Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang. von einer Wittwe im Trauerjahr geschlossene Ehe. Denndie gesetzlichen Strafen dieser Ehe setzen das Daseyn einer wahren Dos, also auch einer gültigen Ehe, augenscheinlich voraus (e). Es war also dieses Ehehinderniß, nach dem Sprachgebrauch neuerer Juristen, ein impediens, nicht di- rimens (f). -- Dagegen würde es ganz irrig seyn, eine solche Ausnahme bey jedem verbietenden Gesetz anzuneh- men, welches eine Strafe androht, ohne sich über die Nich- tigkeit auszusprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich- tigkeit an sich wohl vereinbar ist, so fehlt es in einem solchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung des angeführten allgemeinen Gesetzes auszuschließen. Wenn ein Rechtsgeschäft auf vollgültige Weise geschlos- (e) Vgl. oben Beylage VII Num. III. Der Grund dieser abweichenden Behandlung einer solchen Ehe liegt am Tage. Die ausgesprochene Nichtigkeit würde Nichts geholfen haben, theils weil sie die eigentliche Gefahr, die seminis turbatio, doch nicht ver- hindert hätte, theils weil die Ehe- gatten in keinem Fall verhindert werden konnten, nach Ablauf des Trauerjahrs, also nach sehr kur- zer Zeit, eine neue Ehe zu schlie- ßen. Die Absicht bey jener Be- handlung gieng also nicht auf Milde und Schonung, sondern auf die Wahl solcher Drohungen, deren reelle Fühlbarkeit der ver- botenen Handlung wirksamer vor- beugen konnte. (f) Solche Fälle sind über-
haupt im Römischen Recht sel- ten, in neueren Partikularge- setzen häufiger, z. B. bey den dis- pensablen Verwandtschaftsgraden, bey dem Mangel der väterlichen Einwilligung. Alle solche Fälle gehören nun unter die Ausnah- men von der Regel der L. 5 C. de LL. Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. von einer Wittwe im Trauerjahr geſchloſſene Ehe. Denndie geſetzlichen Strafen dieſer Ehe ſetzen das Daſeyn einer wahren Dos, alſo auch einer gültigen Ehe, augenſcheinlich voraus (e). Es war alſo dieſes Ehehinderniß, nach dem Sprachgebrauch neuerer Juriſten, ein impediens, nicht di- rimens (f). — Dagegen würde es ganz irrig ſeyn, eine ſolche Ausnahme bey jedem verbietenden Geſetz anzuneh- men, welches eine Strafe androht, ohne ſich über die Nich- tigkeit auszuſprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich- tigkeit an ſich wohl vereinbar iſt, ſo fehlt es in einem ſolchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung des angeführten allgemeinen Geſetzes auszuſchließen. Wenn ein Rechtsgeſchäft auf vollgültige Weiſe geſchloſ- (e) Vgl. oben Beylage VII Num. III. Der Grund dieſer abweichenden Behandlung einer ſolchen Ehe liegt am Tage. Die ausgeſprochene Nichtigkeit würde Nichts geholfen haben, theils weil ſie die eigentliche Gefahr, die seminis turbatio, doch nicht ver- hindert hätte, theils weil die Ehe- gatten in keinem Fall verhindert werden konnten, nach Ablauf des Trauerjahrs, alſo nach ſehr kur- zer Zeit, eine neue Ehe zu ſchlie- ßen. Die Abſicht bey jener Be- handlung gieng alſo nicht auf Milde und Schonung, ſondern auf die Wahl ſolcher Drohungen, deren reelle Fühlbarkeit der ver- botenen Handlung wirkſamer vor- beugen konnte. (f) Solche Fälle ſind über-
haupt im Römiſchen Recht ſel- ten, in neueren Partikularge- ſetzen häufiger, z. B. bey den dis- penſablen Verwandtſchaftsgraden, bey dem Mangel der väterlichen Einwilligung. Alle ſolche Fälle gehören nun unter die Ausnah- men von der Regel der L. 5 C. de LL. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0566" n="552"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Entſtehung und Untergang.</fw><lb/> von einer Wittwe im Trauerjahr geſchloſſene Ehe. Denn<lb/> die geſetzlichen Strafen dieſer Ehe ſetzen das Daſeyn einer<lb/> wahren Dos, alſo auch einer gültigen Ehe, augenſcheinlich<lb/> voraus <note place="foot" n="(e)">Vgl. oben Beylage <hi rendition="#aq">VII</hi><lb/> Num. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Grund dieſer<lb/> abweichenden Behandlung einer<lb/> ſolchen Ehe liegt am Tage. Die<lb/> ausgeſprochene Nichtigkeit würde<lb/> Nichts geholfen haben, theils weil<lb/> ſie die eigentliche Gefahr, die<lb/><hi rendition="#aq">seminis turbatio,</hi> doch nicht ver-<lb/> hindert hätte, theils weil die Ehe-<lb/> gatten in keinem Fall verhindert<lb/> werden konnten, nach Ablauf des<lb/> Trauerjahrs, alſo nach ſehr kur-<lb/> zer Zeit, eine neue Ehe zu ſchlie-<lb/> ßen. Die Abſicht bey jener Be-<lb/> handlung gieng alſo nicht auf<lb/> Milde und Schonung, ſondern<lb/> auf die Wahl ſolcher Drohungen,<lb/> deren reelle Fühlbarkeit der ver-<lb/> botenen Handlung wirkſamer vor-<lb/> beugen konnte.</note>. Es war alſo dieſes Ehehinderniß, nach dem<lb/> Sprachgebrauch neuerer Juriſten, ein <hi rendition="#aq">impediens,</hi> nicht <hi rendition="#aq">di-<lb/> rimens</hi> <note place="foot" n="(f)">Solche Fälle ſind über-<lb/> haupt im Römiſchen Recht ſel-<lb/> ten, in neueren Partikularge-<lb/> ſetzen häufiger, z. B. bey den dis-<lb/> penſablen Verwandtſchaftsgraden,<lb/> bey dem Mangel der väterlichen<lb/> Einwilligung. Alle ſolche Fälle<lb/> gehören nun unter die Ausnah-<lb/> men von der Regel der <hi rendition="#aq">L. 5 C.<lb/> de LL.</hi></note>. — Dagegen würde es ganz irrig ſeyn, eine<lb/> ſolche Ausnahme bey jedem verbietenden Geſetz anzuneh-<lb/> men, welches eine Strafe androht, ohne ſich über die Nich-<lb/> tigkeit auszuſprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich-<lb/> tigkeit an ſich wohl vereinbar iſt, ſo fehlt es in einem<lb/> ſolchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung<lb/> des angeführten allgemeinen Geſetzes auszuſchließen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Wenn ein Rechtsgeſchäft auf vollgültige Weiſe geſchloſ-<lb/> ſen worden iſt, nachher aber eine ſolche Veränderung der<lb/> Umſtände eintritt, daß daſſelbe Geſchäft jetzt nicht mehr<lb/> möglich ſeyn würde, ſo fragt es ſich, ob dieſe Verände-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [552/0566]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
von einer Wittwe im Trauerjahr geſchloſſene Ehe. Denn
die geſetzlichen Strafen dieſer Ehe ſetzen das Daſeyn einer
wahren Dos, alſo auch einer gültigen Ehe, augenſcheinlich
voraus (e). Es war alſo dieſes Ehehinderniß, nach dem
Sprachgebrauch neuerer Juriſten, ein impediens, nicht di-
rimens (f). — Dagegen würde es ganz irrig ſeyn, eine
ſolche Ausnahme bey jedem verbietenden Geſetz anzuneh-
men, welches eine Strafe androht, ohne ſich über die Nich-
tigkeit auszuſprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich-
tigkeit an ſich wohl vereinbar iſt, ſo fehlt es in einem
ſolchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung
des angeführten allgemeinen Geſetzes auszuſchließen.
Wenn ein Rechtsgeſchäft auf vollgültige Weiſe geſchloſ-
ſen worden iſt, nachher aber eine ſolche Veränderung der
Umſtände eintritt, daß daſſelbe Geſchäft jetzt nicht mehr
möglich ſeyn würde, ſo fragt es ſich, ob dieſe Verände-
(e) Vgl. oben Beylage VII
Num. III. Der Grund dieſer
abweichenden Behandlung einer
ſolchen Ehe liegt am Tage. Die
ausgeſprochene Nichtigkeit würde
Nichts geholfen haben, theils weil
ſie die eigentliche Gefahr, die
seminis turbatio, doch nicht ver-
hindert hätte, theils weil die Ehe-
gatten in keinem Fall verhindert
werden konnten, nach Ablauf des
Trauerjahrs, alſo nach ſehr kur-
zer Zeit, eine neue Ehe zu ſchlie-
ßen. Die Abſicht bey jener Be-
handlung gieng alſo nicht auf
Milde und Schonung, ſondern
auf die Wahl ſolcher Drohungen,
deren reelle Fühlbarkeit der ver-
botenen Handlung wirkſamer vor-
beugen konnte.
(f) Solche Fälle ſind über-
haupt im Römiſchen Recht ſel-
ten, in neueren Partikularge-
ſetzen häufiger, z. B. bey den dis-
penſablen Verwandtſchaftsgraden,
bey dem Mangel der väterlichen
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