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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.

Durch diese Gründe sollte jedoch nur die Behauptung un-
bedingter Rechtswidrigkeit aller Gesetze der hier betrachteten
Art widerlegt werden. Ich bin aber weit entfernt, damit
der schrankenlosen und willkürlichen Einwirkung durch solche
Gesetze das Wort reden zu wollen. Es sollte vielmehr die
ganze Frage von dem absoluten Rechtsboden entfernt, und
in das Gebiet der Gesetzgebungspolitik hinüber geleitet
werden, wo ihr wahrer Sitz ist, und wo vielen verderb-
lichen Mißgriffen entgegen gewirkt werden kann durch die
ernste Aufforderung zur Vorsicht, Besonnenheit und
Mäßigung. Die Hauptgesichtspunkte, worauf es ankommt,
möchten etwa folgende seyn.

Die erste Vorsicht muß dahin gehen, nicht leichtsinnig
zu verfahren, nicht ohne Noth ein Bedürfniß zu Gesetzen
solcher Art anzunehmen, also mißtrauisch zu seyn gegen die
aus bloßen Theorien abgeleitete, durch angebliche öffentliche
Meinung unterstützte, Behauptung, daß das gemeine Wohl
eine Neuerung erfordere.

Zweitens ist in die Ausführung die höchste Schonung
und Billigkeit zu legen. Diese wird bei den meisten und
wichtigsten Gesetzen dieser Klasse, die sich auf stets fort-
währende Rechtsverhältnisse beziehen (§ 399. I.), darin be-
stehen müssen, daß ein Rechtsinstitut nicht aufgehoben,
sondern umgebildet, das Rechtsverhältniß aus einem unab-
löslichen in ein ablösliches verwandelt werde. Wird in
dieser Weise auf eine wahre, vollständige Entschädigung
des Berechtigten hingewirkt, so hat das Gesetz seinen Be-

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.

Durch dieſe Gründe ſollte jedoch nur die Behauptung un-
bedingter Rechtswidrigkeit aller Geſetze der hier betrachteten
Art widerlegt werden. Ich bin aber weit entfernt, damit
der ſchrankenloſen und willkürlichen Einwirkung durch ſolche
Geſetze das Wort reden zu wollen. Es ſollte vielmehr die
ganze Frage von dem abſoluten Rechtsboden entfernt, und
in das Gebiet der Geſetzgebungspolitik hinüber geleitet
werden, wo ihr wahrer Sitz iſt, und wo vielen verderb-
lichen Mißgriffen entgegen gewirkt werden kann durch die
ernſte Aufforderung zur Vorſicht, Beſonnenheit und
Mäßigung. Die Hauptgeſichtspunkte, worauf es ankommt,
möchten etwa folgende ſeyn.

Die erſte Vorſicht muß dahin gehen, nicht leichtſinnig
zu verfahren, nicht ohne Noth ein Bedürfniß zu Geſetzen
ſolcher Art anzunehmen, alſo mißtrauiſch zu ſeyn gegen die
aus bloßen Theorien abgeleitete, durch angebliche öffentliche
Meinung unterſtützte, Behauptung, daß das gemeine Wohl
eine Neuerung erfordere.

Zweitens iſt in die Ausführung die höchſte Schonung
und Billigkeit zu legen. Dieſe wird bei den meiſten und
wichtigſten Geſetzen dieſer Klaſſe, die ſich auf ſtets fort-
währende Rechtsverhältniſſe beziehen (§ 399. I.), darin be-
ſtehen müſſen, daß ein Rechtsinſtitut nicht aufgehoben,
ſondern umgebildet, das Rechtsverhältniß aus einem unab-
löslichen in ein ablösliches verwandelt werde. Wird in
dieſer Weiſe auf eine wahre, vollſtändige Entſchädigung
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[538/0560] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Durch dieſe Gründe ſollte jedoch nur die Behauptung un- bedingter Rechtswidrigkeit aller Geſetze der hier betrachteten Art widerlegt werden. Ich bin aber weit entfernt, damit der ſchrankenloſen und willkürlichen Einwirkung durch ſolche Geſetze das Wort reden zu wollen. Es ſollte vielmehr die ganze Frage von dem abſoluten Rechtsboden entfernt, und in das Gebiet der Geſetzgebungspolitik hinüber geleitet werden, wo ihr wahrer Sitz iſt, und wo vielen verderb- lichen Mißgriffen entgegen gewirkt werden kann durch die ernſte Aufforderung zur Vorſicht, Beſonnenheit und Mäßigung. Die Hauptgeſichtspunkte, worauf es ankommt, möchten etwa folgende ſeyn. Die erſte Vorſicht muß dahin gehen, nicht leichtſinnig zu verfahren, nicht ohne Noth ein Bedürfniß zu Geſetzen ſolcher Art anzunehmen, alſo mißtrauiſch zu ſeyn gegen die aus bloßen Theorien abgeleitete, durch angebliche öffentliche Meinung unterſtützte, Behauptung, daß das gemeine Wohl eine Neuerung erfordere. Zweitens iſt in die Ausführung die höchſte Schonung und Billigkeit zu legen. Dieſe wird bei den meiſten und wichtigſten Geſetzen dieſer Klaſſe, die ſich auf ſtets fort- währende Rechtsverhältniſſe beziehen (§ 399. I.), darin be- ſtehen müſſen, daß ein Rechtsinſtitut nicht aufgehoben, ſondern umgebildet, das Rechtsverhältniß aus einem unab- löslichen in ein ablösliches verwandelt werde. Wird in dieſer Weiſe auf eine wahre, vollſtändige Entſchädigung des Berechtigten hingewirkt, ſo hat das Geſetz ſeinen Be-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/560>, abgerufen am 24.11.2024.