§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsstand etc. (Forts.)
Zuerst kann die Gültigkeit des Vertrags durch gesetzliche Vorschrift, oder auch durch den Willen der Parteien, abhän- gig gemacht werden von der Beobachtung einer besonderen Form, etwa von schriftlicher, notarieller, gerichtlicher Ab- fassung. Dann ist der Ort, an welchem diese Form vollen- det wird, der wahre Ort des Vertrags, weil bis zu dieser Vollendung kein Theil gebunden ist (a).
Weit häufiger und schwieriger aber ist der Fall, wenn ein Vertrag nicht in persönlicher Zusammenkunft beider Theile geschlossen wird, sondern durch einen Boten, durch eine an verschiedenen Orten von Beiden unterzeichnete Ur- kunde, oder, welches das Häufigste ist, durch bloßen Brief- wechsel. Hier ist der wahre Ort des Vertrags ungemein bestritten. Für diesen Fall entstehen eigentlich drei, an sich verschiedene, Fragen, die jedoch von den Meisten vermischt behandelt werden: Wo ist der Vertrag geschlossen? Welcher Ort gilt für den Gerichtsstand? Welcher für das örtliche Recht? Die erste Frage beantworte ich unbedenklich dahin, daß der Vertrag da geschlossen ist, wo der erste Brief em- pfangen und von dem Empfänger die zustimmende Antwort abgesendet wird; denn an diesem Ort ist es zu einer über- einstimmenden Willenserklärung gekommen. Der Absender des ersten Briefes ist demnach so zu betrachten, als ob er sich durch eine Reise zu dem Anderen hinbegeben, und dessen
(a)L. 17 C. de fide instr. (4. 21). Vgl. Meier p. 58.
§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)
Zuerſt kann die Gültigkeit des Vertrags durch geſetzliche Vorſchrift, oder auch durch den Willen der Parteien, abhän- gig gemacht werden von der Beobachtung einer beſonderen Form, etwa von ſchriftlicher, notarieller, gerichtlicher Ab- faſſung. Dann iſt der Ort, an welchem dieſe Form vollen- det wird, der wahre Ort des Vertrags, weil bis zu dieſer Vollendung kein Theil gebunden iſt (a).
Weit häufiger und ſchwieriger aber iſt der Fall, wenn ein Vertrag nicht in perſönlicher Zuſammenkunft beider Theile geſchloſſen wird, ſondern durch einen Boten, durch eine an verſchiedenen Orten von Beiden unterzeichnete Ur- kunde, oder, welches das Häufigſte iſt, durch bloßen Brief- wechſel. Hier iſt der wahre Ort des Vertrags ungemein beſtritten. Für dieſen Fall entſtehen eigentlich drei, an ſich verſchiedene, Fragen, die jedoch von den Meiſten vermiſcht behandelt werden: Wo iſt der Vertrag geſchloſſen? Welcher Ort gilt für den Gerichtsſtand? Welcher für das örtliche Recht? Die erſte Frage beantworte ich unbedenklich dahin, daß der Vertrag da geſchloſſen iſt, wo der erſte Brief em- pfangen und von dem Empfänger die zuſtimmende Antwort abgeſendet wird; denn an dieſem Ort iſt es zu einer über- einſtimmenden Willenserklärung gekommen. Der Abſender des erſten Briefes iſt demnach ſo zu betrachten, als ob er ſich durch eine Reiſe zu dem Anderen hinbegeben, und deſſen
(a)L. 17 C. de fide instr. (4. 21). Vgl. Meier p. 58.
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§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)
Zuerſt kann die Gültigkeit des Vertrags durch geſetzliche
Vorſchrift, oder auch durch den Willen der Parteien, abhän-
gig gemacht werden von der Beobachtung einer beſonderen
Form, etwa von ſchriftlicher, notarieller, gerichtlicher Ab-
faſſung. Dann iſt der Ort, an welchem dieſe Form vollen-
det wird, der wahre Ort des Vertrags, weil bis zu dieſer
Vollendung kein Theil gebunden iſt (a).
Weit häufiger und ſchwieriger aber iſt der Fall, wenn
ein Vertrag nicht in perſönlicher Zuſammenkunft beider
Theile geſchloſſen wird, ſondern durch einen Boten, durch
eine an verſchiedenen Orten von Beiden unterzeichnete Ur-
kunde, oder, welches das Häufigſte iſt, durch bloßen Brief-
wechſel. Hier iſt der wahre Ort des Vertrags ungemein
beſtritten. Für dieſen Fall entſtehen eigentlich drei, an ſich
verſchiedene, Fragen, die jedoch von den Meiſten vermiſcht
behandelt werden: Wo iſt der Vertrag geſchloſſen? Welcher
Ort gilt für den Gerichtsſtand? Welcher für das örtliche
Recht? Die erſte Frage beantworte ich unbedenklich dahin,
daß der Vertrag da geſchloſſen iſt, wo der erſte Brief em-
pfangen und von dem Empfänger die zuſtimmende Antwort
abgeſendet wird; denn an dieſem Ort iſt es zu einer über-
einſtimmenden Willenserklärung gekommen. Der Abſender
des erſten Briefes iſt demnach ſo zu betrachten, als ob er
ſich durch eine Reiſe zu dem Anderen hinbegeben, und deſſen
(a) L. 17 C. de fide instr. (4. 21). Vgl. Meier p. 58.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/257>, abgerufen am 23.11.2024.
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