Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats-
gebietes, findet sich in den neueren Zeiten nicht mehr.
Namentlich in Deutschland haben zwar seit vielen Jahr-
hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfassung,
sowohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet;
jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen meist wichtigeren
Bestandtheilen stehendes Stück, so daß hier an ein Aufgehen
des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden
niemals zu denken war. Wie mit Deutschland, so verhielt
es sich in dieser Hinsicht auch mit anderen Staaten neuerer
Zeit; und höchstens in Italien finden sich theilweise noch
Zustände, die, wenn auch unvollständig, nicht nur an den
Zustand des Römischen Kaiserreichs erinnern, sondern auch
in der That als Ueberreste desselben zu betrachten sind.

Ist nun die Grundlage jener Römischen Lehre von origo
und domicilium verschwunden, so können auch die darauf
beruhenden Rechtsverhältnisse (munera, forum, Stadtrecht
als Recht der Person) nicht mehr in Römischer Weise be-
hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend ist Dieses für die
origo, das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu-
setzende Stadtbürgerrecht, anstatt daß bei der abstracteren
Natur des domicilium sich noch eher eine gewisse Art von
Fortdauer annehmen ließe.

Auch haben von jeher die neueren Schriftsteller als
unzweifelhaft anerkannt, daß in dieser Lehre unser Rechts-
zustand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den
ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten sie

Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats-
gebietes, findet ſich in den neueren Zeiten nicht mehr.
Namentlich in Deutſchland haben zwar ſeit vielen Jahr-
hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfaſſung,
ſowohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet;
jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen meiſt wichtigeren
Beſtandtheilen ſtehendes Stück, ſo daß hier an ein Aufgehen
des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden
niemals zu denken war. Wie mit Deutſchland, ſo verhielt
es ſich in dieſer Hinſicht auch mit anderen Staaten neuerer
Zeit; und höchſtens in Italien finden ſich theilweiſe noch
Zuſtände, die, wenn auch unvollſtändig, nicht nur an den
Zuſtand des Römiſchen Kaiſerreichs erinnern, ſondern auch
in der That als Ueberreſte deſſelben zu betrachten ſind.

Iſt nun die Grundlage jener Römiſchen Lehre von origo
und domicilium verſchwunden, ſo können auch die darauf
beruhenden Rechtsverhältniſſe (munera, forum, Stadtrecht
als Recht der Perſon) nicht mehr in Römiſcher Weiſe be-
hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend iſt Dieſes für die
origo, das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu-
ſetzende Stadtbürgerrecht, anſtatt daß bei der abſtracteren
Natur des domicilium ſich noch eher eine gewiſſe Art von
Fortdauer annehmen ließe.

Auch haben von jeher die neueren Schriftſteller als
unzweifelhaft anerkannt, daß in dieſer Lehre unſer Rechts-
zuſtand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den
ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0112" n="90"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">III.</hi> Herr&#x017F;chaft der Rechtsregeln. Kap. <hi rendition="#aq">I.</hi> Örtliche Gränzen.</fw><lb/>
in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats-<lb/>
gebietes, findet &#x017F;ich in den neueren Zeiten nicht mehr.<lb/>
Namentlich in Deut&#x017F;chland haben zwar &#x017F;eit vielen Jahr-<lb/>
hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfa&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
&#x017F;owohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet;<lb/>
jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen mei&#x017F;t wichtigeren<lb/>
Be&#x017F;tandtheilen &#x017F;tehendes Stück, &#x017F;o daß hier an ein Aufgehen<lb/>
des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden<lb/>
niemals zu denken war. Wie mit Deut&#x017F;chland, &#x017F;o verhielt<lb/>
es &#x017F;ich in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht auch mit anderen Staaten neuerer<lb/>
Zeit; und höch&#x017F;tens in Italien finden &#x017F;ich theilwei&#x017F;e noch<lb/>
Zu&#x017F;tände, die, wenn auch unvoll&#x017F;tändig, nicht nur an den<lb/>
Zu&#x017F;tand des Römi&#x017F;chen Kai&#x017F;erreichs erinnern, &#x017F;ondern auch<lb/>
in der That als Ueberre&#x017F;te de&#x017F;&#x017F;elben zu betrachten &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>I&#x017F;t nun die Grundlage jener Römi&#x017F;chen Lehre von <hi rendition="#aq">origo</hi><lb/>
und <hi rendition="#aq">domicilium</hi> ver&#x017F;chwunden, &#x017F;o können auch die darauf<lb/>
beruhenden Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e (<hi rendition="#aq">munera, forum,</hi> Stadtrecht<lb/>
als Recht der Per&#x017F;on) nicht mehr in Römi&#x017F;cher Wei&#x017F;e be-<lb/>
hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend i&#x017F;t Die&#x017F;es für die<lb/><hi rendition="#aq">origo,</hi> das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu-<lb/>
&#x017F;etzende Stadtbürgerrecht, an&#x017F;tatt daß bei der ab&#x017F;tracteren<lb/>
Natur des <hi rendition="#aq">domicilium</hi> &#x017F;ich noch eher eine gewi&#x017F;&#x017F;e Art von<lb/>
Fortdauer annehmen ließe.</p><lb/>
            <p>Auch haben von jeher die neueren Schrift&#x017F;teller als<lb/>
unzweifelhaft anerkannt, daß in die&#x017F;er Lehre un&#x017F;er Rechts-<lb/>
zu&#x017F;tand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den<lb/>
ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten &#x017F;ie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0112] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen. in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats- gebietes, findet ſich in den neueren Zeiten nicht mehr. Namentlich in Deutſchland haben zwar ſeit vielen Jahr- hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfaſſung, ſowohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet; jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen meiſt wichtigeren Beſtandtheilen ſtehendes Stück, ſo daß hier an ein Aufgehen des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden niemals zu denken war. Wie mit Deutſchland, ſo verhielt es ſich in dieſer Hinſicht auch mit anderen Staaten neuerer Zeit; und höchſtens in Italien finden ſich theilweiſe noch Zuſtände, die, wenn auch unvollſtändig, nicht nur an den Zuſtand des Römiſchen Kaiſerreichs erinnern, ſondern auch in der That als Ueberreſte deſſelben zu betrachten ſind. Iſt nun die Grundlage jener Römiſchen Lehre von origo und domicilium verſchwunden, ſo können auch die darauf beruhenden Rechtsverhältniſſe (munera, forum, Stadtrecht als Recht der Perſon) nicht mehr in Römiſcher Weiſe be- hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend iſt Dieſes für die origo, das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu- ſetzende Stadtbürgerrecht, anſtatt daß bei der abſtracteren Natur des domicilium ſich noch eher eine gewiſſe Art von Fortdauer annehmen ließe. Auch haben von jeher die neueren Schriftſteller als unzweifelhaft anerkannt, daß in dieſer Lehre unſer Rechts- zuſtand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/112
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/112>, abgerufen am 24.11.2024.