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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
in demselben Staate, sondern in mehreren von einander un-
abhängigen Staaten bestehen (§ 347). Sehen wir dabei
zurück auf die schon oben zur Erläuterung der ganzen
Collisionsfrage angegebenen Beispiele (§ 346), so nehmen
diese nunmehr folgende Gestalt an. Ein Richter unseres
Staates hat zu entscheiden über ein streitiges Rechtsver-
hältniß, das durch die Thatsachen, die ihm zum Grunde
liegen (z. B. den Ort, wo ein Vertrag abgeschlossen ist,
oder wo sich eine streitige Sache befindet), mit dem von
unsrem positiven Rechte abweichenden Rechte eines fremden
Staates in Berührung steht. Daneben ist es möglich, daß
beide Parteien Inländer, oder beide Ausländer sind, oder
daß die eine dem Inlande, die andere dem Auslande per-
sönlich angehört. Welches der verschiedenen hier einschla-
genden Territorialrechte hat der Richter zur Anwendung zu
bringen?

Ganz dieselbe Frage könnte auch dem Richter jenes
fremden Staates zur Entscheidung vorliegen, wenn zufällig
der Rechtsstreit nicht in unsrem, sondern in dem fremden
Staate entstanden wäre.

Manche haben versucht, diese Fragen lediglich durch
den Grundsatz der unabhängigen Staatsgewalt (Souverä-
nität) zu entscheiden, indem sie folgende zwei Regeln an die
Spitze stellen. 1. Jeder Staat kann fordern, daß inner-
halb seiner Gränzen lediglich sein Gesetz gelte. 2. Kein

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
in demſelben Staate, ſondern in mehreren von einander un-
abhängigen Staaten beſtehen (§ 347). Sehen wir dabei
zurück auf die ſchon oben zur Erläuterung der ganzen
Colliſionsfrage angegebenen Beiſpiele (§ 346), ſo nehmen
dieſe nunmehr folgende Geſtalt an. Ein Richter unſeres
Staates hat zu entſcheiden über ein ſtreitiges Rechtsver-
hältniß, das durch die Thatſachen, die ihm zum Grunde
liegen (z. B. den Ort, wo ein Vertrag abgeſchloſſen iſt,
oder wo ſich eine ſtreitige Sache befindet), mit dem von
unſrem poſitiven Rechte abweichenden Rechte eines fremden
Staates in Berührung ſteht. Daneben iſt es möglich, daß
beide Parteien Inländer, oder beide Ausländer ſind, oder
daß die eine dem Inlande, die andere dem Auslande per-
ſönlich angehört. Welches der verſchiedenen hier einſchla-
genden Territorialrechte hat der Richter zur Anwendung zu
bringen?

Ganz dieſelbe Frage könnte auch dem Richter jenes
fremden Staates zur Entſcheidung vorliegen, wenn zufällig
der Rechtsſtreit nicht in unſrem, ſondern in dem fremden
Staate entſtanden wäre.

Manche haben verſucht, dieſe Fragen lediglich durch
den Grundſatz der unabhängigen Staatsgewalt (Souverä-
nität) zu entſcheiden, indem ſie folgende zwei Regeln an die
Spitze ſtellen. 1. Jeder Staat kann fordern, daß inner-
halb ſeiner Gränzen lediglich ſein Geſetz gelte. 2. Kein

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[24/0046] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. in demſelben Staate, ſondern in mehreren von einander un- abhängigen Staaten beſtehen (§ 347). Sehen wir dabei zurück auf die ſchon oben zur Erläuterung der ganzen Colliſionsfrage angegebenen Beiſpiele (§ 346), ſo nehmen dieſe nunmehr folgende Geſtalt an. Ein Richter unſeres Staates hat zu entſcheiden über ein ſtreitiges Rechtsver- hältniß, das durch die Thatſachen, die ihm zum Grunde liegen (z. B. den Ort, wo ein Vertrag abgeſchloſſen iſt, oder wo ſich eine ſtreitige Sache befindet), mit dem von unſrem poſitiven Rechte abweichenden Rechte eines fremden Staates in Berührung ſteht. Daneben iſt es möglich, daß beide Parteien Inländer, oder beide Ausländer ſind, oder daß die eine dem Inlande, die andere dem Auslande per- ſönlich angehört. Welches der verſchiedenen hier einſchla- genden Territorialrechte hat der Richter zur Anwendung zu bringen? Ganz dieſelbe Frage könnte auch dem Richter jenes fremden Staates zur Entſcheidung vorliegen, wenn zufällig der Rechtsſtreit nicht in unſrem, ſondern in dem fremden Staate entſtanden wäre. Manche haben verſucht, dieſe Fragen lediglich durch den Grundſatz der unabhängigen Staatsgewalt (Souverä- nität) zu entſcheiden, indem ſie folgende zwei Regeln an die Spitze ſtellen. 1. Jeder Staat kann fordern, daß inner- halb ſeiner Gränzen lediglich ſein Geſetz gelte. 2. Kein

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/46>, abgerufen am 29.03.2024.