will. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Richter alle, in dem Rechtsstreit zur Sprache gekommenen Elemente wirk- lich entscheiden muß, vielmehr ist hierin ein freier Spiel- raum des Ermessens zuzulassen.
Wenn z. B. bei der Eigenthumsklage der Richter die Überzeugung gewonnen hat, daß dem Kläger das Eigen- thum nicht zusteht, so muß er Dieses verneinen. Be- hauptet zugleich der Beklagte, daß er nicht besitze, und wird der Richter davon überzeugt, während der Beweis des Eigenthums weder geführt, noch mißlungen, vielmehr in seiner Fortsetzung weit aussehend ist, so kann der Richter den Kläger abweisen, indem er den Besitz des Be- klagten verneint, und das Eigenthum des Klägers unent- schieden läßt; eben so, wenn irgend eine Einrede bewiesen ist, ehe über das Eigenthum entschieden werden kann. Hierin das rechte Maaß zu halten, ist die Aufgabe, die sich ein verständiger Richter stellen soll, welcher auch die Wünsche der Parteien zu berücksichtigen nicht ver- säumen wird.
Suchen wir aber noch vollständiger in die Erwägungen des Richters einzudringen, wodurch er zu der rein prakti- schen Entscheidung (Verurtheilung, oder Freisprechung) gelangt, so müssen wir uns überzeugen, daß diese Erwä- gungen von zweierlei Art sind.
Zunächst gehören dahin die bereits erwähnten Elemente der Rechtsverhältnisse, die, wenn sie der Richter erkannt hat, selbst integrirende Theile des Urtheils werden, und
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
will. Damit iſt aber nicht geſagt, daß der Richter alle, in dem Rechtsſtreit zur Sprache gekommenen Elemente wirk- lich entſcheiden muß, vielmehr iſt hierin ein freier Spiel- raum des Ermeſſens zuzulaſſen.
Wenn z. B. bei der Eigenthumsklage der Richter die Überzeugung gewonnen hat, daß dem Kläger das Eigen- thum nicht zuſteht, ſo muß er Dieſes verneinen. Be- hauptet zugleich der Beklagte, daß er nicht beſitze, und wird der Richter davon überzeugt, während der Beweis des Eigenthums weder geführt, noch mißlungen, vielmehr in ſeiner Fortſetzung weit ausſehend iſt, ſo kann der Richter den Kläger abweiſen, indem er den Beſitz des Be- klagten verneint, und das Eigenthum des Klägers unent- ſchieden läßt; eben ſo, wenn irgend eine Einrede bewieſen iſt, ehe über das Eigenthum entſchieden werden kann. Hierin das rechte Maaß zu halten, iſt die Aufgabe, die ſich ein verſtändiger Richter ſtellen ſoll, welcher auch die Wünſche der Parteien zu berückſichtigen nicht ver- ſäumen wird.
Suchen wir aber noch vollſtändiger in die Erwägungen des Richters einzudringen, wodurch er zu der rein prakti- ſchen Entſcheidung (Verurtheilung, oder Freiſprechung) gelangt, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß dieſe Erwä- gungen von zweierlei Art ſind.
Zunächſt gehören dahin die bereits erwähnten Elemente der Rechtsverhältniſſe, die, wenn ſie der Richter erkannt hat, ſelbſt integrirende Theile des Urtheils werden, und
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
will. Damit iſt aber nicht geſagt, daß der Richter alle,
in dem Rechtsſtreit zur Sprache gekommenen Elemente wirk-
lich entſcheiden muß, vielmehr iſt hierin ein freier Spiel-
raum des Ermeſſens zuzulaſſen.
Wenn z. B. bei der Eigenthumsklage der Richter die
Überzeugung gewonnen hat, daß dem Kläger das Eigen-
thum nicht zuſteht, ſo muß er Dieſes verneinen. Be-
hauptet zugleich der Beklagte, daß er nicht beſitze, und
wird der Richter davon überzeugt, während der Beweis
des Eigenthums weder geführt, noch mißlungen, vielmehr
in ſeiner Fortſetzung weit ausſehend iſt, ſo kann der
Richter den Kläger abweiſen, indem er den Beſitz des Be-
klagten verneint, und das Eigenthum des Klägers unent-
ſchieden läßt; eben ſo, wenn irgend eine Einrede bewieſen
iſt, ehe über das Eigenthum entſchieden werden kann.
Hierin das rechte Maaß zu halten, iſt die Aufgabe, die
ſich ein verſtändiger Richter ſtellen ſoll, welcher auch
die Wünſche der Parteien zu berückſichtigen nicht ver-
ſäumen wird.
Suchen wir aber noch vollſtändiger in die Erwägungen
des Richters einzudringen, wodurch er zu der rein prakti-
ſchen Entſcheidung (Verurtheilung, oder Freiſprechung)
gelangt, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß dieſe Erwä-
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Zunächſt gehören dahin die bereits erwähnten Elemente
der Rechtsverhältniſſe, die, wenn ſie der Richter erkannt
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/378>, abgerufen am 24.11.2024.
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