Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 202. Ungültigkeit der juristischen Thatsachen.
sen giebt es allerdings auch im Römischen Recht einige
Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be-
stimmten dabey betheiligten Person abhängt, so daß darauf
der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an-
wendbar ist. Wenn ein Unmündiger einen gegenseitigen
Vertrag, z. B. einen Kauf, schließt, so hängt es von ihm,
oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver-
trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig seyn soll; der
Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß (h). Wenn
ein Gesellschafter den Societätsvertrag dem abwesenden
andern Gesellschafter, entweder durch einen Brief, oder
durch den Procurator dieses Andern, aufkündigt, so ver-
geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgesprochene Er-
klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieser Zwi-
schenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus
nichtig, gehalten werden soll, hängt von der Willkühr des
Anderen ab, der die Kündigung erst später erfahren hat (i).
-- Der Unterschied der hier aufgestellten Ansicht von der
bey vielen Schriftstellern verbreiteten besteht also erstlich
darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl-
len anzunehmen ist, als von diesen geschieht (k); zweytens

der Nichtigkeit selbst nicht. -- In-
dessen war diese Anwendung der
querela nullitatis bey neueren
Schriftstellern, wenngleich die
häufigste, doch keinesweges die
einzige. Vgl. Höpfner § 344.
Glück B. 33 S. 91.
(h) L. 13 § 29 de act. emti
(19. 1).
(i) L. 17 § 1 L. 65 § 8 pro
socio
(17. 2.).
(k) Namentlich kommt im Rö-
mischen Recht bey der Ehe nie-
mals eine relative Nichtigkeit vor.
Im heutigen Recht ist dieser Be-
griff freylich nicht wohl zu ent-

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.
ſen giebt es allerdings auch im Römiſchen Recht einige
Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be-
ſtimmten dabey betheiligten Perſon abhängt, ſo daß darauf
der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an-
wendbar iſt. Wenn ein Unmündiger einen gegenſeitigen
Vertrag, z. B. einen Kauf, ſchließt, ſo hängt es von ihm,
oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver-
trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig ſeyn ſoll; der
Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß (h). Wenn
ein Geſellſchafter den Societätsvertrag dem abweſenden
andern Geſellſchafter, entweder durch einen Brief, oder
durch den Procurator dieſes Andern, aufkündigt, ſo ver-
geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgeſprochene Er-
klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieſer Zwi-
ſchenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus
nichtig, gehalten werden ſoll, hängt von der Willkühr des
Anderen ab, der die Kündigung erſt ſpäter erfahren hat (i).
— Der Unterſchied der hier aufgeſtellten Anſicht von der
bey vielen Schriftſtellern verbreiteten beſteht alſo erſtlich
darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl-
len anzunehmen iſt, als von dieſen geſchieht (k); zweytens

der Nichtigkeit ſelbſt nicht. — In-
deſſen war dieſe Anwendung der
querela nullitatis bey neueren
Schriftſtellern, wenngleich die
häufigſte, doch keinesweges die
einzige. Vgl. Höpfner § 344.
Glück B. 33 S. 91.
(h) L. 13 § 29 de act. emti
(19. 1).
(i) L. 17 § 1 L. 65 § 8 pro
socio
(17. 2.).
(k) Namentlich kommt im Rö-
miſchen Recht bey der Ehe nie-
mals eine relative Nichtigkeit vor.
Im heutigen Recht iſt dieſer Be-
griff freylich nicht wohl zu ent-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0555" n="541"/><fw place="top" type="header">§. 202. Ungültigkeit der juri&#x017F;ti&#x017F;chen That&#x017F;achen.</fw><lb/>
&#x017F;en giebt es allerdings auch im Römi&#x017F;chen Recht einige<lb/>
Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be-<lb/>
&#x017F;timmten dabey betheiligten Per&#x017F;on abhängt, &#x017F;o daß darauf<lb/>
der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an-<lb/>
wendbar i&#x017F;t. Wenn ein Unmündiger einen gegen&#x017F;eitigen<lb/>
Vertrag, z. B. einen Kauf, &#x017F;chließt, &#x017F;o hängt es von ihm,<lb/>
oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver-<lb/>
trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig &#x017F;eyn &#x017F;oll; der<lb/>
Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß <note place="foot" n="(h)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 13 § 29 <hi rendition="#i">de act. emti</hi></hi><lb/>
(19. 1).</note>. Wenn<lb/>
ein Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter den Societätsvertrag dem abwe&#x017F;enden<lb/>
andern Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter, entweder durch einen Brief, oder<lb/>
durch den Procurator die&#x017F;es Andern, aufkündigt, &#x017F;o ver-<lb/>
geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausge&#x017F;prochene Er-<lb/>
klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in die&#x017F;er Zwi-<lb/>
&#x017F;chenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus<lb/>
nichtig, gehalten werden &#x017F;oll, hängt von der Willkühr des<lb/>
Anderen ab, der die Kündigung er&#x017F;t &#x017F;päter erfahren hat <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 17 § 1 <hi rendition="#i">L.</hi> 65 § 8 <hi rendition="#i">pro<lb/>
socio</hi></hi> (17. 2.).</note>.<lb/>
&#x2014; Der Unter&#x017F;chied der hier aufge&#x017F;tellten An&#x017F;icht von der<lb/>
bey vielen Schrift&#x017F;tellern verbreiteten be&#x017F;teht al&#x017F;o er&#x017F;tlich<lb/>
darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl-<lb/>
len anzunehmen i&#x017F;t, als von die&#x017F;en ge&#x017F;chieht <note xml:id="seg2pn_95_1" next="#seg2pn_95_2" place="foot" n="(k)">Namentlich kommt im Rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Recht bey der Ehe nie-<lb/>
mals eine relative Nichtigkeit vor.<lb/>
Im heutigen Recht i&#x017F;t die&#x017F;er Be-<lb/>
griff freylich nicht wohl zu ent-</note>; zweytens<lb/><note xml:id="seg2pn_94_2" prev="#seg2pn_94_1" place="foot" n="(g)">der Nichtigkeit &#x017F;elb&#x017F;t nicht. &#x2014; In-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en war die&#x017F;e Anwendung der<lb/><hi rendition="#aq">querela nullitatis</hi> bey neueren<lb/>
Schrift&#x017F;tellern, wenngleich die<lb/>
häufig&#x017F;te, doch keinesweges die<lb/>
einzige. Vgl. <hi rendition="#g">Höpfner</hi> § 344.<lb/><hi rendition="#g">Glück</hi> B. 33 S. 91.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[541/0555] §. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. ſen giebt es allerdings auch im Römiſchen Recht einige Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be- ſtimmten dabey betheiligten Perſon abhängt, ſo daß darauf der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an- wendbar iſt. Wenn ein Unmündiger einen gegenſeitigen Vertrag, z. B. einen Kauf, ſchließt, ſo hängt es von ihm, oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver- trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig ſeyn ſoll; der Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß (h). Wenn ein Geſellſchafter den Societätsvertrag dem abweſenden andern Geſellſchafter, entweder durch einen Brief, oder durch den Procurator dieſes Andern, aufkündigt, ſo ver- geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgeſprochene Er- klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieſer Zwi- ſchenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus nichtig, gehalten werden ſoll, hängt von der Willkühr des Anderen ab, der die Kündigung erſt ſpäter erfahren hat (i). — Der Unterſchied der hier aufgeſtellten Anſicht von der bey vielen Schriftſtellern verbreiteten beſteht alſo erſtlich darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl- len anzunehmen iſt, als von dieſen geſchieht (k); zweytens (g) (h) L. 13 § 29 de act. emti (19. 1). (i) L. 17 § 1 L. 65 § 8 pro socio (17. 2.). (k) Namentlich kommt im Rö- miſchen Recht bey der Ehe nie- mals eine relative Nichtigkeit vor. Im heutigen Recht iſt dieſer Be- griff freylich nicht wohl zu ent- (g) der Nichtigkeit ſelbſt nicht. — In- deſſen war dieſe Anwendung der querela nullitatis bey neueren Schriftſtellern, wenngleich die häufigſte, doch keinesweges die einzige. Vgl. Höpfner § 344. Glück B. 33 S. 91.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/555
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/555>, abgerufen am 15.06.2024.