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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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§. 300. Einrede. Verschiedenheit des Erwerbsgrundes.
und schlecht entschieden worden. Die Klägerin, die einen
an sich ganz unzweifelhaften Intestaterbanspruch hatte,
durfte gar nicht abgewiesen werden, bevor das Pupillar-
testament eröffnet war (k). -- Ich komme nun zu den
Schlußworten der Stelle, worin Ulpian folgende Aus-
hülfe in Aussicht stellt: sed ex causa succurrendum erit
ei, quae unam tantum causam egit rupti testamenti.
Diese
Worte pflegen so aufgefaßt zu werden, daß es hart und
unbillig seyn würde, wenn die vorige Klägerin wegen ihrer
unvorsichtigen Prozeßführung leiden sollte; daher müsse sie
Restitution gegen die Rechtskraft erhalten. Natürlich zeigt
man sich nun geneigt, eine solche Restitution überall ein-
treten zu lassen, wo die Einrede der Rechtskraft einem
Kläger besondere Nachtheile droht. -- Diese Lehre mag
milde und billig scheinen; aber es ist unleugbar, daß damit
der ganze Gewinn aus dem Grundsatz der Rechtskraft, die
ganze damit verbundene Rechtssicherheit, so gut als ver-
nichtet seyn würde. Alles wäre in der That der unbe-
schränkten Willkühr des Richters überlassen, und es ist gar
nicht denkbar, daß Ulpian ganz vorübergehend, in wenigen
Worten, die ganze Lehre von der Rechtskraft, die gerade er,

denkbaren Erklärungen, da sie eben
so gut von zwei verschiedenen Recht-
fertigungsgründen, als von zwei
verschiedenen Klagen, verstanden
werden können. Eine actio rupti
testamenti
giebt es ja ohnehin
nicht, sondern nur eine heredi-
tatis petitio,
zu deren Rechtfer-
tigung der Kläger, unter vielen
anderen Gründen, auch darauf sich
berufen kann, daß ein Testament
ruptum sey.
(k) L. 1 § 1 testam. quem-
adm. aper.
(29. 3), L. 6 de
transact.
(2. 15).

§. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes.
und ſchlecht entſchieden worden. Die Klägerin, die einen
an ſich ganz unzweifelhaften Inteſtaterbanſpruch hatte,
durfte gar nicht abgewieſen werden, bevor das Pupillar-
teſtament eröffnet war (k). — Ich komme nun zu den
Schlußworten der Stelle, worin Ulpian folgende Aus-
hülfe in Ausſicht ſtellt: sed ex causa succurrendum erit
ei, quae unam tantum causam egit rupti testamenti.
Dieſe
Worte pflegen ſo aufgefaßt zu werden, daß es hart und
unbillig ſeyn würde, wenn die vorige Klägerin wegen ihrer
unvorſichtigen Prozeßführung leiden ſollte; daher müſſe ſie
Reſtitution gegen die Rechtskraft erhalten. Natürlich zeigt
man ſich nun geneigt, eine ſolche Reſtitution überall ein-
treten zu laſſen, wo die Einrede der Rechtskraft einem
Kläger beſondere Nachtheile droht. — Dieſe Lehre mag
milde und billig ſcheinen; aber es iſt unleugbar, daß damit
der ganze Gewinn aus dem Grundſatz der Rechtskraft, die
ganze damit verbundene Rechtsſicherheit, ſo gut als ver-
nichtet ſeyn würde. Alles wäre in der That der unbe-
ſchränkten Willkühr des Richters überlaſſen, und es iſt gar
nicht denkbar, daß Ulpian ganz vorübergehend, in wenigen
Worten, die ganze Lehre von der Rechtskraft, die gerade er,

denkbaren Erklärungen, da ſie eben
ſo gut von zwei verſchiedenen Recht-
fertigungsgründen, als von zwei
verſchiedenen Klagen, verſtanden
werden können. Eine actio rupti
testamenti
giebt es ja ohnehin
nicht, ſondern nur eine heredi-
tatis petitio,
zu deren Rechtfer-
tigung der Kläger, unter vielen
anderen Gründen, auch darauf ſich
berufen kann, daß ein Teſtament
ruptum ſey.
(k) L. 1 § 1 testam. quem-
adm. aper.
(29. 3), L. 6 de
transact.
(2. 15).
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[461/0479] §. 300. Einrede. Verſchiedenheit des Erwerbsgrundes. und ſchlecht entſchieden worden. Die Klägerin, die einen an ſich ganz unzweifelhaften Inteſtaterbanſpruch hatte, durfte gar nicht abgewieſen werden, bevor das Pupillar- teſtament eröffnet war (k). — Ich komme nun zu den Schlußworten der Stelle, worin Ulpian folgende Aus- hülfe in Ausſicht ſtellt: sed ex causa succurrendum erit ei, quae unam tantum causam egit rupti testamenti. Dieſe Worte pflegen ſo aufgefaßt zu werden, daß es hart und unbillig ſeyn würde, wenn die vorige Klägerin wegen ihrer unvorſichtigen Prozeßführung leiden ſollte; daher müſſe ſie Reſtitution gegen die Rechtskraft erhalten. Natürlich zeigt man ſich nun geneigt, eine ſolche Reſtitution überall ein- treten zu laſſen, wo die Einrede der Rechtskraft einem Kläger beſondere Nachtheile droht. — Dieſe Lehre mag milde und billig ſcheinen; aber es iſt unleugbar, daß damit der ganze Gewinn aus dem Grundſatz der Rechtskraft, die ganze damit verbundene Rechtsſicherheit, ſo gut als ver- nichtet ſeyn würde. Alles wäre in der That der unbe- ſchränkten Willkühr des Richters überlaſſen, und es iſt gar nicht denkbar, daß Ulpian ganz vorübergehend, in wenigen Worten, die ganze Lehre von der Rechtskraft, die gerade er, (i) (k) L. 1 § 1 testam. quem- adm. aper. (29. 3), L. 6 de transact. (2. 15). (i) denkbaren Erklärungen, da ſie eben ſo gut von zwei verſchiedenen Recht- fertigungsgründen, als von zwei verſchiedenen Klagen, verſtanden werden können. Eine actio rupti testamenti giebt es ja ohnehin nicht, ſondern nur eine heredi- tatis petitio, zu deren Rechtfer- tigung der Kläger, unter vielen anderen Gründen, auch darauf ſich berufen kann, daß ein Teſtament ruptum ſey.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/479>, abgerufen am 22.11.2024.