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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
eine dritte, vermittelnde Meinung annehmen zu wollen.
Vielmehr liegt darin eben unsere ganze, vollständige Mei-
nung, da Niemand daran denkt, die Nachfolge in Lehen,
Fideicommisse u. s. w. von der lex rei sitae auszuschließen.
Die einzige Streitfrage ist die, ob in Ansehung der gewöhn-
lichen, reinen Intestaterbfolge auf die unbeweglichen Theile
des Vermögens die lex rei sitae angewendet werden soll
(wie die Gegner wollen) oder nicht (wie wir behaupten).
Ein besonders wichtiger Grund aber, unsre Auslegung
nicht blos für räthlich und wünschenswerth in ihren Folgen,
sondern auch für wahr anzunehmen, liegt in der ungemei-
nen praktischen Schwierigkeit der Ausführung, die mit der
entgegengesetzten Auslegung verbunden seyn würde. -- Ein
Beispiel möge diese Schwierigkeit anschaulich machen. Ein
Einwohner von Berlin stirbt ohne Testament, und hinter-
läßt eine Wittwe und mehrere nahe Verwandte verschiede-
ner Art. Das Vermögen besteht aus einem Landgut bei
Berlin, einem Landgut in Schlesien, einem Hause in Ehren-
breitstein, einem Hause in Coblenz; daneben hat er viele
persönliche Schulden, die natürlich auf allen Theilen des
Vermögens haften. Nach der Meinung der Gegner müß-
ten auf die Erbfolge in die Grundstücke nicht weniger, als
Vier Gesetze zur Anwendung kommen, die auf ganz ver-
schiedene Erben führen können: in der Mark Branden-
burg die Joachimica von 1527 (b), mit dem Anspruch der

(b) Corpus constitut. Marchicarum von Mylius Th. 2.
Abth. 1 S. 19.

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
eine dritte, vermittelnde Meinung annehmen zu wollen.
Vielmehr liegt darin eben unſere ganze, vollſtändige Mei-
nung, da Niemand daran denkt, die Nachfolge in Lehen,
Fideicommiſſe u. ſ. w. von der lex rei sitae auszuſchließen.
Die einzige Streitfrage iſt die, ob in Anſehung der gewöhn-
lichen, reinen Inteſtaterbfolge auf die unbeweglichen Theile
des Vermögens die lex rei sitae angewendet werden ſoll
(wie die Gegner wollen) oder nicht (wie wir behaupten).
Ein beſonders wichtiger Grund aber, unſre Auslegung
nicht blos für räthlich und wünſchenswerth in ihren Folgen,
ſondern auch für wahr anzunehmen, liegt in der ungemei-
nen praktiſchen Schwierigkeit der Ausführung, die mit der
entgegengeſetzten Auslegung verbunden ſeyn würde. — Ein
Beiſpiel möge dieſe Schwierigkeit anſchaulich machen. Ein
Einwohner von Berlin ſtirbt ohne Teſtament, und hinter-
läßt eine Wittwe und mehrere nahe Verwandte verſchiede-
ner Art. Das Vermögen beſteht aus einem Landgut bei
Berlin, einem Landgut in Schleſien, einem Hauſe in Ehren-
breitſtein, einem Hauſe in Coblenz; daneben hat er viele
perſönliche Schulden, die natürlich auf allen Theilen des
Vermögens haften. Nach der Meinung der Gegner müß-
ten auf die Erbfolge in die Grundſtücke nicht weniger, als
Vier Geſetze zur Anwendung kommen, die auf ganz ver-
ſchiedene Erben führen können: in der Mark Branden-
burg die Joachimica von 1527 (b), mit dem Anſpruch der

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Abth. 1 S. 19.
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[320/0342] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. eine dritte, vermittelnde Meinung annehmen zu wollen. Vielmehr liegt darin eben unſere ganze, vollſtändige Mei- nung, da Niemand daran denkt, die Nachfolge in Lehen, Fideicommiſſe u. ſ. w. von der lex rei sitae auszuſchließen. Die einzige Streitfrage iſt die, ob in Anſehung der gewöhn- lichen, reinen Inteſtaterbfolge auf die unbeweglichen Theile des Vermögens die lex rei sitae angewendet werden ſoll (wie die Gegner wollen) oder nicht (wie wir behaupten). Ein beſonders wichtiger Grund aber, unſre Auslegung nicht blos für räthlich und wünſchenswerth in ihren Folgen, ſondern auch für wahr anzunehmen, liegt in der ungemei- nen praktiſchen Schwierigkeit der Ausführung, die mit der entgegengeſetzten Auslegung verbunden ſeyn würde. — Ein Beiſpiel möge dieſe Schwierigkeit anſchaulich machen. Ein Einwohner von Berlin ſtirbt ohne Teſtament, und hinter- läßt eine Wittwe und mehrere nahe Verwandte verſchiede- ner Art. Das Vermögen beſteht aus einem Landgut bei Berlin, einem Landgut in Schleſien, einem Hauſe in Ehren- breitſtein, einem Hauſe in Coblenz; daneben hat er viele perſönliche Schulden, die natürlich auf allen Theilen des Vermögens haften. Nach der Meinung der Gegner müß- ten auf die Erbfolge in die Grundſtücke nicht weniger, als Vier Geſetze zur Anwendung kommen, die auf ganz ver- ſchiedene Erben führen können: in der Mark Branden- burg die Joachimica von 1527 (b), mit dem Anſpruch der (b) Corpus constitut. Marchicarum von Mylius Th. 2. Abth. 1 S. 19.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/342>, abgerufen am 25.11.2024.