort hinein
spielt.

§. 350. Origo und domicilium. Einleitung.
drücke, dem domicilium, wenig Gefahr, indem ſich hierin
der Rechtszuſtand weſentlich nicht verändert hat, dabei alſo
ſchon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf-
faſſung feſtzuhalten. Anders verhält es ſich mit der origo
(Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil
die Ausſprüche des Römiſchen Rechts über dieſen Gegen-
ſtand dunkel oder zweideutig wären, ſondern weil hierin
unſer Rechtszuſtand von dem Römiſchen durchaus verſchie-
den iſt, die Lebenserfahrung alſo nicht ſchon als Schutz gegen
eine unrichtige Auffaſſung der Begriffe dienen kann. Da
nun der eben erwähnte Ausdruck an ſich leicht dahin führt,
ihn von dem Geburtsort zu verſtehen, ſo hat ſich dieſer
letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung
verſchafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung
der origo aus den Quellen des Römiſchen Rechts an-
geben (a). Der bloße Geburtsort an ſich aber iſt ein höchſt
zufälliger Umſtand, ohne allen juriſtiſchen Einfluß.

Bevor nun der wahre Sinn jener Kunſtausdrücke feſt-
geſtellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß
die praktiſche Bedeutung derſelben keinesweges auf die Ent-

(a) Voet. ad Pand. V. 1.
§. 91. „Est autem originis lo-
cus, in quo quis natus est, aut
nasci debuit, licet forte re
ipsa alibi natus esset, matre in
peregrinatione parturiente.“

Durch den Zuſatz wird allerdings
den nachtheiligen Folgen des fal-
ſchen Grundbegriffs entgegen ge-
arbeitet; die folgenden Allegate
aber erwähnen, daß hierin die
Meinungen ſchwankend ſeien. Eben
ſo iſt Glück B. 6 § 511 ſchwan-
kend und verworren, indem mitten
in die richtigen Angaben immer
wieder der Geburtsort hinein
ſpielt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0063" n="41"/><fw place="top" type="header">§. 350. <hi rendition="#aq">Origo</hi> und <hi rendition="#aq">domicilium.</hi> Einleitung.</fw><lb/>
drücke, dem <hi rendition="#aq">domicilium,</hi> wenig Gefahr, indem &#x017F;ich hierin<lb/>
der Rechtszu&#x017F;tand we&#x017F;entlich nicht verändert hat, dabei al&#x017F;o<lb/>
&#x017F;chon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung fe&#x017F;tzuhalten. Anders verhält es &#x017F;ich mit der <hi rendition="#aq">origo</hi><lb/>
(Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil<lb/>
die Aus&#x017F;prüche des Römi&#x017F;chen Rechts über die&#x017F;en Gegen-<lb/>
&#x017F;tand dunkel oder zweideutig wären, &#x017F;ondern weil hierin<lb/>
un&#x017F;er Rechtszu&#x017F;tand von dem Römi&#x017F;chen durchaus ver&#x017F;chie-<lb/>
den i&#x017F;t, die Lebenserfahrung al&#x017F;o nicht &#x017F;chon als Schutz gegen<lb/>
eine unrichtige Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Begriffe dienen kann. Da<lb/>
nun der eben erwähnte Ausdruck an &#x017F;ich leicht dahin führt,<lb/>
ihn von dem <hi rendition="#g">Geburtsort</hi> zu ver&#x017F;tehen, &#x017F;o hat &#x017F;ich die&#x017F;er<lb/>
letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung<lb/>
ver&#x017F;chafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung<lb/>
der <hi rendition="#aq">origo</hi> aus den Quellen des Römi&#x017F;chen Rechts an-<lb/>
geben <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Voet</hi>. ad Pand. V. 1.<lb/>
§. 91. &#x201E;Est autem originis lo-<lb/>
cus, in quo quis <hi rendition="#i">natus est,</hi> aut<lb/>
nasci debuit, licet forte re<lb/>
ipsa alibi natus esset, matre in<lb/>
peregrinatione parturiente.&#x201C;</hi><lb/>
Durch den Zu&#x017F;atz wird allerdings<lb/>
den nachtheiligen Folgen des fal-<lb/>
&#x017F;chen Grundbegriffs entgegen ge-<lb/>
arbeitet; die folgenden Allegate<lb/>
aber erwähnen, daß hierin die<lb/>
Meinungen &#x017F;chwankend &#x017F;eien. Eben<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t <hi rendition="#g">Glück</hi> B. 6 § 511 &#x017F;chwan-<lb/>
kend und verworren, indem mitten<lb/>
in die richtigen Angaben immer<lb/>
wieder der <hi rendition="#g">Geburtsort</hi> hinein<lb/>
&#x017F;pielt.</note>. Der bloße Geburtsort an &#x017F;ich aber i&#x017F;t ein höch&#x017F;t<lb/>
zufälliger Um&#x017F;tand, ohne allen juri&#x017F;ti&#x017F;chen Einfluß.</p><lb/>
            <p>Bevor nun der wahre Sinn jener Kun&#x017F;tausdrücke fe&#x017F;t-<lb/>
ge&#x017F;tellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß<lb/>
die prakti&#x017F;che Bedeutung der&#x017F;elben keinesweges auf die Ent-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0063] §. 350. Origo und domicilium. Einleitung. drücke, dem domicilium, wenig Gefahr, indem ſich hierin der Rechtszuſtand weſentlich nicht verändert hat, dabei alſo ſchon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf- faſſung feſtzuhalten. Anders verhält es ſich mit der origo (Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil die Ausſprüche des Römiſchen Rechts über dieſen Gegen- ſtand dunkel oder zweideutig wären, ſondern weil hierin unſer Rechtszuſtand von dem Römiſchen durchaus verſchie- den iſt, die Lebenserfahrung alſo nicht ſchon als Schutz gegen eine unrichtige Auffaſſung der Begriffe dienen kann. Da nun der eben erwähnte Ausdruck an ſich leicht dahin führt, ihn von dem Geburtsort zu verſtehen, ſo hat ſich dieſer letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung verſchafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung der origo aus den Quellen des Römiſchen Rechts an- geben (a). Der bloße Geburtsort an ſich aber iſt ein höchſt zufälliger Umſtand, ohne allen juriſtiſchen Einfluß. Bevor nun der wahre Sinn jener Kunſtausdrücke feſt- geſtellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß die praktiſche Bedeutung derſelben keinesweges auf die Ent- (a) Voet. ad Pand. V. 1. §. 91. „Est autem originis lo- cus, in quo quis natus est, aut nasci debuit, licet forte re ipsa alibi natus esset, matre in peregrinatione parturiente.“ Durch den Zuſatz wird allerdings den nachtheiligen Folgen des fal- ſchen Grundbegriffs entgegen ge- arbeitet; die folgenden Allegate aber erwähnen, daß hierin die Meinungen ſchwankend ſeien. Eben ſo iſt Glück B. 6 § 511 ſchwan- kend und verworren, indem mitten in die richtigen Angaben immer wieder der Geburtsort hinein ſpielt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/63
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/63>, abgerufen am 02.05.2024.