ganzen Eigenthümlichkeit klar geworden wäre. Nachdem nämlich in jener Stelle gesagt worden war, daß aus jedem streitigen Rechtsverhältniß nur einmal geklagt werden dürfe, weil die zugelassene Wiederholung derselben Klage mit großen Nachtheilen für den Rechtszustand verknüpft sey, wird dann noch hinzugefügt, daß diese Nachtheile be- sonders stark in den Fällen hervortreten würden, wenn durch wiederholte Klagen sogar Urtheile von widersprechen- dem Inhalt herbeigeführt werden sollten: maxime si diversa pronuntiarentur. In diesen beiden Sätzen sind die zwei verschiedenen, aber verwandten Gestalten der Einrede un- verkennbar angedeutet.
So hat die Einrede der Rechtskraft in ihren zwei Ge- stalten während des ganzen Zeitalters der Juristen fortge- dauert, aus deren Schriften die Digesten hervorgegangen sind (h), und es zeigt sich hierin dasselbe Verfahren, welches wir auch in anderen Theilen des Römischen Rechts bei der Entwicklung von Rechtsinstituten angewendet finden. Man entschloß sich nicht leicht, ein Rechtsinstitut, dessen Grundlage sich bewährt hatte, völlig aufzuheben und durch ein anderes zu ersetzen, wenn es sich auch in der Anwendung von manchen Seiten mangelhaft zeigen mochte, wie Dieses von der Klagenconsumtion schon oben (§ 281) anerkannt worden ist. Man suchte vielmehr solchen Män- geln durch mildere Mittel, also in feinerer Weise, abzu- helfen. Insofern die Klagenconsumtion für das praktische
(h)Keller S. 231.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ganzen Eigenthümlichkeit klar geworden wäre. Nachdem nämlich in jener Stelle geſagt worden war, daß aus jedem ſtreitigen Rechtsverhältniß nur einmal geklagt werden dürfe, weil die zugelaſſene Wiederholung derſelben Klage mit großen Nachtheilen für den Rechtszuſtand verknüpft ſey, wird dann noch hinzugefügt, daß dieſe Nachtheile be- ſonders ſtark in den Fällen hervortreten würden, wenn durch wiederholte Klagen ſogar Urtheile von widerſprechen- dem Inhalt herbeigeführt werden ſollten: maxime si diversa pronuntiarentur. In dieſen beiden Sätzen ſind die zwei verſchiedenen, aber verwandten Geſtalten der Einrede un- verkennbar angedeutet.
So hat die Einrede der Rechtskraft in ihren zwei Ge- ſtalten während des ganzen Zeitalters der Juriſten fortge- dauert, aus deren Schriften die Digeſten hervorgegangen ſind (h), und es zeigt ſich hierin daſſelbe Verfahren, welches wir auch in anderen Theilen des Römiſchen Rechts bei der Entwicklung von Rechtsinſtituten angewendet finden. Man entſchloß ſich nicht leicht, ein Rechtsinſtitut, deſſen Grundlage ſich bewährt hatte, völlig aufzuheben und durch ein anderes zu erſetzen, wenn es ſich auch in der Anwendung von manchen Seiten mangelhaft zeigen mochte, wie Dieſes von der Klagenconſumtion ſchon oben (§ 281) anerkannt worden iſt. Man ſuchte vielmehr ſolchen Män- geln durch mildere Mittel, alſo in feinerer Weiſe, abzu- helfen. Inſofern die Klagenconſumtion für das praktiſche
(h)Keller S. 231.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ganzen Eigenthümlichkeit klar geworden wäre. Nachdem
nämlich in jener Stelle geſagt worden war, daß aus jedem
ſtreitigen Rechtsverhältniß nur einmal geklagt werden
dürfe, weil die zugelaſſene Wiederholung derſelben Klage
mit großen Nachtheilen für den Rechtszuſtand verknüpft
ſey, wird dann noch hinzugefügt, daß dieſe Nachtheile be-
ſonders ſtark in den Fällen hervortreten würden, wenn
durch wiederholte Klagen ſogar Urtheile von widerſprechen-
dem Inhalt herbeigeführt werden ſollten: maxime si diversa
pronuntiarentur. In dieſen beiden Sätzen ſind die zwei
verſchiedenen, aber verwandten Geſtalten der Einrede un-
verkennbar angedeutet.
So hat die Einrede der Rechtskraft in ihren zwei Ge-
ſtalten während des ganzen Zeitalters der Juriſten fortge-
dauert, aus deren Schriften die Digeſten hervorgegangen
ſind (h), und es zeigt ſich hierin daſſelbe Verfahren,
welches wir auch in anderen Theilen des Römiſchen Rechts
bei der Entwicklung von Rechtsinſtituten angewendet
finden. Man entſchloß ſich nicht leicht, ein Rechtsinſtitut,
deſſen Grundlage ſich bewährt hatte, völlig aufzuheben und
durch ein anderes zu erſetzen, wenn es ſich auch in der
Anwendung von manchen Seiten mangelhaft zeigen mochte,
wie Dieſes von der Klagenconſumtion ſchon oben (§ 281)
anerkannt worden iſt. Man ſuchte vielmehr ſolchen Män-
geln durch mildere Mittel, alſo in feinerer Weiſe, abzu-
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(h) Keller S. 231.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/294>, abgerufen am 21.05.2024.
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