Wenn nämlich das Urtheil dem Beklagten eine Geld- zahlung auferlegt, so ist es denkbar, daß er von dieser Summe vor dem Urtheil Vertragszinsen, Verzugszinsen, Prozeßzinsen, oder auch gar keine Zinsen zu zahlen hatte. Es entsteht nun die Frage, ob das rechtskräftige Urtheil auf die Zinsverpflichtung, je nach diesen verschiedenen Fäl- len, irgend einen abändernden Einfluß ausübt für die künf- tige Zeit. Das Römische Recht ist in der Beantwortung dieser Frage lange schwankend gewesen; die Entscheidung des Justinianischen Rechts ist aber nicht zweifelhaft (g). Von dem Augenblick des rechtskräftigen Urtheils an ist aller bisherige Zinsenlauf gehemmt, und diese Begünstigung des Beklagten, die ihm die freiwillige Erfüllung des Ur- theils erleichtern soll, dauert vier Monate. Hat er inner- halb dieses Zeitraums nicht gezahlt, so wird nicht etwa der frühere Zinsenlauf fortgesetzt, sondern es entstehen, ohne daß es einer Mahnung bedarf, neue Zinsen, welche stets zwölf Procente (centesimae) betragen, jedoch nur von der früheren Kapitalschuld, nicht von früheren Zinsen, bezahlt werden müssen. -- Diese ganz eigenthümliche, sehr will- kührliche Vorschrift ist indessen nach dem übereinstimmenden Zeugniß der bewährtesten praktischen Schriftsteller im heu- tigen Recht nicht anerkannt worden (h). Es bleibt also nunmehr bei einem unveränderten Fortgang der früher lau-
(g)L. 13 C. de usur. (4. 32). L. 1. 2. 3 C. de us. rei jud. (7. 54).
Wenn nämlich das Urtheil dem Beklagten eine Geld- zahlung auferlegt, ſo iſt es denkbar, daß er von dieſer Summe vor dem Urtheil Vertragszinſen, Verzugszinſen, Prozeßzinſen, oder auch gar keine Zinſen zu zahlen hatte. Es entſteht nun die Frage, ob das rechtskräftige Urtheil auf die Zinsverpflichtung, je nach dieſen verſchiedenen Fäl- len, irgend einen abändernden Einfluß ausübt für die künf- tige Zeit. Das Römiſche Recht iſt in der Beantwortung dieſer Frage lange ſchwankend geweſen; die Entſcheidung des Juſtinianiſchen Rechts iſt aber nicht zweifelhaft (g). Von dem Augenblick des rechtskräftigen Urtheils an iſt aller bisherige Zinſenlauf gehemmt, und dieſe Begünſtigung des Beklagten, die ihm die freiwillige Erfüllung des Ur- theils erleichtern ſoll, dauert vier Monate. Hat er inner- halb dieſes Zeitraums nicht gezahlt, ſo wird nicht etwa der frühere Zinſenlauf fortgeſetzt, ſondern es entſtehen, ohne daß es einer Mahnung bedarf, neue Zinſen, welche ſtets zwölf Procente (centesimae) betragen, jedoch nur von der früheren Kapitalſchuld, nicht von früheren Zinſen, bezahlt werden müſſen. — Dieſe ganz eigenthümliche, ſehr will- kührliche Vorſchrift iſt indeſſen nach dem übereinſtimmenden Zeugniß der bewährteſten praktiſchen Schriftſteller im heu- tigen Recht nicht anerkannt worden (h). Es bleibt alſo nunmehr bei einem unveränderten Fortgang der früher lau-
(g)L. 13 C. de usur. (4. 32). L. 1. 2. 3 C. de us. rei jud. (7. 54).
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[412/0430]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wenn nämlich das Urtheil dem Beklagten eine Geld-
zahlung auferlegt, ſo iſt es denkbar, daß er von dieſer
Summe vor dem Urtheil Vertragszinſen, Verzugszinſen,
Prozeßzinſen, oder auch gar keine Zinſen zu zahlen hatte.
Es entſteht nun die Frage, ob das rechtskräftige Urtheil
auf die Zinsverpflichtung, je nach dieſen verſchiedenen Fäl-
len, irgend einen abändernden Einfluß ausübt für die künf-
tige Zeit. Das Römiſche Recht iſt in der Beantwortung
dieſer Frage lange ſchwankend geweſen; die Entſcheidung
des Juſtinianiſchen Rechts iſt aber nicht zweifelhaft (g).
Von dem Augenblick des rechtskräftigen Urtheils an iſt
aller bisherige Zinſenlauf gehemmt, und dieſe Begünſtigung
des Beklagten, die ihm die freiwillige Erfüllung des Ur-
theils erleichtern ſoll, dauert vier Monate. Hat er inner-
halb dieſes Zeitraums nicht gezahlt, ſo wird nicht etwa der
frühere Zinſenlauf fortgeſetzt, ſondern es entſtehen, ohne
daß es einer Mahnung bedarf, neue Zinſen, welche ſtets
zwölf Procente (centesimae) betragen, jedoch nur von der
früheren Kapitalſchuld, nicht von früheren Zinſen, bezahlt
werden müſſen. — Dieſe ganz eigenthümliche, ſehr will-
kührliche Vorſchrift iſt indeſſen nach dem übereinſtimmenden
Zeugniß der bewährteſten praktiſchen Schriftſteller im heu-
tigen Recht nicht anerkannt worden (h). Es bleibt alſo
nunmehr bei einem unveränderten Fortgang der früher lau-
(g) L. 13 C. de usur. (4. 32).
L. 1. 2. 3 C. de us. rei jud.
(7. 54).
(h) Voetius Lib. 22 Tit. 1
§ 11, Stryk ibid. § 13. Lauter-
bach ibid. § 22.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/430>, abgerufen am 22.11.2024.
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