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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.

Zweitens könnte man versucht sein, der hier aufgestell-
ten Regel von der lex domicilii einen uneingeschränkten
Einfluß einzuräumen nur bei der Collision zwischen den
Particularrechten eines und desselben Staates (§ 347),
nicht so bei der Collision zwischen den Gesetzen souveräner
Staaten (§ 348); man könnte annehmen, daß für diese
Collision nicht sowohl der Wohnsitz, als vielmehr der
Staatsverband, das Unterthanenverhältniß, maaßgebend sein
müsse. -- In mehreren großen Staaten nämlich sind ge-
naue Bestimmungen erlassen worden über den Erwerb und
Verlust des Staatsbürgerrechts, und man könnte daher
glauben, in diesen Staaten sei die Anwendung des territo-
rialen Rechts auf die Einzelnen forthin bedingt durch das
Staatsbürgerrecht, nicht mehr durch den Wohnsitz, worin
also eine modificirte Rückkehr zu dem Römischen Begriff
der origo (verschieden von domicilium) gefunden werden
könnte.

Diese Annahme ist nicht ohne Schein im Französischen
Recht, welches genaue Bestimmungen enthält über die Ent-
stehung und Aufhebung der Eigenschaft eines Francais (d).
Daran knüpft sich dann die Bestimmung, daß der persön-
liche Zustand des Francais (l'etat et la capacite), auch wenn

(d) Code civil art. 9 -- 13.
17 -- 21. Von dem Francais ist
verschieden der citoyen, welcher
Ausdruck die politischen Rechte be-
zeichnet, art. 7. -- Auch Foelix
p.
36 - 39 spricht zwar zuerst von der
nationalite als Grundlage des
anzuwendenden örtlichen Rechts,
nimmt aber dann diesen Ausdruck
gleichbedeutend mit domicile, will
also nicht etwa in Widerspruch
treten mit der unter den Schrift-
stellern des gemeinen Rechts herr-
schenden Ansicht.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.

Zweitens könnte man verſucht ſein, der hier aufgeſtell-
ten Regel von der lex domicilii einen uneingeſchränkten
Einfluß einzuräumen nur bei der Colliſion zwiſchen den
Particularrechten eines und deſſelben Staates (§ 347),
nicht ſo bei der Colliſion zwiſchen den Geſetzen ſouveräner
Staaten (§ 348); man könnte annehmen, daß für dieſe
Colliſion nicht ſowohl der Wohnſitz, als vielmehr der
Staatsverband, das Unterthanenverhältniß, maaßgebend ſein
müſſe. — In mehreren großen Staaten nämlich ſind ge-
naue Beſtimmungen erlaſſen worden über den Erwerb und
Verluſt des Staatsbürgerrechts, und man könnte daher
glauben, in dieſen Staaten ſei die Anwendung des territo-
rialen Rechts auf die Einzelnen forthin bedingt durch das
Staatsbürgerrecht, nicht mehr durch den Wohnſitz, worin
alſo eine modificirte Rückkehr zu dem Römiſchen Begriff
der origo (verſchieden von domicilium) gefunden werden
könnte.

Dieſe Annahme iſt nicht ohne Schein im Franzöſiſchen
Recht, welches genaue Beſtimmungen enthält über die Ent-
ſtehung und Aufhebung der Eigenſchaft eines Français (d).
Daran knüpft ſich dann die Beſtimmung, daß der perſön-
liche Zuſtand des Français (l’état et la capacité), auch wenn

(d) Code civil art. 9 — 13.
17 — 21. Von dem Français iſt
verſchieden der citoyen, welcher
Ausdruck die politiſchen Rechte be-
zeichnet, art. 7. — Auch Foelix
p.
36 ‒ 39 ſpricht zwar zuerſt von der
nationalité als Grundlage des
anzuwendenden örtlichen Rechts,
nimmt aber dann dieſen Ausdruck
gleichbedeutend mit domicile, will
alſo nicht etwa in Widerſpruch
treten mit der unter den Schrift-
ſtellern des gemeinen Rechts herr-
ſchenden Anſicht.
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[98/0120] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. Zweitens könnte man verſucht ſein, der hier aufgeſtell- ten Regel von der lex domicilii einen uneingeſchränkten Einfluß einzuräumen nur bei der Colliſion zwiſchen den Particularrechten eines und deſſelben Staates (§ 347), nicht ſo bei der Colliſion zwiſchen den Geſetzen ſouveräner Staaten (§ 348); man könnte annehmen, daß für dieſe Colliſion nicht ſowohl der Wohnſitz, als vielmehr der Staatsverband, das Unterthanenverhältniß, maaßgebend ſein müſſe. — In mehreren großen Staaten nämlich ſind ge- naue Beſtimmungen erlaſſen worden über den Erwerb und Verluſt des Staatsbürgerrechts, und man könnte daher glauben, in dieſen Staaten ſei die Anwendung des territo- rialen Rechts auf die Einzelnen forthin bedingt durch das Staatsbürgerrecht, nicht mehr durch den Wohnſitz, worin alſo eine modificirte Rückkehr zu dem Römiſchen Begriff der origo (verſchieden von domicilium) gefunden werden könnte. Dieſe Annahme iſt nicht ohne Schein im Franzöſiſchen Recht, welches genaue Beſtimmungen enthält über die Ent- ſtehung und Aufhebung der Eigenſchaft eines Français (d). Daran knüpft ſich dann die Beſtimmung, daß der perſön- liche Zuſtand des Français (l’état et la capacité), auch wenn (d) Code civil art. 9 — 13. 17 — 21. Von dem Français iſt verſchieden der citoyen, welcher Ausdruck die politiſchen Rechte be- zeichnet, art. 7. — Auch Foelix p. 36 ‒ 39 ſpricht zwar zuerſt von der nationalité als Grundlage des anzuwendenden örtlichen Rechts, nimmt aber dann dieſen Ausdruck gleichbedeutend mit domicile, will alſo nicht etwa in Widerſpruch treten mit der unter den Schrift- ſtellern des gemeinen Rechts herr- ſchenden Anſicht.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/120>, abgerufen am 05.05.2024.