Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz betreffende, Frage.
Eine einfache Handlung kann so beschaffen seyn, daß verschiedene Strafgesetze durch sie verletzt werden, so daß dieselbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch ihre verschiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in sich schließend, zu betrachten ist. Nach allgemeinen Grund- sätzen müssen wir in diesem Fall jede wahre Concurrenz verneinen, also die vollständige Anwendung aller einzelnen Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah- rer Concurrenz ist (§ 231), findet sich hier nicht, da die Bestrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De- licts ein ganz eigenthümlicher, für sich bestehender Zweck ist, also mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden Entschädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Bestäti- gung dieser Ansicht liegt auch darin, daß bey der Injurie gegen eine Ehefrau die unbeschränkte Zulässigkeit mehrerer Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt ist (Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un- terschied, ob die in derselben vereinigt enthaltenen Delicte gegen mehrere Personen, oder gegen eine einzige, began- gen worden sind (vgl. Note bb).
Wenn dennoch manche Römische Juristen hierüber an- dere Ansichten haben, so liegt Dieses an der häufigen,
§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz betreffende, Frage.
Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund- ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah- rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De- licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti- gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt (Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un- terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began- gen worden ſind (vgl. Note bb).
Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an- dere Anſichten haben, ſo liegt Dieſes an der häufigen,
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§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)
Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter
ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz
betreffende, Frage.
Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß
verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß
dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch
ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich
ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund-
ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz
verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen
Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche
Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah-
rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die
Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De-
licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck
iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden
Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti-
gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie
gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer
Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt
(Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit
der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un-
terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte
gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began-
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Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/251>, abgerufen am 23.12.2024.
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