gleiche Bedürfniß einer genaueren Bestimmung der ein- schlagenden Zeitverhältnisse eintritt (v).
Es ergiebt sich aus dieser Übersicht, daß die Fälle, die hier als erste Klasse bezeichnet wurden, bey Weitem die wichtigsten sind; über diese sollen nun einige allgemeine Betrachtungen hinzugefügt werden. Man kann zuerst die Frage aufwerfen, warum überhaupt an die fortge- setzte Thätigkeit oder Unthätigkeit, der Erwerb und Ver- lust von Rechten geknüpft werde? Der allgemeinste Be- weggrund solcher Bestimmungen liegt in dem Bedürfniß, das Daseyn der Rechtsverhältnisse, insbesondere den Um- fang eines jeden Vermögens, auf eine sichere, unzweifel- hafte Weise festzustellen, welches dadurch geschieht, daß die an sich unvermeidliche Ungewißheit in möglichst enge Zeitgränzen eingeschlossen wird. Dieses ist der wahre Zweck der Usucapion, der Klagverjährung, der Prozeß- fristen, und aller anderen in der ersten Klasse zusammen gefaßten Vorschriften. Zu diesem Beweggrund, den man als den positiven bezeichnen kann, tritt nun noch ein ne- gativer hinzu, der gewöhnlich als Strafe der Nachlässig- keit ausgedrückt wird. Durch diesen Ausdruck könnte man verleitet werden, die hier eintretende Unthätigkeit als an sich widerrechtlich und strafbar, oder wenigstens als schäd- lich zu betrachten, weshalb sie durch künstliche Mittel ver-
(v) Neuere Schriftsteller haben die hier zuletzt erwähnten Fälle durch die nicht glücklich gewähl- ten Ausdrücke praescriptio ju- dicialis, testamentaria, conven- tionalis bezeichnet, um sie unter den allgemeinen Verjährungsbe- griff zu subsumiren.
IV. 20
§. 177. Zeit. Einleitung.
gleiche Bedürfniß einer genaueren Beſtimmung der ein- ſchlagenden Zeitverhältniſſe eintritt (v).
Es ergiebt ſich aus dieſer Überſicht, daß die Fälle, die hier als erſte Klaſſe bezeichnet wurden, bey Weitem die wichtigſten ſind; über dieſe ſollen nun einige allgemeine Betrachtungen hinzugefügt werden. Man kann zuerſt die Frage aufwerfen, warum überhaupt an die fortge- ſetzte Thätigkeit oder Unthätigkeit, der Erwerb und Ver- luſt von Rechten geknüpft werde? Der allgemeinſte Be- weggrund ſolcher Beſtimmungen liegt in dem Bedürfniß, das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe, insbeſondere den Um- fang eines jeden Vermögens, auf eine ſichere, unzweifel- hafte Weiſe feſtzuſtellen, welches dadurch geſchieht, daß die an ſich unvermeidliche Ungewißheit in möglichſt enge Zeitgränzen eingeſchloſſen wird. Dieſes iſt der wahre Zweck der Uſucapion, der Klagverjährung, der Prozeß- friſten, und aller anderen in der erſten Klaſſe zuſammen gefaßten Vorſchriften. Zu dieſem Beweggrund, den man als den poſitiven bezeichnen kann, tritt nun noch ein ne- gativer hinzu, der gewöhnlich als Strafe der Nachläſſig- keit ausgedrückt wird. Durch dieſen Ausdruck könnte man verleitet werden, die hier eintretende Unthätigkeit als an ſich widerrechtlich und ſtrafbar, oder wenigſtens als ſchäd- lich zu betrachten, weshalb ſie durch künſtliche Mittel ver-
(v) Neuere Schriftſteller haben die hier zuletzt erwähnten Fälle durch die nicht glücklich gewähl- ten Ausdrücke praescriptio ju- dicialis, testamentaria, conven- tionalis bezeichnet, um ſie unter den allgemeinen Verjährungsbe- griff zu ſubſumiren.
IV. 20
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§. 177. Zeit. Einleitung.
gleiche Bedürfniß einer genaueren Beſtimmung der ein-
ſchlagenden Zeitverhältniſſe eintritt (v).
Es ergiebt ſich aus dieſer Überſicht, daß die Fälle, die
hier als erſte Klaſſe bezeichnet wurden, bey Weitem die
wichtigſten ſind; über dieſe ſollen nun einige allgemeine
Betrachtungen hinzugefügt werden. Man kann zuerſt
die Frage aufwerfen, warum überhaupt an die fortge-
ſetzte Thätigkeit oder Unthätigkeit, der Erwerb und Ver-
luſt von Rechten geknüpft werde? Der allgemeinſte Be-
weggrund ſolcher Beſtimmungen liegt in dem Bedürfniß,
das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe, insbeſondere den Um-
fang eines jeden Vermögens, auf eine ſichere, unzweifel-
hafte Weiſe feſtzuſtellen, welches dadurch geſchieht, daß
die an ſich unvermeidliche Ungewißheit in möglichſt enge
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gativer hinzu, der gewöhnlich als Strafe der Nachläſſig-
keit ausgedrückt wird. Durch dieſen Ausdruck könnte man
verleitet werden, die hier eintretende Unthätigkeit als an
ſich widerrechtlich und ſtrafbar, oder wenigſtens als ſchäd-
lich zu betrachten, weshalb ſie durch künſtliche Mittel ver-
(v) Neuere Schriftſteller haben
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ten Ausdrücke praescriptio ju-
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IV. 20
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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