Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortsetzung.) ren Schriftstellern erscheint, und worin die eigentliche Ge-fahr des Irrthums liegt, in sich aufgenommen hat; zwey- tens weil die Verfasser der Decretalen weit entfernt da- von waren, eine neue Theorie aufstellen zu wollen. Sie gaben getreulich wieder, was sie von ihren Lehrern, den Legisten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt sehen, deren Lehre zu berichtigen, so erstreckt sich diese Berichtigung, so weit von theoretischer Ansicht die Rede ist, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in diesen an praktischen Vorschriften neu aufgestellt worden ist, das soll auch von uns als wirksam anerkannt wer- den. Durch ein solches Verfahren handeln wir gewiß im Sinn der Verfasser des canonischen Rechts. -- Neuerlich ist der Versuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver- jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten. Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk- male etwas beschränkt, wodurch einige der oben zusam- men gestellten Rechtsinstitute in ihm enthalten blieben, an- dere ausgeschlossen wurden (m). Auch dieser Versuch muß (m) Unterholzner Verjäh-
rungslehre § 1 stellt den Begriff dahin auf: Verjährung sey eine Veränderung in Rechten, welche hauptsächlich als Folge der zeitlich fortgesetzten Ausübung oder Nichtausübung angesehen werden müsse. Dadurch will er ausschließen die Verwirkung durch Rechtswidrigkeit, wohin auch (als contumacia) die Versäumniß rich- terlicher Fristen gehört: ferner die Versäumniß der Appellationsfrist, denn dadurch werde nur ein Hin- derniß der Wirksamkeit des Ur- theils weggeräumt, so daß die- ses, und nicht der Zeitablauf, als positiv wirkende Ursache einer Rechtsänderung anzusehen sey. -- Es leuchtet sogleich ein, wie we- nig auf diesem Wege eine sichere Gränze für die Anwendung des Begriffs gewonnen werden kann, selbst wenn man von der völli- §. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.) ren Schriftſtellern erſcheint, und worin die eigentliche Ge-fahr des Irrthums liegt, in ſich aufgenommen hat; zwey- tens weil die Verfaſſer der Decretalen weit entfernt da- von waren, eine neue Theorie aufſtellen zu wollen. Sie gaben getreulich wieder, was ſie von ihren Lehrern, den Legiſten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt ſehen, deren Lehre zu berichtigen, ſo erſtreckt ſich dieſe Berichtigung, ſo weit von theoretiſcher Anſicht die Rede iſt, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in dieſen an praktiſchen Vorſchriften neu aufgeſtellt worden iſt, das ſoll auch von uns als wirkſam anerkannt wer- den. Durch ein ſolches Verfahren handeln wir gewiß im Sinn der Verfaſſer des canoniſchen Rechts. — Neuerlich iſt der Verſuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver- jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten. Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk- male etwas beſchränkt, wodurch einige der oben zuſam- men geſtellten Rechtsinſtitute in ihm enthalten blieben, an- dere ausgeſchloſſen wurden (m). Auch dieſer Verſuch muß (m) Unterholzner Verjäh-
rungslehre § 1 ſtellt den Begriff dahin auf: Verjährung ſey eine Veränderung in Rechten, welche hauptſächlich als Folge der zeitlich fortgeſetzten Ausübung oder Nichtausübung angeſehen werden müſſe. Dadurch will er ausſchließen die Verwirkung durch Rechtswidrigkeit, wohin auch (als contumacia) die Verſäumniß rich- terlicher Friſten gehört: ferner die Verſäumniß der Appellationsfriſt, denn dadurch werde nur ein Hin- derniß der Wirkſamkeit des Ur- theils weggeräumt, ſo daß die- ſes, und nicht der Zeitablauf, als poſitiv wirkende Urſache einer Rechtsänderung anzuſehen ſey. — Es leuchtet ſogleich ein, wie we- nig auf dieſem Wege eine ſichere Gränze für die Anwendung des Begriffs gewonnen werden kann, ſelbſt wenn man von der völli- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0331" n="317"/><fw place="top" type="header">§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)</fw><lb/> ren Schriftſtellern erſcheint, und worin die eigentliche Ge-<lb/> fahr des Irrthums liegt, in ſich aufgenommen hat; zwey-<lb/> tens weil die Verfaſſer der Decretalen weit entfernt da-<lb/> von waren, eine neue Theorie aufſtellen zu wollen. Sie<lb/> gaben getreulich wieder, was ſie von ihren Lehrern, den<lb/> Legiſten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt<lb/> ſehen, deren Lehre zu berichtigen, ſo erſtreckt ſich dieſe<lb/> Berichtigung, ſo weit von theoretiſcher Anſicht die Rede<lb/> iſt, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in<lb/> dieſen an praktiſchen Vorſchriften neu aufgeſtellt worden<lb/> iſt, das ſoll auch von uns als wirkſam anerkannt wer-<lb/> den. Durch ein ſolches Verfahren handeln wir gewiß im<lb/> Sinn der Verfaſſer des canoniſchen Rechts. — Neuerlich<lb/> iſt der Verſuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver-<lb/> jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten.<lb/> Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk-<lb/> male etwas beſchränkt, wodurch einige der oben zuſam-<lb/> men geſtellten Rechtsinſtitute in ihm enthalten blieben, an-<lb/> dere ausgeſchloſſen wurden <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#g">Unterholzner</hi> Verjäh-<lb/> rungslehre § 1 ſtellt den Begriff<lb/> dahin auf: Verjährung ſey eine<lb/> Veränderung in Rechten, welche<lb/><hi rendition="#g">hauptſächlich</hi> als Folge der<lb/> zeitlich fortgeſetzten Ausübung<lb/> oder Nichtausübung angeſehen<lb/> werden müſſe. Dadurch will er<lb/> ausſchließen die Verwirkung durch<lb/> Rechtswidrigkeit, wohin auch (als<lb/><hi rendition="#aq">contumacia</hi>) die Verſäumniß rich-<lb/> terlicher Friſten gehört: ferner die<lb/> Verſäumniß der Appellationsfriſt,<lb/> denn dadurch werde nur ein Hin-<lb/> derniß der Wirkſamkeit des Ur-<lb/> theils weggeräumt, ſo daß die-<lb/> ſes, und nicht der Zeitablauf, als<lb/> poſitiv wirkende Urſache einer<lb/> Rechtsänderung anzuſehen ſey. —<lb/> Es leuchtet ſogleich ein, wie we-<lb/> nig auf dieſem Wege eine ſichere<lb/> Gränze für die Anwendung des<lb/> Begriffs gewonnen werden kann,<lb/> ſelbſt wenn man von der völli-</note>. Auch dieſer Verſuch muß<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [317/0331]
§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)
ren Schriftſtellern erſcheint, und worin die eigentliche Ge-
fahr des Irrthums liegt, in ſich aufgenommen hat; zwey-
tens weil die Verfaſſer der Decretalen weit entfernt da-
von waren, eine neue Theorie aufſtellen zu wollen. Sie
gaben getreulich wieder, was ſie von ihren Lehrern, den
Legiſten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt
ſehen, deren Lehre zu berichtigen, ſo erſtreckt ſich dieſe
Berichtigung, ſo weit von theoretiſcher Anſicht die Rede
iſt, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in
dieſen an praktiſchen Vorſchriften neu aufgeſtellt worden
iſt, das ſoll auch von uns als wirkſam anerkannt wer-
den. Durch ein ſolches Verfahren handeln wir gewiß im
Sinn der Verfaſſer des canoniſchen Rechts. — Neuerlich
iſt der Verſuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver-
jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten.
Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk-
male etwas beſchränkt, wodurch einige der oben zuſam-
men geſtellten Rechtsinſtitute in ihm enthalten blieben, an-
dere ausgeſchloſſen wurden (m). Auch dieſer Verſuch muß
(m) Unterholzner Verjäh-
rungslehre § 1 ſtellt den Begriff
dahin auf: Verjährung ſey eine
Veränderung in Rechten, welche
hauptſächlich als Folge der
zeitlich fortgeſetzten Ausübung
oder Nichtausübung angeſehen
werden müſſe. Dadurch will er
ausſchließen die Verwirkung durch
Rechtswidrigkeit, wohin auch (als
contumacia) die Verſäumniß rich-
terlicher Friſten gehört: ferner die
Verſäumniß der Appellationsfriſt,
denn dadurch werde nur ein Hin-
derniß der Wirkſamkeit des Ur-
theils weggeräumt, ſo daß die-
ſes, und nicht der Zeitablauf, als
poſitiv wirkende Urſache einer
Rechtsänderung anzuſehen ſey. —
Es leuchtet ſogleich ein, wie we-
nig auf dieſem Wege eine ſichere
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