Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Der Widerspruch gegen denselben gründet sich haupt- sächlich auf folgende Verwechselung. Man sagt, der Grundsatz der Nichtrückwirkung der Gesetze bezwecke blos die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein Recht erworben, ein solcher Erwerb trete für ihn ein erst durch den Antritt der Erbschaft, und bis zu dieser könne daher ein neues Gesetz die Erbfolge ändern, ohne sich einer fehlerhaften Rückwirkung schuldig zu machen; beide Mo- mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweise zu- sammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbschaft erwerbe.
Allein durch den bloßen Anfall der Erbschaft ist dem berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That schon erworben, und zwar ohne sein Zuthun, selbst ohne sein Wissen: das ausschließende Recht nämlich, die deferirte Erbschaft anzutreten und dadurch in sein Vermögen zu ver- wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuschlagen. Dieses ist ein wahres, erworbenes Recht, eben so sehr, wie jedes andere, durch den Grundsatz der rückwirkenden Kraft gegen ungehörige Einwirkung neuer Gesetze geschützt, also von einer bloßen Erwartung durchaus verschieden: nur freilich ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als das, welches nachher durch den Antritt der Erbschaft ent- steht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt- ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo- mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu- ſammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbſchaft erwerbe.
Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver- wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent- ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0512"n="490"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">III.</hi> Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi> Zeitliche Gränzen.</fw><lb/><p>Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt-<lb/>ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der<lb/>
Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos<lb/>
die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber<lb/>
habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein<lb/>
Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt<lb/>
durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne<lb/>
daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer<lb/>
fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo-<lb/>
mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu-<lb/>ſammen, bei dem <hirendition="#aq">Suus heres,</hi> der <hirendition="#aq">ipso jure</hi> die Erbſchaft<lb/>
erwerbe.</p><lb/><p>Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem<lb/>
berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon<lb/>
erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein<lb/>
Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte<lb/>
Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver-<lb/>
wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes<lb/>
iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes<lb/>
andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen<lb/>
ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von<lb/>
einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich<lb/>
ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als<lb/>
das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent-<lb/>ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes<lb/>
Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[490/0512]
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt-
ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der
Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos
die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber
habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein
Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt
durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne
daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer
fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo-
mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu-
ſammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbſchaft
erwerbe.
Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem
berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon
erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein
Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte
Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver-
wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes
iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes
andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen
ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von
einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich
ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als
das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent-
ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes
Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/512>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.