Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang. dieser eigenthümlichen Abweichung ist so zu erklären. Nachdem älteren Recht konnte überhaupt Niemand durch freye Mittelspersonen Rechte erwerben, also auch nicht der Pu- pill durch die Handlungen seines Tutors: bey dem Besitz insbesondere, welcher freylich nicht wie ein Recht, sondern wie eine Thatsache entsteht, gehört zu dieser Thatsache wesentlich der Wille des Besitzerwerbers, der aber nicht vorhanden ist, wenn blos der Tutor will. Daher konnte denn im älteren Recht der Tutor seinem Pupillen eben so wenig den Besitz, als Eigenthum oder Obligationen, er- werben. Allein bey diesen eigentlichen Rechten half das Sklavenverhältniß aus, indem jeder Sklave des Pupillen durch Mancipation oder Stipulation seinen Herrn zum Eigenthümer oder Glaubiger machte. Diese rein juristi- sche Aushülfe fehlte bey dem Besitz, der nur durch die Thatsache des Willens, neben der körperlichen Herrschaft potest, si tutore auctore coe-
pit, nam judicium infantis sup- pletur auctoritate tutoris: uti- litatis enim causa hoc recep- tum est" rel. -- Vgl. über diese Stelle Savigny Recht des Be- sitzes 6te Aufl. S. 285. -- Es würde ganz unrichtig seyn, wenn man sich diese utilitas so vorstellen wollte, als hätten dadurch die ei- genen Speculationen der Kinder begünstigt werden sollen; es kam darauf an, den Erwerbungen rechtliche Vollendung zu geben, die sich auf Rechtsgeschäfte des Tutors, oder auch des Erblassers des Pupillen gründeten. Wie wich- tig die Sache war, ergiebt sich aus der Betrachtung folgendes einfa- chen und häufigen Falles. Wenn ein Mann starb und einen Sohn unter Sieben Jahren als suus heres hinterließ, so erwarb die- ser fogleich ipso jure das ganze Vermögen, aber den Besitz des- selben, also auch den Interdicten- schutz, konnte er nicht anders als mit Hülfe jener anomalischen tu- toris auctoritas erwerben. (Vgl. Savigny Recht des Besitzes § 28). Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. dieſer eigenthümlichen Abweichung iſt ſo zu erklären. Nachdem älteren Recht konnte überhaupt Niemand durch freye Mittelsperſonen Rechte erwerben, alſo auch nicht der Pu- pill durch die Handlungen ſeines Tutors: bey dem Beſitz insbeſondere, welcher freylich nicht wie ein Recht, ſondern wie eine Thatſache entſteht, gehört zu dieſer Thatſache weſentlich der Wille des Beſitzerwerbers, der aber nicht vorhanden iſt, wenn blos der Tutor will. Daher konnte denn im älteren Recht der Tutor ſeinem Pupillen eben ſo wenig den Beſitz, als Eigenthum oder Obligationen, er- werben. Allein bey dieſen eigentlichen Rechten half das Sklavenverhältniß aus, indem jeder Sklave des Pupillen durch Mancipation oder Stipulation ſeinen Herrn zum Eigenthümer oder Glaubiger machte. Dieſe rein juriſti- ſche Aushülfe fehlte bey dem Beſitz, der nur durch die Thatſache des Willens, neben der körperlichen Herrſchaft potest, si tutore auctore coe-
pit, nam judicium infantis sup- pletur auctoritate tutoris: uti- litatis enim causa hoc recep- tum est” rel. — Vgl. über dieſe Stelle Savigny Recht des Be- ſitzes 6te Aufl. S. 285. — Es würde ganz unrichtig ſeyn, wenn man ſich dieſe utilitas ſo vorſtellen wollte, als hätten dadurch die ei- genen Speculationen der Kinder begünſtigt werden ſollen; es kam darauf an, den Erwerbungen rechtliche Vollendung zu geben, die ſich auf Rechtsgeſchäfte des Tutors, oder auch des Erblaſſers des Pupillen gründeten. Wie wich- tig die Sache war, ergiebt ſich aus der Betrachtung folgendes einfa- chen und häufigen Falles. Wenn ein Mann ſtarb und einen Sohn unter Sieben Jahren als suus heres hinterließ, ſo erwarb die- ſer fogleich ipso jure das ganze Vermögen, aber den Beſitz deſ- ſelben, alſo auch den Interdicten- ſchutz, konnte er nicht anders als mit Hülfe jener anomaliſchen tu- toris auctoritas erwerben. (Vgl. Savigny Recht des Beſitzes § 28). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0064" n="52"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Entſtehung und Untergang.</fw><lb/> dieſer eigenthümlichen Abweichung iſt ſo zu erklären. Nach<lb/> dem älteren Recht konnte überhaupt Niemand durch freye<lb/> Mittelsperſonen Rechte erwerben, alſo auch nicht der Pu-<lb/> pill durch die Handlungen ſeines Tutors: bey dem Beſitz<lb/> insbeſondere, welcher freylich nicht wie ein Recht, ſondern<lb/> wie eine Thatſache entſteht, gehört zu dieſer Thatſache<lb/> weſentlich der Wille des Beſitzerwerbers, der aber nicht<lb/> vorhanden iſt, wenn blos der Tutor will. Daher konnte<lb/> denn im älteren Recht der Tutor ſeinem Pupillen eben ſo<lb/> wenig den Beſitz, als Eigenthum oder Obligationen, er-<lb/> werben. Allein bey dieſen eigentlichen Rechten half das<lb/> Sklavenverhältniß aus, indem jeder Sklave des Pupillen<lb/> durch Mancipation oder Stipulation ſeinen Herrn zum<lb/> Eigenthümer oder Glaubiger machte. Dieſe rein juriſti-<lb/> ſche Aushülfe fehlte bey dem Beſitz, der nur durch die<lb/> Thatſache des Willens, neben der körperlichen Herrſchaft<lb/><note xml:id="seg2pn_6_2" prev="#seg2pn_6_1" place="foot" n="(aa)"><hi rendition="#aq">potest, si tutore auctore coe-<lb/> pit, nam judicium infantis sup-<lb/> pletur auctoritate tutoris: <hi rendition="#i">uti-<lb/> litatis enim causa hoc recep-<lb/> tum est</hi>” rel.</hi> — Vgl. über dieſe<lb/> Stelle <hi rendition="#g">Savigny</hi> Recht des Be-<lb/> ſitzes 6te Aufl. S. 285. — Es würde<lb/> ganz unrichtig ſeyn, wenn man<lb/> ſich dieſe <hi rendition="#aq">utilitas</hi> ſo vorſtellen<lb/> wollte, als hätten dadurch die ei-<lb/> genen Speculationen der Kinder<lb/> begünſtigt werden ſollen; es kam<lb/> darauf an, den Erwerbungen<lb/> rechtliche Vollendung zu geben,<lb/> die ſich auf Rechtsgeſchäfte des<lb/> Tutors, oder auch des Erblaſſers<lb/> des Pupillen gründeten. Wie wich-<lb/> tig die Sache war, ergiebt ſich aus<lb/> der Betrachtung folgendes einfa-<lb/> chen und häufigen Falles. Wenn<lb/> ein Mann ſtarb und einen Sohn<lb/> unter Sieben Jahren als <hi rendition="#aq">suus<lb/> heres</hi> hinterließ, ſo erwarb die-<lb/> ſer fogleich <hi rendition="#aq">ipso jure</hi> das ganze<lb/> Vermögen, aber den Beſitz deſ-<lb/> ſelben, alſo auch den Interdicten-<lb/> ſchutz, konnte er nicht anders als<lb/> mit Hülfe jener anomaliſchen <hi rendition="#aq">tu-<lb/> toris auctoritas</hi> erwerben. (Vgl.<lb/><hi rendition="#g">Savigny</hi> Recht des Beſitzes<lb/> § 28).</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0064]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
dieſer eigenthümlichen Abweichung iſt ſo zu erklären. Nach
dem älteren Recht konnte überhaupt Niemand durch freye
Mittelsperſonen Rechte erwerben, alſo auch nicht der Pu-
pill durch die Handlungen ſeines Tutors: bey dem Beſitz
insbeſondere, welcher freylich nicht wie ein Recht, ſondern
wie eine Thatſache entſteht, gehört zu dieſer Thatſache
weſentlich der Wille des Beſitzerwerbers, der aber nicht
vorhanden iſt, wenn blos der Tutor will. Daher konnte
denn im älteren Recht der Tutor ſeinem Pupillen eben ſo
wenig den Beſitz, als Eigenthum oder Obligationen, er-
werben. Allein bey dieſen eigentlichen Rechten half das
Sklavenverhältniß aus, indem jeder Sklave des Pupillen
durch Mancipation oder Stipulation ſeinen Herrn zum
Eigenthümer oder Glaubiger machte. Dieſe rein juriſti-
ſche Aushülfe fehlte bey dem Beſitz, der nur durch die
Thatſache des Willens, neben der körperlichen Herrſchaft
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(aa) potest, si tutore auctore coe-
pit, nam judicium infantis sup-
pletur auctoritate tutoris: uti-
litatis enim causa hoc recep-
tum est” rel. — Vgl. über dieſe
Stelle Savigny Recht des Be-
ſitzes 6te Aufl. S. 285. — Es würde
ganz unrichtig ſeyn, wenn man
ſich dieſe utilitas ſo vorſtellen
wollte, als hätten dadurch die ei-
genen Speculationen der Kinder
begünſtigt werden ſollen; es kam
darauf an, den Erwerbungen
rechtliche Vollendung zu geben,
die ſich auf Rechtsgeſchäfte des
Tutors, oder auch des Erblaſſers
des Pupillen gründeten. Wie wich-
tig die Sache war, ergiebt ſich aus
der Betrachtung folgendes einfa-
chen und häufigen Falles. Wenn
ein Mann ſtarb und einen Sohn
unter Sieben Jahren als suus
heres hinterließ, ſo erwarb die-
ſer fogleich ipso jure das ganze
Vermögen, aber den Beſitz deſ-
ſelben, alſo auch den Interdicten-
ſchutz, konnte er nicht anders als
mit Hülfe jener anomaliſchen tu-
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