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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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§. 257. Wesen der L. C. -- I. R. R.
werden dürfte: litem contestatur, litem contestatus est.
Indessen ist der passive Gebrauch des Wortes (also lis
contestatur, lis contestata
) so häufig, daß das Verhältniß
von Regel und Ausnahme völlig verschwindet. Aus den
Digesten dafür Beispiele anzuführen, würde bei der großen
Zahl derselben ganz überflüssig sein. Damit man aber
nicht glaube, daß solche Beispiele blos hier, als Zeichen
sinkender Latinität, zu suchen seyen, muß bemerkt werden,
daß derselbe Sprachgebrauch auch schon in der besten Zeit
vorkommt, namentlich bei Cicero (h), bei Aufidius, einem
Schüler des Servius Sulpicius (i), in der Lex Rubria
de Gallia cisalpina
(k), und in einer Rechtsregel, die
Gajus aus den Veteres anführt (l).

Die wichtigste und bestrittenste Frage bleibt bei Festus
unentschieden: ob nämlich die L. C. in das Jus fällt oder
in das Judicium, d. h. ob sie die letzte Handlung vor dem
Prätor war, oder die erste vor dem Judex. Beides ließe

(h) Pro Roscio Com. C. 11
und C. 12 "lis contestata". --
Pro Flacco C. 11 "ab hac per-
enni contestataque virtute ma-
jorum."
(i) Priscian. Lib. 8 C. 4
§ 18: "P. Aufidius: si quis alio
vocitatur nomine tum cum lis
contestatur, atque olim vocita-
batur,
contestari passive po-
suit."
Priscian führt es als eine
grammatische Anomalie an. -- Die
Ausgaben lesen hier ganz sinnlos:
illis contestatur oder his con-
testatur (p. 371 ed. Krehl,
p. 791 (793) ed Putsch).
Die
richtige Leseart ist hergestellt und
mit einer vortrefflichen sachlichen
Erklärung der Stelle begleitet von
Huschke, Zeitschrift f. geschichtl.
Rechtswiss. B. 10 S. 339. 340.
(k) Col. 1 lin. 48 quos inter
id judicium accipietur "leisve
contestabitur."
(l) Gajus III. § 180 "apud
veteres scriptum est: ante
litem contestatam dare debi-
torem oportere, post litem
contestatam condemnari opor-
tere."

§. 257. Weſen der L. C. — I. R. R.
werden dürfte: litem contestatur, litem contestatus est.
Indeſſen iſt der paſſive Gebrauch des Wortes (alſo lis
contestatur, lis contestata
) ſo häufig, daß das Verhältniß
von Regel und Ausnahme völlig verſchwindet. Aus den
Digeſten dafür Beiſpiele anzuführen, würde bei der großen
Zahl derſelben ganz überflüſſig ſein. Damit man aber
nicht glaube, daß ſolche Beiſpiele blos hier, als Zeichen
ſinkender Latinität, zu ſuchen ſeyen, muß bemerkt werden,
daß derſelbe Sprachgebrauch auch ſchon in der beſten Zeit
vorkommt, namentlich bei Cicero (h), bei Aufidius, einem
Schüler des Servius Sulpicius (i), in der Lex Rubria
de Gallia cisalpina
(k), und in einer Rechtsregel, die
Gajus aus den Veteres anführt (l).

Die wichtigſte und beſtrittenſte Frage bleibt bei Feſtus
unentſchieden: ob nämlich die L. C. in das Jus fällt oder
in das Judicium, d. h. ob ſie die letzte Handlung vor dem
Prätor war, oder die erſte vor dem Judex. Beides ließe

(h) Pro Roscio Com. C. 11
und C. 12 „lis contestata“. —
Pro Flacco C. 11 „ab hac per-
enni contestataque virtute ma-
jorum.“
(i) Priscian. Lib. 8 C. 4
§ 18: „P. Aufidius: si quis alio
vocitatur nomine tum cum lis
contestatur, atque olim vocita-
batur,
contestari passive po-
suit.“
Priſcian führt es als eine
grammatiſche Anomalie an. — Die
Ausgaben leſen hier ganz ſinnlos:
illis contestatur oder his con-
testatur (p. 371 ed. Krehl,
p. 791 (793) ed Putsch).
Die
richtige Leſeart iſt hergeſtellt und
mit einer vortrefflichen ſachlichen
Erklärung der Stelle begleitet von
Huſchke, Zeitſchrift f. geſchichtl.
Rechtswiſſ. B. 10 S. 339. 340.
(k) Col. 1 lin. 48 quos inter
id judicium accipietur „leisve
contestabitur.“
(l) Gajus III. § 180 „apud
veteres scriptum est: ante
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[13/0031] §. 257. Weſen der L. C. — I. R. R. werden dürfte: litem contestatur, litem contestatus est. Indeſſen iſt der paſſive Gebrauch des Wortes (alſo lis contestatur, lis contestata) ſo häufig, daß das Verhältniß von Regel und Ausnahme völlig verſchwindet. Aus den Digeſten dafür Beiſpiele anzuführen, würde bei der großen Zahl derſelben ganz überflüſſig ſein. Damit man aber nicht glaube, daß ſolche Beiſpiele blos hier, als Zeichen ſinkender Latinität, zu ſuchen ſeyen, muß bemerkt werden, daß derſelbe Sprachgebrauch auch ſchon in der beſten Zeit vorkommt, namentlich bei Cicero (h), bei Aufidius, einem Schüler des Servius Sulpicius (i), in der Lex Rubria de Gallia cisalpina (k), und in einer Rechtsregel, die Gajus aus den Veteres anführt (l). Die wichtigſte und beſtrittenſte Frage bleibt bei Feſtus unentſchieden: ob nämlich die L. C. in das Jus fällt oder in das Judicium, d. h. ob ſie die letzte Handlung vor dem Prätor war, oder die erſte vor dem Judex. Beides ließe (h) Pro Roscio Com. C. 11 und C. 12 „lis contestata“. — Pro Flacco C. 11 „ab hac per- enni contestataque virtute ma- jorum.“ (i) Priscian. Lib. 8 C. 4 § 18: „P. Aufidius: si quis alio vocitatur nomine tum cum lis contestatur, atque olim vocita- batur, contestari passive po- suit.“ Priſcian führt es als eine grammatiſche Anomalie an. — Die Ausgaben leſen hier ganz ſinnlos: illis contestatur oder his con- testatur (p. 371 ed. Krehl, p. 791 (793) ed Putsch). Die richtige Leſeart iſt hergeſtellt und mit einer vortrefflichen ſachlichen Erklärung der Stelle begleitet von Huſchke, Zeitſchrift f. geſchichtl. Rechtswiſſ. B. 10 S. 339. 340. (k) Col. 1 lin. 48 quos inter id judicium accipietur „leisve contestabitur.“ (l) Gajus III. § 180 „apud veteres scriptum est: ante litem contestatam dare debi- torem oportere, post litem contestatam condemnari opor- tere.“

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/31>, abgerufen am 27.04.2024.