Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.Irrthum und Unwissenheit. nur als Ausnahme für diejenigen einzelnen Fälle fortdau-ern, worin ihre Anwendung in früheren Gesetzen speciell erwähnt worden war (a). Von dieser Änderung des Rechts haben sich die sichtbarsten Spuren erhalten theils in In- terpolationen (b), theils in solchen Stellen, worin das frü- her ausgedehntere Recht nicht sowohl ausgesprochen, als unverkennbar vorausgesetzt ist (c). -- Nur für Eine Art (a) L. 13 C. h. t. "Ne passim liceat mulieribus omnes suos contractus retractare, in his quae praetermiserint vel igno- raverint: statuimus, si per ig- norantiam juris damnum ali- quod circa jus vel substantiam suam patiantur, in his tantum casibus, in quibus praeterita- rum legum auctoritas eis suf- fragatur, subveniri." Hätten wir diese Stelle allein, so könnte man annehmen, das Recht der Frauen sey von jeher so beschränkt ge- wesen, und die bisher geltende Rechtsregel sollte nicht abgeän- dert, sondern nur eingeschärft werden. Allein die Stellen in Note b. und c. machen die im Text dargestellte Erklärung nöthig. (b) L. 3 C. Th. de integri re- stit. (2. 16.) vom J. 414 "Etmulie- ribus, et minoribus in his, quae vel praetermiserint, vel ignora- verint, innumeris auctoritatibus constat esse consultum." Daß damit eine unbeschränkte Begün- stigung der Frauen in Beziehung auf die juris ignorantia gemeynt war, zeigt theils die unbestimmte Allgemeinheit des Ausdrucks, theils die Zusammenstellung mit den Minderjährigen, deren Recht oh- nehin unzweifelhaft ist. Dieselbe Stelle nun lautet im Justiniani- schen Codex (L. 8 C. de in int. rest. min. 2. 22.) wörtlich eben so, nur mit Weglassung der drey ersten Worte (Et mulieribus et), wobey die Absicht unverkennbar ist, dieses Recht der Frauen nicht mehr gelten zu lassen. -- Eine gleiche Interpolation, nur durch Zusetzen anstatt durch Weglassen, findet sich in L. 9 pr. h. t. (Num. XXX. Note c), wo die Worte in quibusdam causis ganz im Sinn der Constitution des K. Leo, ein- geschoben sind. (c) L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39.) sagt, bey Einführung der dreyßigjährigen Klagverjährung: non sexus fragilitate, non ab- sentia, non militia contra hanc legem defendenda (s. o. Num. XXVII.) welches offenbar voraus- setzt, daß die hier zusammenge- stellten Personen gegen die bis- her bekannten kürzeren Verjäh- rungen Restitution haben konnten, weil es außerdem überflüssig war, diese Restitution für die neu ein- III. 28
Irrthum und Unwiſſenheit. nur als Ausnahme für diejenigen einzelnen Fälle fortdau-ern, worin ihre Anwendung in früheren Geſetzen ſpeciell erwähnt worden war (a). Von dieſer Änderung des Rechts haben ſich die ſichtbarſten Spuren erhalten theils in In- terpolationen (b), theils in ſolchen Stellen, worin das frü- her ausgedehntere Recht nicht ſowohl ausgeſprochen, als unverkennbar vorausgeſetzt iſt (c). — Nur für Eine Art (a) L. 13 C. h. t. „Ne passim liceat mulieribus omnes suos contractus retractare, in his quae praetermiserint vel igno- raverint: statuimus, si per ig- norantiam juris damnum ali- quod circa jus vel substantiam suam patiantur, in his tantum casibus, in quibus praeterita- rum legum auctoritas eis suf- fragatur, subveniri.” Hätten wir dieſe Stelle allein, ſo könnte man annehmen, das Recht der Frauen ſey von jeher ſo beſchränkt ge- weſen, und die bisher geltende Rechtsregel ſollte nicht abgeän- dert, ſondern nur eingeſchärft werden. Allein die Stellen in Note b. und c. machen die im Text dargeſtellte Erklärung nöthig. (b) L. 3 C. Th. de integri re- stit. (2. 16.) vom J. 414 „Etmulie- ribus, et minoribus in his, quae vel praetermiserint, vel ignora- verint, innumeris auctoritatibus constat esse consultum.” Daß damit eine unbeſchränkte Begün- ſtigung der Frauen in Beziehung auf die juris ignorantia gemeynt war, zeigt theils die unbeſtimmte Allgemeinheit des Ausdrucks, theils die Zuſammenſtellung mit den Minderjährigen, deren Recht oh- nehin unzweifelhaft iſt. Dieſelbe Stelle nun lautet im Juſtiniani- ſchen Codex (L. 8 C. de in int. rest. min. 2. 22.) wörtlich eben ſo, nur mit Weglaſſung der drey erſten Worte (Et mulieribus et), wobey die Abſicht unverkennbar iſt, dieſes Recht der Frauen nicht mehr gelten zu laſſen. — Eine gleiche Interpolation, nur durch Zuſetzen anſtatt durch Weglaſſen, findet ſich in L. 9 pr. h. t. (Num. XXX. Note c), wo die Worte in quibusdam causis ganz im Sinn der Conſtitution des K. Leo, ein- geſchoben ſind. (c) L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39.) ſagt, bey Einführung der dreyßigjährigen Klagverjährung: non sexus fragilitate, non ab- sentia, non militia contra hanc legem defendenda (ſ. o. Num. XXVII.) welches offenbar voraus- ſetzt, daß die hier zuſammenge- ſtellten Perſonen gegen die bis- her bekannten kürzeren Verjäh- rungen Reſtitution haben konnten, weil es außerdem überflüſſig war, dieſe Reſtitution für die neu ein- III. 28
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Irrthum und Unwiſſenheit.
nur als Ausnahme für diejenigen einzelnen Fälle fortdau-
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erwähnt worden war (a). Von dieſer Änderung des Rechts
haben ſich die ſichtbarſten Spuren erhalten theils in In-
terpolationen (b), theils in ſolchen Stellen, worin das frü-
her ausgedehntere Recht nicht ſowohl ausgeſprochen, als
unverkennbar vorausgeſetzt iſt (c). — Nur für Eine Art
(a) L. 13 C. h. t. „Ne passim
liceat mulieribus omnes suos
contractus retractare, in his
quae praetermiserint vel igno-
raverint: statuimus, si per ig-
norantiam juris damnum ali-
quod circa jus vel substantiam
suam patiantur, in his tantum
casibus, in quibus praeterita-
rum legum auctoritas eis suf-
fragatur, subveniri.” Hätten wir
dieſe Stelle allein, ſo könnte man
annehmen, das Recht der Frauen
ſey von jeher ſo beſchränkt ge-
weſen, und die bisher geltende
Rechtsregel ſollte nicht abgeän-
dert, ſondern nur eingeſchärft
werden. Allein die Stellen in
Note b. und c. machen die im
Text dargeſtellte Erklärung nöthig.
(b) L. 3 C. Th. de integri re-
stit. (2. 16.) vom J. 414 „Etmulie-
ribus, et minoribus in his, quae
vel praetermiserint, vel ignora-
verint, innumeris auctoritatibus
constat esse consultum.” Daß
damit eine unbeſchränkte Begün-
ſtigung der Frauen in Beziehung
auf die juris ignorantia gemeynt
war, zeigt theils die unbeſtimmte
Allgemeinheit des Ausdrucks, theils
die Zuſammenſtellung mit den
Minderjährigen, deren Recht oh-
nehin unzweifelhaft iſt. Dieſelbe
Stelle nun lautet im Juſtiniani-
ſchen Codex (L. 8 C. de in int.
rest. min. 2. 22.) wörtlich eben
ſo, nur mit Weglaſſung der drey
erſten Worte (Et mulieribus et),
wobey die Abſicht unverkennbar
iſt, dieſes Recht der Frauen nicht
mehr gelten zu laſſen. — Eine
gleiche Interpolation, nur durch
Zuſetzen anſtatt durch Weglaſſen,
findet ſich in L. 9 pr. h. t. (Num.
XXX. Note c), wo die Worte in
quibusdam causis ganz im Sinn
der Conſtitution des K. Leo, ein-
geſchoben ſind.
(c) L. 3 C. de praescr. XXX.
(7. 39.) ſagt, bey Einführung der
dreyßigjährigen Klagverjährung:
non sexus fragilitate, non ab-
sentia, non militia contra hanc
legem defendenda (ſ. o. Num.
XXVII.) welches offenbar voraus-
ſetzt, daß die hier zuſammenge-
ſtellten Perſonen gegen die bis-
her bekannten kürzeren Verjäh-
rungen Reſtitution haben konnten,
weil es außerdem überflüſſig war,
dieſe Reſtitution für die neu ein-
III. 28
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Zitationshilfe: | Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/445>, abgerufen am 24.07.2024. |