Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 110. Altersstufen. Impuberes. (Fortsetzung.)
Streit darüber entstehen, ob an irgend einem bestimmten
Tage die Ehe schon gültig gewesen sey oder nicht, wel-
ches z. B. auf die Gültigkeit einer an diesem Tage ge-
machten Schenkung Einfluß haben könnte; allein dann ist
es auch nicht mehr möglich, durch Untersuchung den kör-
perlichen Zustand festzustellen, der an einem vielleicht längst
vergangnen Tage bestanden hat. Der einzige Fall, worin
etwa die Untersuchung stattfinden konnte, war der, wenn
bald nach dem Anfang einer solchen zweydeutigen Ehe ein
Theil die Scheidung aussprach, oder auch die Nichtigkeit
behauptete, und nun die Frage entstand, ob bis jetzt eine
Ehe bestanden habe; für einen so seltenen, vielleicht nie
eingetretenen Fall haben aber schwerlich die Sabinianer,
aus bloßer Liebe zur Consequenz, die Anwendung ihres
Princips behauptet. Höchst wahrscheinlich also hat man
auch in Anwendung auf die Ehe die Vierzehen Jahre stets
ohne Streit gelten lassen (g).



(g) Die einzige Stelle, worin
die Untersuchung in Beziehung auf
Ehe erwähnt wird, ist Quincti-
lian
. declam.
279. Der Fall ist
dieser. Ein Vater hat seinen un-
reifen Knaben verheurathet; die-
ser findet einen Ehebrecher bey
der Frau und läßt sich von ihm
mit Geld abfinden; deswegen will
ihn der Vater abdiciren, und ge-
gen die Rechtmäßigkeit dieser ab-
dicatio
ist die ganze Rede gerich-
tet. Der Redner behauptet nun
unter andern, es sey noch gar
keine wahre Ehe gewesen, und
will es deshalb auf eine Besich-
tigung des Knaben ankommen
lassen. Allein schon an sich kön-
nen solche romanhafte Einfälle
Nichts für das Daseyn eines
Rechtssatzes beweisen; vollends
aber in dieser Rede, deren gan-
zer Gegenstand die abdicatio ist,
welches Institut dem Römischen
Recht gar nicht angehört.

§. 110. Altersſtufen. Impuberes. (Fortſetzung.)
Streit darüber entſtehen, ob an irgend einem beſtimmten
Tage die Ehe ſchon gültig geweſen ſey oder nicht, wel-
ches z. B. auf die Gültigkeit einer an dieſem Tage ge-
machten Schenkung Einfluß haben könnte; allein dann iſt
es auch nicht mehr möglich, durch Unterſuchung den kör-
perlichen Zuſtand feſtzuſtellen, der an einem vielleicht längſt
vergangnen Tage beſtanden hat. Der einzige Fall, worin
etwa die Unterſuchung ſtattfinden konnte, war der, wenn
bald nach dem Anfang einer ſolchen zweydeutigen Ehe ein
Theil die Scheidung ausſprach, oder auch die Nichtigkeit
behauptete, und nun die Frage entſtand, ob bis jetzt eine
Ehe beſtanden habe; für einen ſo ſeltenen, vielleicht nie
eingetretenen Fall haben aber ſchwerlich die Sabinianer,
aus bloßer Liebe zur Conſequenz, die Anwendung ihres
Princips behauptet. Höchſt wahrſcheinlich alſo hat man
auch in Anwendung auf die Ehe die Vierzehen Jahre ſtets
ohne Streit gelten laſſen (g).



(g) Die einzige Stelle, worin
die Unterſuchung in Beziehung auf
Ehe erwähnt wird, iſt Quincti-
lian
. declam.
279. Der Fall iſt
dieſer. Ein Vater hat ſeinen un-
reifen Knaben verheurathet; die-
ſer findet einen Ehebrecher bey
der Frau und läßt ſich von ihm
mit Geld abfinden; deswegen will
ihn der Vater abdiciren, und ge-
gen die Rechtmäßigkeit dieſer ab-
dicatio
iſt die ganze Rede gerich-
tet. Der Redner behauptet nun
unter andern, es ſey noch gar
keine wahre Ehe geweſen, und
will es deshalb auf eine Beſich-
tigung des Knaben ankommen
laſſen. Allein ſchon an ſich kön-
nen ſolche romanhafte Einfälle
Nichts für das Daſeyn eines
Rechtsſatzes beweiſen; vollends
aber in dieſer Rede, deren gan-
zer Gegenſtand die abdicatio iſt,
welches Inſtitut dem Römiſchen
Recht gar nicht angehört.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0085" n="73"/><fw place="top" type="header">§. 110. Alters&#x017F;tufen. <hi rendition="#aq">Impuberes</hi>. (Fort&#x017F;etzung.)</fw><lb/>
Streit darüber ent&#x017F;tehen, ob an irgend einem be&#x017F;timmten<lb/>
Tage die Ehe &#x017F;chon gültig gewe&#x017F;en &#x017F;ey oder nicht, wel-<lb/>
ches z. B. auf die Gültigkeit einer an die&#x017F;em Tage ge-<lb/>
machten Schenkung Einfluß haben könnte; allein dann i&#x017F;t<lb/>
es auch nicht mehr möglich, durch Unter&#x017F;uchung den kör-<lb/>
perlichen Zu&#x017F;tand fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, der an einem vielleicht läng&#x017F;t<lb/>
vergangnen Tage be&#x017F;tanden hat. Der einzige Fall, worin<lb/>
etwa die Unter&#x017F;uchung &#x017F;tattfinden konnte, war der, wenn<lb/>
bald nach dem Anfang einer &#x017F;olchen zweydeutigen Ehe ein<lb/>
Theil die Scheidung aus&#x017F;prach, oder auch die Nichtigkeit<lb/>
behauptete, und nun die Frage ent&#x017F;tand, ob bis jetzt eine<lb/>
Ehe be&#x017F;tanden habe; für einen &#x017F;o &#x017F;eltenen, vielleicht nie<lb/>
eingetretenen Fall haben aber &#x017F;chwerlich die Sabinianer,<lb/>
aus bloßer Liebe zur Con&#x017F;equenz, die Anwendung ihres<lb/>
Princips behauptet. Höch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich al&#x017F;o hat man<lb/>
auch in Anwendung auf die Ehe die Vierzehen Jahre &#x017F;tets<lb/>
ohne Streit gelten la&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(g)">Die einzige Stelle, worin<lb/>
die Unter&#x017F;uchung in Beziehung auf<lb/>
Ehe erwähnt wird, i&#x017F;t <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Quincti-<lb/>
lian</hi>. declam.</hi> 279. Der Fall i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;er. Ein Vater hat &#x017F;einen un-<lb/>
reifen Knaben verheurathet; die-<lb/>
&#x017F;er findet einen Ehebrecher bey<lb/>
der Frau und läßt &#x017F;ich von ihm<lb/>
mit Geld abfinden; deswegen will<lb/>
ihn der Vater abdiciren, und ge-<lb/>
gen die Rechtmäßigkeit die&#x017F;er <hi rendition="#aq">ab-<lb/>
dicatio</hi> i&#x017F;t die ganze Rede gerich-<lb/>
tet. Der Redner behauptet nun<lb/>
unter andern, es &#x017F;ey noch gar<lb/>
keine wahre Ehe gewe&#x017F;en, und<lb/>
will es deshalb auf eine Be&#x017F;ich-<lb/>
tigung des Knaben ankommen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Allein &#x017F;chon an &#x017F;ich kön-<lb/>
nen &#x017F;olche romanhafte Einfälle<lb/>
Nichts für das Da&#x017F;eyn eines<lb/>
Rechts&#x017F;atzes bewei&#x017F;en; vollends<lb/>
aber in die&#x017F;er Rede, deren gan-<lb/>
zer Gegen&#x017F;tand die <hi rendition="#aq">abdicatio</hi> i&#x017F;t,<lb/>
welches In&#x017F;titut dem Römi&#x017F;chen<lb/>
Recht gar nicht angehört.</note>.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0085] §. 110. Altersſtufen. Impuberes. (Fortſetzung.) Streit darüber entſtehen, ob an irgend einem beſtimmten Tage die Ehe ſchon gültig geweſen ſey oder nicht, wel- ches z. B. auf die Gültigkeit einer an dieſem Tage ge- machten Schenkung Einfluß haben könnte; allein dann iſt es auch nicht mehr möglich, durch Unterſuchung den kör- perlichen Zuſtand feſtzuſtellen, der an einem vielleicht längſt vergangnen Tage beſtanden hat. Der einzige Fall, worin etwa die Unterſuchung ſtattfinden konnte, war der, wenn bald nach dem Anfang einer ſolchen zweydeutigen Ehe ein Theil die Scheidung ausſprach, oder auch die Nichtigkeit behauptete, und nun die Frage entſtand, ob bis jetzt eine Ehe beſtanden habe; für einen ſo ſeltenen, vielleicht nie eingetretenen Fall haben aber ſchwerlich die Sabinianer, aus bloßer Liebe zur Conſequenz, die Anwendung ihres Princips behauptet. Höchſt wahrſcheinlich alſo hat man auch in Anwendung auf die Ehe die Vierzehen Jahre ſtets ohne Streit gelten laſſen (g). (g) Die einzige Stelle, worin die Unterſuchung in Beziehung auf Ehe erwähnt wird, iſt Quincti- lian. declam. 279. Der Fall iſt dieſer. Ein Vater hat ſeinen un- reifen Knaben verheurathet; die- ſer findet einen Ehebrecher bey der Frau und läßt ſich von ihm mit Geld abfinden; deswegen will ihn der Vater abdiciren, und ge- gen die Rechtmäßigkeit dieſer ab- dicatio iſt die ganze Rede gerich- tet. Der Redner behauptet nun unter andern, es ſey noch gar keine wahre Ehe geweſen, und will es deshalb auf eine Beſich- tigung des Knaben ankommen laſſen. Allein ſchon an ſich kön- nen ſolche romanhafte Einfälle Nichts für das Daſeyn eines Rechtsſatzes beweiſen; vollends aber in dieſer Rede, deren gan- zer Gegenſtand die abdicatio iſt, welches Inſtitut dem Römiſchen Recht gar nicht angehört.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/85
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/85>, abgerufen am 23.11.2024.