Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Irrthum und Unwissenheit.
ausgesprochenen Grundes, der ja auf jedes andere Inde-
bitum völlig eben so paßt. Was soll nun hier die Ge-
wissenspflicht die keine naturalis obligatio erzeugt? Sie
könnte nur erheblich seyn als Beweggrund der Auszahlung;
dann waren die Erben wegen ihres Edelmuths zu loben,
nicht als stulti zu schelten: davon also war im vorliegen-
den Fall gar nicht die Rede, sondern vielmehr von einem
ganz entgegengesetzten Beweggrund, dem Rechtsirrthum (f).
Die ganze von Mühlenbruch zur Rettung seiner Meynung
versuchte Erklärung ist also der Stelle völlig aufgezwun-
gen. Und diese Erklärung nun ist es zugleich, die er zur
Fiction eines Rechtsfalls benutzt, der ursprünglich in der
L. 10 C. h. t. gestanden haben soll (g). Wollte man ihm
also auch diese Fiction nachsehen, so würde damit für die
Vertheidigung seiner Sache gegen die L. 10 C. h. t. gar
Nichts gewonnen seyn.

Eine andere Stelle, L. 2 C. si adv. sol. (2. 33.) drückt
unsre Regel in folgender noch allgemeineren Anwendung aus:
"Indebito legato, licet per errorem juris a minore so-
luto, repetitionem ei decerni, si necdum tempus, quo
restitutionis tribuitur auxilium, excesserit, rationis est."

Ein Minderjähriger hatte ein Legat, das er aus irgend

(f) Darum ist es denn auch
völlig unrichtig, wenn Mühlen-
bruch
a. a. O. mit L. 9 § 5 h.
t.
die L. 2 C. de fideic. (6. 42.)
zusammenstellt. Denn in dieser
letzten ist geradezu von einem Fall
wissentlicher Zahlung aus Achtung
gegen den Willen des Verstorbe-
nen die Rede. Der Inhalt bei-
der Stellen hat also gar keine
Ähnlichkeit.
(g) Mühlenbruch S. 430.
431.

Irrthum und Unwiſſenheit.
ausgeſprochenen Grundes, der ja auf jedes andere Inde-
bitum völlig eben ſo paßt. Was ſoll nun hier die Ge-
wiſſenspflicht die keine naturalis obligatio erzeugt? Sie
könnte nur erheblich ſeyn als Beweggrund der Auszahlung;
dann waren die Erben wegen ihres Edelmuths zu loben,
nicht als stulti zu ſchelten: davon alſo war im vorliegen-
den Fall gar nicht die Rede, ſondern vielmehr von einem
ganz entgegengeſetzten Beweggrund, dem Rechtsirrthum (f).
Die ganze von Mühlenbruch zur Rettung ſeiner Meynung
verſuchte Erklärung iſt alſo der Stelle völlig aufgezwun-
gen. Und dieſe Erklärung nun iſt es zugleich, die er zur
Fiction eines Rechtsfalls benutzt, der urſprünglich in der
L. 10 C. h. t. geſtanden haben ſoll (g). Wollte man ihm
alſo auch dieſe Fiction nachſehen, ſo würde damit für die
Vertheidigung ſeiner Sache gegen die L. 10 C. h. t. gar
Nichts gewonnen ſeyn.

Eine andere Stelle, L. 2 C. si adv. sol. (2. 33.) drückt
unſre Regel in folgender noch allgemeineren Anwendung aus:
„Indebito legato, licet per errorem juris a minore so-
luto, repetitionem ei decerni, si necdum tempus, quo
restitutionis tribuitur auxilium, excesserit, rationis est.”

Ein Minderjähriger hatte ein Legat, das er aus irgend

(f) Darum iſt es denn auch
völlig unrichtig, wenn Mühlen-
bruch
a. a. O. mit L. 9 § 5 h.
t.
die L. 2 C. de fideic. (6. 42.)
zuſammenſtellt. Denn in dieſer
letzten iſt geradezu von einem Fall
wiſſentlicher Zahlung aus Achtung
gegen den Willen des Verſtorbe-
nen die Rede. Der Inhalt bei-
der Stellen hat alſo gar keine
Ähnlichkeit.
(g) Mühlenbruch S. 430.
431.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0471" n="459"/><fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
ausge&#x017F;prochenen Grundes, der ja auf jedes andere Inde-<lb/>
bitum völlig eben &#x017F;o paßt. Was &#x017F;oll nun hier die Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enspflicht die keine <hi rendition="#aq">naturalis obligatio</hi> erzeugt? Sie<lb/>
könnte nur erheblich &#x017F;eyn als Beweggrund der Auszahlung;<lb/>
dann waren die Erben wegen ihres Edelmuths zu loben,<lb/>
nicht als <hi rendition="#aq">stulti</hi> zu &#x017F;chelten: davon al&#x017F;o war im vorliegen-<lb/>
den Fall gar nicht die Rede, &#x017F;ondern vielmehr von einem<lb/>
ganz entgegenge&#x017F;etzten Beweggrund, dem Rechtsirrthum <note place="foot" n="(f)">Darum i&#x017F;t es denn auch<lb/>
völlig unrichtig, wenn <hi rendition="#g">Mühlen-<lb/>
bruch</hi> a. a. O. mit <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 9 § 5 <hi rendition="#i">h.<lb/>
t.</hi></hi> die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 2 <hi rendition="#i">C. de fideic.</hi></hi> (6. 42.)<lb/>
zu&#x017F;ammen&#x017F;tellt. Denn in die&#x017F;er<lb/>
letzten i&#x017F;t geradezu von einem Fall<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;entlicher Zahlung aus Achtung<lb/>
gegen den Willen des Ver&#x017F;torbe-<lb/>
nen die Rede. Der Inhalt bei-<lb/>
der Stellen hat al&#x017F;o gar keine<lb/>
Ähnlichkeit.</note>.<lb/>
Die ganze von Mühlenbruch zur Rettung &#x017F;einer Meynung<lb/>
ver&#x017F;uchte Erklärung i&#x017F;t al&#x017F;o der Stelle völlig aufgezwun-<lb/>
gen. Und die&#x017F;e Erklärung nun i&#x017F;t es zugleich, die er zur<lb/>
Fiction eines Rechtsfalls benutzt, der ur&#x017F;prünglich in der<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 10 <hi rendition="#i">C. h. t.</hi></hi> ge&#x017F;tanden haben &#x017F;oll <note place="foot" n="(g)"><hi rendition="#g">Mühlenbruch</hi> S. 430.<lb/>
431.</note>. Wollte man ihm<lb/>
al&#x017F;o auch die&#x017F;e Fiction nach&#x017F;ehen, &#x017F;o würde damit für die<lb/>
Vertheidigung &#x017F;einer Sache gegen die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 10 <hi rendition="#i">C. h. t.</hi></hi> gar<lb/>
Nichts gewonnen &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Eine andere Stelle, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 2 <hi rendition="#i">C. si adv. sol.</hi></hi> (2. 33.) drückt<lb/>
un&#x017F;re Regel in folgender noch allgemeineren Anwendung aus:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">&#x201E;Indebito legato, licet per errorem juris a minore so-<lb/>
luto, repetitionem ei decerni, si necdum tempus, quo<lb/>
restitutionis tribuitur auxilium, excesserit, rationis est.&#x201D;</hi></hi><lb/>
Ein Minderjähriger hatte ein Legat, das er aus irgend<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0471] Irrthum und Unwiſſenheit. ausgeſprochenen Grundes, der ja auf jedes andere Inde- bitum völlig eben ſo paßt. Was ſoll nun hier die Ge- wiſſenspflicht die keine naturalis obligatio erzeugt? Sie könnte nur erheblich ſeyn als Beweggrund der Auszahlung; dann waren die Erben wegen ihres Edelmuths zu loben, nicht als stulti zu ſchelten: davon alſo war im vorliegen- den Fall gar nicht die Rede, ſondern vielmehr von einem ganz entgegengeſetzten Beweggrund, dem Rechtsirrthum (f). Die ganze von Mühlenbruch zur Rettung ſeiner Meynung verſuchte Erklärung iſt alſo der Stelle völlig aufgezwun- gen. Und dieſe Erklärung nun iſt es zugleich, die er zur Fiction eines Rechtsfalls benutzt, der urſprünglich in der L. 10 C. h. t. geſtanden haben ſoll (g). Wollte man ihm alſo auch dieſe Fiction nachſehen, ſo würde damit für die Vertheidigung ſeiner Sache gegen die L. 10 C. h. t. gar Nichts gewonnen ſeyn. Eine andere Stelle, L. 2 C. si adv. sol. (2. 33.) drückt unſre Regel in folgender noch allgemeineren Anwendung aus: „Indebito legato, licet per errorem juris a minore so- luto, repetitionem ei decerni, si necdum tempus, quo restitutionis tribuitur auxilium, excesserit, rationis est.” Ein Minderjähriger hatte ein Legat, das er aus irgend (f) Darum iſt es denn auch völlig unrichtig, wenn Mühlen- bruch a. a. O. mit L. 9 § 5 h. t. die L. 2 C. de fideic. (6. 42.) zuſammenſtellt. Denn in dieſer letzten iſt geradezu von einem Fall wiſſentlicher Zahlung aus Achtung gegen den Willen des Verſtorbe- nen die Rede. Der Inhalt bei- der Stellen hat alſo gar keine Ähnlichkeit. (g) Mühlenbruch S. 430. 431.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/471
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/471>, abgerufen am 21.11.2024.