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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
man sich klar zu machen sucht, warum denn der Testator
die zur Zeit des errichteten Testaments bestehende gesetzliche
Form unbeachtet gelassen hat. Es kann Dieses geschehen
seyn aus bloßer Rechtsunkunde, während ein ernster, be-
sonnener Wille in der That vorhanden war; auf dieser
Voraussetzung beruht ohne Zweifel die angeführte Vorschrift
des Landrechts, die als reine Wohlthat gedacht wird. Aber
es kann auch geschehen seyn mit vollem Bewußtseyn des
bestehenden Rechts, so daß das eigenhändige Privattesta-
ment eine bloße Vorbereitung seyn sollte zu einem gericht-
lichen Akt, dessen Vornahme der Testator noch einer weitern
Ueberlegung vorbehalten wollte. Dann bekräftigen wir,
in Folge jenes Gesetzes, ein Testament, wozu der wahre,
letzte Entschluß vielleicht niemals vorhanden war. Auf der
anderen Seite kann man sagen, daß der Testator, indem
er das Privattestament nach Erscheinung des neuen Ge-
setzes aufbewahrte, so zu betrachten ist, als hätte er es
jetzt neu geschrieben, wozu er doch unstreitig befugt war.
Allein gerade bei Testamenten ist Nichts gewöhnlicher, als
das unbestimmte Hinausschieben, und so ist Nichts unsicherer,
als irgend eine Voraussetzung, die hierauf über den wahren,
endlichen Willen gebaut werden möchte. Man verwickelt
sich dabei in die Erwägung zufälliger, blos möglicher Um-
stände, und bei unbefangener Betrachtung wird man ein-
räumen müssen, daß es durchaus an einem befriedigenden
Grunde fehlt, von der reinen juristischen Regel: tempus
regit actum,
abzugehen, und daß man dabei in Gefahr

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
man ſich klar zu machen ſucht, warum denn der Teſtator
die zur Zeit des errichteten Teſtaments beſtehende geſetzliche
Form unbeachtet gelaſſen hat. Es kann Dieſes geſchehen
ſeyn aus bloßer Rechtsunkunde, während ein ernſter, be-
ſonnener Wille in der That vorhanden war; auf dieſer
Vorausſetzung beruht ohne Zweifel die angeführte Vorſchrift
des Landrechts, die als reine Wohlthat gedacht wird. Aber
es kann auch geſchehen ſeyn mit vollem Bewußtſeyn des
beſtehenden Rechts, ſo daß das eigenhändige Privatteſta-
ment eine bloße Vorbereitung ſeyn ſollte zu einem gericht-
lichen Akt, deſſen Vornahme der Teſtator noch einer weitern
Ueberlegung vorbehalten wollte. Dann bekräftigen wir,
in Folge jenes Geſetzes, ein Teſtament, wozu der wahre,
letzte Entſchluß vielleicht niemals vorhanden war. Auf der
anderen Seite kann man ſagen, daß der Teſtator, indem
er das Privatteſtament nach Erſcheinung des neuen Ge-
ſetzes aufbewahrte, ſo zu betrachten iſt, als hätte er es
jetzt neu geſchrieben, wozu er doch unſtreitig befugt war.
Allein gerade bei Teſtamenten iſt Nichts gewöhnlicher, als
das unbeſtimmte Hinausſchieben, und ſo iſt Nichts unſicherer,
als irgend eine Vorausſetzung, die hierauf über den wahren,
endlichen Willen gebaut werden möchte. Man verwickelt
ſich dabei in die Erwägung zufälliger, blos möglicher Um-
ſtände, und bei unbefangener Betrachtung wird man ein-
räumen müſſen, daß es durchaus an einem befriedigenden
Grunde fehlt, von der reinen juriſtiſchen Regel: tempus
regit actum,
abzugehen, und daß man dabei in Gefahr

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[412/0434] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. man ſich klar zu machen ſucht, warum denn der Teſtator die zur Zeit des errichteten Teſtaments beſtehende geſetzliche Form unbeachtet gelaſſen hat. Es kann Dieſes geſchehen ſeyn aus bloßer Rechtsunkunde, während ein ernſter, be- ſonnener Wille in der That vorhanden war; auf dieſer Vorausſetzung beruht ohne Zweifel die angeführte Vorſchrift des Landrechts, die als reine Wohlthat gedacht wird. Aber es kann auch geſchehen ſeyn mit vollem Bewußtſeyn des beſtehenden Rechts, ſo daß das eigenhändige Privatteſta- ment eine bloße Vorbereitung ſeyn ſollte zu einem gericht- lichen Akt, deſſen Vornahme der Teſtator noch einer weitern Ueberlegung vorbehalten wollte. Dann bekräftigen wir, in Folge jenes Geſetzes, ein Teſtament, wozu der wahre, letzte Entſchluß vielleicht niemals vorhanden war. Auf der anderen Seite kann man ſagen, daß der Teſtator, indem er das Privatteſtament nach Erſcheinung des neuen Ge- ſetzes aufbewahrte, ſo zu betrachten iſt, als hätte er es jetzt neu geſchrieben, wozu er doch unſtreitig befugt war. Allein gerade bei Teſtamenten iſt Nichts gewöhnlicher, als das unbeſtimmte Hinausſchieben, und ſo iſt Nichts unſicherer, als irgend eine Vorausſetzung, die hierauf über den wahren, endlichen Willen gebaut werden möchte. Man verwickelt ſich dabei in die Erwägung zufälliger, blos möglicher Um- ſtände, und bei unbefangener Betrachtung wird man ein- räumen müſſen, daß es durchaus an einem befriedigenden Grunde fehlt, von der reinen juriſtiſchen Regel: tempus regit actum, abzugehen, und daß man dabei in Gefahr

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/434>, abgerufen am 22.11.2024.