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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.

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§. 308. Surrogate. I. Geständuiß. Heutiges Recht.
Die genauere Darstellung dieser Verschiedenheit wird zu-
gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie
sich das heutige Recht zu den oben dargestellten Begriffen
und Regeln des Römischen Rechts verhält, und was von
diesem letzten noch für uns brauchbar ist.

Das gerichtliche Geständniß ist die Erklärung,
welche eine streitende Partei vor dem Richter des vorlie-
genden Rechtsstreits über Gegenstände dieses Streites ab-
giebt. Das Wesen und die wichtige Wirkung desselben
besteht in der Feststellung der Gränzen zwischen dem streitigen
und nicht streitigen Theil der gegenseitigen Behauptungen.
Da nun der Richter nur dazu berufen ist, über den Streit
der Parteien zu entscheiden, so wird durch jedes gerichtliche
Geständniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach
bestimmt und begränzt. Dieses Geständniß also ist nicht (so
wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, so
oder anders zu sprechen, sondern eine Feststellung von Ge-
genständen, worüber er sich des eigenen Urtheils zu enthalten
hat, weil sie nicht zu dem, unter den Parteien streitigen
Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge-
ständniß begründet also formelle Wahrheit (§ 303).

Das gerichtliche Geständniß kann ohne Zweifel auf reine
Thatsachen gehen, weil die Feststellung von Thatsachen
einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsstreits
auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man sagen,
daß dadurch Thatsachen nicht sowohl bewiesen, als dem

§. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht.
Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu-
gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie
ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen
und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von
dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt.

Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung,
welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie-
genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab-
giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben
beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen
und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen.
Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit
der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche
Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach
beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo
wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo
oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge-
genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten
hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen
Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge-
ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303).

Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine
Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen
einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits
auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen,
daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem

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[41/0063] §. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht. Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu- gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt. Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung, welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie- genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab- giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen. Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge- genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge- ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303). Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen, daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/63>, abgerufen am 29.03.2024.