Handlung selbst ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem Vermögen abzumessen ist. Gerade der Mangel eines sol- chen sicheren Zeitpunkts ist es, wodurch jenes angebliche Princip für die Lehre vom Irrthum so unbrauchbar für die Anwendung wird.
Diese letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu einer bestimmteren Behauptung über die ursprüngliche Ge- stalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie- gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entsteht da- durch, daß Papinian eine erschöpfende Klassification aller möglichen Rechtsereignisse aufstellen zu wollen scheint, aus welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen sey oder nicht. In dieser Gestalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu anerkannt unrichtigen, theils zu schwankenden, in beiden Fällen also zu unbrauchbaren Resultaten. In der That aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt, sondern nur von dem Irrthum der Frauen gesprochen. Diese hatten zu seiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt der Irrthum schützte, auch den Rechtsirrthum für sich gel- tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen- kungen, d. h. der Geschäfte, die uns nicht etwa blos be- reichern (welches bey sehr vielen Geschäften nach Einer Seite hin geschieht), sondern wobey diese einseitige Berei- cherung die bestimmte Absicht beider zusammen wirkenden Personen ist. In diesem Zusammenhang hatte der von
Irrthum und Unwiſſenheit.
Handlung ſelbſt ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem Vermögen abzumeſſen iſt. Gerade der Mangel eines ſol- chen ſicheren Zeitpunkts iſt es, wodurch jenes angebliche Princip für die Lehre vom Irrthum ſo unbrauchbar für die Anwendung wird.
Dieſe letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu einer beſtimmteren Behauptung über die urſprüngliche Ge- ſtalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie- gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entſteht da- durch, daß Papinian eine erſchöpfende Klaſſification aller möglichen Rechtsereigniſſe aufſtellen zu wollen ſcheint, aus welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen ſey oder nicht. In dieſer Geſtalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu anerkannt unrichtigen, theils zu ſchwankenden, in beiden Fällen alſo zu unbrauchbaren Reſultaten. In der That aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt, ſondern nur von dem Irrthum der Frauen geſprochen. Dieſe hatten zu ſeiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt der Irrthum ſchützte, auch den Rechtsirrthum für ſich gel- tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen- kungen, d. h. der Geſchäfte, die uns nicht etwa blos be- reichern (welches bey ſehr vielen Geſchäften nach Einer Seite hin geſchieht), ſondern wobey dieſe einſeitige Berei- cherung die beſtimmte Abſicht beider zuſammen wirkenden Perſonen iſt. In dieſem Zuſammenhang hatte der von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0363"n="351"/><fwplace="top"type="header">Irrthum und Unwiſſenheit.</fw><lb/>
Handlung ſelbſt ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in<lb/>
Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem<lb/>
Vermögen abzumeſſen iſt. Gerade der Mangel eines ſol-<lb/>
chen ſicheren Zeitpunkts iſt es, wodurch jenes angebliche<lb/>
Princip für die Lehre vom Irrthum ſo unbrauchbar für<lb/>
die Anwendung wird.</p><lb/><p>Dieſe letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu<lb/>
einer beſtimmteren Behauptung über die urſprüngliche Ge-<lb/>ſtalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie-<lb/>
gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entſteht da-<lb/>
durch, daß Papinian eine erſchöpfende Klaſſification aller<lb/>
möglichen Rechtsereigniſſe aufſtellen zu wollen ſcheint, aus<lb/>
welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums<lb/>
abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen ſey oder nicht.<lb/>
In dieſer Geſtalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu<lb/>
anerkannt unrichtigen, theils zu ſchwankenden, in beiden<lb/>
Fällen alſo zu unbrauchbaren Reſultaten. In der That<lb/>
aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt,<lb/>ſondern nur von dem Irrthum der Frauen geſprochen.<lb/>
Dieſe hatten zu ſeiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt<lb/>
der Irrthum ſchützte, auch den Rechtsirrthum für ſich gel-<lb/>
tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen-<lb/>
kungen, d. h. der Geſchäfte, die uns nicht etwa blos be-<lb/>
reichern (welches bey ſehr vielen Geſchäften nach Einer<lb/>
Seite hin geſchieht), ſondern wobey dieſe einſeitige Berei-<lb/>
cherung die beſtimmte Abſicht beider zuſammen wirkenden<lb/>
Perſonen iſt. In dieſem Zuſammenhang hatte der von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0363]
Irrthum und Unwiſſenheit.
Handlung ſelbſt ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in
Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem
Vermögen abzumeſſen iſt. Gerade der Mangel eines ſol-
chen ſicheren Zeitpunkts iſt es, wodurch jenes angebliche
Princip für die Lehre vom Irrthum ſo unbrauchbar für
die Anwendung wird.
Dieſe letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu
einer beſtimmteren Behauptung über die urſprüngliche Ge-
ſtalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie-
gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entſteht da-
durch, daß Papinian eine erſchöpfende Klaſſification aller
möglichen Rechtsereigniſſe aufſtellen zu wollen ſcheint, aus
welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums
abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen ſey oder nicht.
In dieſer Geſtalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu
anerkannt unrichtigen, theils zu ſchwankenden, in beiden
Fällen alſo zu unbrauchbaren Reſultaten. In der That
aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt,
ſondern nur von dem Irrthum der Frauen geſprochen.
Dieſe hatten zu ſeiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt
der Irrthum ſchützte, auch den Rechtsirrthum für ſich gel-
tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen-
kungen, d. h. der Geſchäfte, die uns nicht etwa blos be-
reichern (welches bey ſehr vielen Geſchäften nach Einer
Seite hin geſchieht), ſondern wobey dieſe einſeitige Berei-
cherung die beſtimmte Abſicht beider zuſammen wirkenden
Perſonen iſt. In dieſem Zuſammenhang hatte der von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/363>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.