Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht. vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber stehe es des-wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme von der Kirchenverfassung (jus commune), nämlich von der in dieser gegründeten Diöcesanbegränzung, enthalten würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh- rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das jus commune oder eine Präsumtion gegen sich habe, sey noch neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man- gel desselben könne nur durch unvordenkliche Zeit ersetzt werden. Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe- (c) Wörtlich heißt das so viel,
daß in zwey verschiedenen Fällen der Titel erfordert werde: 1) ge- gen jus commune, 2) gegen eine Präsumtion. Natürlicher aber ist es wohl, das vel nicht dis- junctiv, sondern erklärend zu ver- stehen, so daß die Erwähnung der Präsumtion nur das jus com- mune in anderen Worten wieder- holt, und zugleich den Grund aus- drückt, weshalb die Abweichung vom jus commune hierin einen Unterschied macht. Für diese Er- klärung spricht die unmittelbar vorhergehende umgekehrte Con- struction: Nam licet ei .. si sibi non est contrarium jus commune, vel contra eum prae- sumtio non habeatur, sufficiat bona fides; denn wenn man die- ses streng wörtlich nimmt, so ist der Besitzer in jedem einzelnen der zwey bezeichneten Fälle frey vom Beweise des Titels; dann aber würde der Satz dem oben im Text abgedruckten widerspre- chen. Dieser Widerspruch wird be- seitigt, wenn man vel für sive oder id est nimmt. -- Wie man aber auch hierin erklären wolle, so ist es in jedem Fall verwerflich, aus dieser Stelle die Nothwendigkeit des unvordenklichen Besitzes für alle Servituten abzuleiten, weil diese die Präsumtion gegen sich hätten (Schelling S. 18). Der Ausdruck einer Präsumtion (pro libertate) paßt auf dieses Ver- hältniß gar nicht, und das cano- nische Recht hat daran gewiß nicht gedacht. §. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht. vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber ſtehe es des-wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme von der Kirchenverfaſſung (jus commune), nämlich von der in dieſer gegründeten Diöceſanbegränzung, enthalten würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh- rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das jus commune oder eine Präſumtion gegen ſich habe, ſey noch neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man- gel deſſelben könne nur durch unvordenkliche Zeit erſetzt werden. Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe- (c) Wörtlich heißt das ſo viel,
daß in zwey verſchiedenen Fällen der Titel erfordert werde: 1) ge- gen jus commune, 2) gegen eine Präſumtion. Natürlicher aber iſt es wohl, das vel nicht dis- junctiv, ſondern erklärend zu ver- ſtehen, ſo daß die Erwähnung der Präſumtion nur das jus com- mune in anderen Worten wieder- holt, und zugleich den Grund aus- drückt, weshalb die Abweichung vom jus commune hierin einen Unterſchied macht. Für dieſe Er- klärung ſpricht die unmittelbar vorhergehende umgekehrte Con- ſtruction: Nam licet ei .. si sibi non est contrarium jus commune, vel contra eum prae- sumtio non habeatur, sufficiat bona fides; denn wenn man die- ſes ſtreng wörtlich nimmt, ſo iſt der Beſitzer in jedem einzelnen der zwey bezeichneten Fälle frey vom Beweiſe des Titels; dann aber würde der Satz dem oben im Text abgedruckten widerſpre- chen. Dieſer Widerſpruch wird be- ſeitigt, wenn man vel für sive oder id est nimmt. — Wie man aber auch hierin erklären wolle, ſo iſt es in jedem Fall verwerflich, aus dieſer Stelle die Nothwendigkeit des unvordenklichen Beſitzes für alle Servituten abzuleiten, weil dieſe die Präſumtion gegen ſich hätten (Schelling S. 18). Der Ausdruck einer Präſumtion (pro libertate) paßt auf dieſes Ver- hältniß gar nicht, und das cano- niſche Recht hat daran gewiß nicht gedacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0521" n="507"/><fw place="top" type="header">§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.</fw><lb/> vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber ſtehe es des-<lb/> wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme<lb/> von der Kirchenverfaſſung (<hi rendition="#aq">jus commune</hi>), nämlich von<lb/> der in dieſer gegründeten Diöceſanbegränzung, enthalten<lb/> würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh-<lb/> rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das <hi rendition="#aq">jus<lb/> commune</hi> oder eine Präſumtion gegen ſich habe, ſey noch<lb/> neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man-<lb/> gel deſſelben könne nur durch unvordenkliche Zeit erſetzt<lb/> werden.</p><lb/> <p> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#aq">Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe-<lb/> tur praesumtio contra ipsum</hi> <note place="foot" n="(c)">Wörtlich heißt das ſo viel,<lb/> daß in zwey verſchiedenen Fällen<lb/> der Titel erfordert werde: 1) ge-<lb/> gen <hi rendition="#aq">jus commune,</hi> 2) gegen<lb/> eine Präſumtion. Natürlicher aber<lb/> iſt es wohl, das <hi rendition="#aq">vel</hi> nicht dis-<lb/> junctiv, ſondern erklärend zu ver-<lb/> ſtehen, ſo daß die Erwähnung<lb/> der Präſumtion nur das <hi rendition="#aq">jus com-<lb/> mune</hi> in anderen Worten wieder-<lb/> holt, und zugleich den Grund aus-<lb/> drückt, weshalb die Abweichung<lb/> vom <hi rendition="#aq">jus commune</hi> hierin einen<lb/> Unterſchied macht. Für dieſe Er-<lb/> klärung ſpricht die unmittelbar<lb/> vorhergehende umgekehrte Con-<lb/> ſtruction: <hi rendition="#aq">Nam licet ei .. si<lb/> sibi non est contrarium jus<lb/> commune, vel contra eum prae-<lb/> sumtio non habeatur, sufficiat<lb/> bona fides;</hi> denn wenn man die-<lb/> ſes ſtreng wörtlich nimmt, ſo iſt<lb/> der Beſitzer in jedem einzelnen<lb/> der zwey bezeichneten Fälle frey<lb/> vom Beweiſe des Titels; dann<lb/> aber würde der Satz dem oben<lb/> im Text abgedruckten widerſpre-<lb/> chen. Dieſer Widerſpruch wird be-<lb/> ſeitigt, wenn man <hi rendition="#aq">vel</hi> für <hi rendition="#aq">sive</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">id est</hi> nimmt. — Wie man aber<lb/> auch hierin erklären wolle, ſo iſt<lb/> es in jedem Fall verwerflich, aus<lb/> dieſer Stelle die Nothwendigkeit<lb/> des unvordenklichen Beſitzes für<lb/> alle Servituten abzuleiten, weil<lb/> dieſe die Präſumtion gegen ſich<lb/> hätten (<hi rendition="#g">Schelling</hi> S. 18). Der<lb/> Ausdruck einer Präſumtion (<hi rendition="#aq">pro<lb/> libertate</hi>) paßt auf dieſes Ver-<lb/> hältniß gar nicht, und das cano-<lb/> niſche Recht hat daran gewiß nicht<lb/> gedacht.</note> <hi rendition="#aq">, bona fides non suffi-<lb/> cit; sed est necessarius titulus, qui possessori caus-</hi> </hi><lb/> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [507/0521]
§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber ſtehe es des-
wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme
von der Kirchenverfaſſung (jus commune), nämlich von
der in dieſer gegründeten Diöceſanbegränzung, enthalten
würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh-
rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das jus
commune oder eine Präſumtion gegen ſich habe, ſey noch
neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man-
gel deſſelben könne nur durch unvordenkliche Zeit erſetzt
werden.
Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe-
tur praesumtio contra ipsum (c) , bona fides non suffi-
cit; sed est necessarius titulus, qui possessori caus-
(c) Wörtlich heißt das ſo viel,
daß in zwey verſchiedenen Fällen
der Titel erfordert werde: 1) ge-
gen jus commune, 2) gegen
eine Präſumtion. Natürlicher aber
iſt es wohl, das vel nicht dis-
junctiv, ſondern erklärend zu ver-
ſtehen, ſo daß die Erwähnung
der Präſumtion nur das jus com-
mune in anderen Worten wieder-
holt, und zugleich den Grund aus-
drückt, weshalb die Abweichung
vom jus commune hierin einen
Unterſchied macht. Für dieſe Er-
klärung ſpricht die unmittelbar
vorhergehende umgekehrte Con-
ſtruction: Nam licet ei .. si
sibi non est contrarium jus
commune, vel contra eum prae-
sumtio non habeatur, sufficiat
bona fides; denn wenn man die-
ſes ſtreng wörtlich nimmt, ſo iſt
der Beſitzer in jedem einzelnen
der zwey bezeichneten Fälle frey
vom Beweiſe des Titels; dann
aber würde der Satz dem oben
im Text abgedruckten widerſpre-
chen. Dieſer Widerſpruch wird be-
ſeitigt, wenn man vel für sive oder
id est nimmt. — Wie man aber
auch hierin erklären wolle, ſo iſt
es in jedem Fall verwerflich, aus
dieſer Stelle die Nothwendigkeit
des unvordenklichen Beſitzes für
alle Servituten abzuleiten, weil
dieſe die Präſumtion gegen ſich
hätten (Schelling S. 18). Der
Ausdruck einer Präſumtion (pro
libertate) paßt auf dieſes Ver-
hältniß gar nicht, und das cano-
niſche Recht hat daran gewiß nicht
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