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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
klärung wird seit dem Mittelalter hauptsächlich durch die
eigenhändige Unterschrift des eigenen Namens unter irgend
eine, von dem Unterschreibenden oder einem Anderen her-
rührende Schrift bewirkt, wodurch er den Inhalt dieser
Schrift für seinen Gedanken und Willen erklärt. Wir
sind an diese Form, in Briefen, wie in Urkunden über
Rechtsgeschäfte, so gewöhnt, daß gewiß Viele glauben, sie
verstehe sich von selbst, und es könne darin gar nicht an-
ders seyn; den Römern aber war diese Form fremd, und
sie ist bey ihnen erst spät und in sehr beschränkten Anwen-
dungen eingeführt worden.

Die in Worten enthaltene ausdrückliche Willenserklä-
rung ist, eben so wie die Gesetzgebung, einer Auslegung
empfänglich, und oft bedürftig (f). Die allgemeinsten Prin-
cipien der Gesetzauslegung (§ 32--37) kommen auch hier
insofern zur Anwendung, als in beiden Fällen der Zweck
nur darauf gerichtet seyn kann, den in dem todten Buch-
staben niedergelegten lebendigen Gedanken vor unsrer Be-
trachtung wieder entstehen zu lassen. Auch darin kommen
beide Fälle überein, daß die Römischen Juristen für die
Behandlung derselben zwar eine Fülle belehrender Bey-

(f) Ein Unterschied zwischen
beiden liegt allerdings darin, daß
das Gesetz als einzelnes Element
des in dem positiven Recht ent-
haltenen großen Ganzen weit all-
gemeiner Gegenstand einer kunst-
mäßigen Behandlung seyn kann
und muß, als das völlig verein-
zelt stehende Rechtsgeschäft. Von
diesem kann man daher mit mehr
Wahrheit sagen, als von dem
Gesetz, daß es nur unter Vor-
aussetzung der Dunkelheit, also
eines zufälligen und mangelhaften
Zustandes, der Auslegung bedarf
(vgl. § 50).

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
klärung wird ſeit dem Mittelalter hauptſächlich durch die
eigenhändige Unterſchrift des eigenen Namens unter irgend
eine, von dem Unterſchreibenden oder einem Anderen her-
rührende Schrift bewirkt, wodurch er den Inhalt dieſer
Schrift für ſeinen Gedanken und Willen erklärt. Wir
ſind an dieſe Form, in Briefen, wie in Urkunden über
Rechtsgeſchäfte, ſo gewöhnt, daß gewiß Viele glauben, ſie
verſtehe ſich von ſelbſt, und es könne darin gar nicht an-
ders ſeyn; den Römern aber war dieſe Form fremd, und
ſie iſt bey ihnen erſt ſpät und in ſehr beſchränkten Anwen-
dungen eingeführt worden.

Die in Worten enthaltene ausdrückliche Willenserklä-
rung iſt, eben ſo wie die Geſetzgebung, einer Auslegung
empfänglich, und oft bedürftig (f). Die allgemeinſten Prin-
cipien der Geſetzauslegung (§ 32—37) kommen auch hier
inſofern zur Anwendung, als in beiden Fällen der Zweck
nur darauf gerichtet ſeyn kann, den in dem todten Buch-
ſtaben niedergelegten lebendigen Gedanken vor unſrer Be-
trachtung wieder entſtehen zu laſſen. Auch darin kommen
beide Fälle überein, daß die Römiſchen Juriſten für die
Behandlung derſelben zwar eine Fülle belehrender Bey-

(f) Ein Unterſchied zwiſchen
beiden liegt allerdings darin, daß
das Geſetz als einzelnes Element
des in dem poſitiven Recht ent-
haltenen großen Ganzen weit all-
gemeiner Gegenſtand einer kunſt-
mäßigen Behandlung ſeyn kann
und muß, als das völlig verein-
zelt ſtehende Rechtsgeſchäft. Von
dieſem kann man daher mit mehr
Wahrheit ſagen, als von dem
Geſetz, daß es nur unter Vor-
ausſetzung der Dunkelheit, alſo
eines zufälligen und mangelhaften
Zuſtandes, der Auslegung bedarf
(vgl. § 50).
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[244/0256] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. klärung wird ſeit dem Mittelalter hauptſächlich durch die eigenhändige Unterſchrift des eigenen Namens unter irgend eine, von dem Unterſchreibenden oder einem Anderen her- rührende Schrift bewirkt, wodurch er den Inhalt dieſer Schrift für ſeinen Gedanken und Willen erklärt. Wir ſind an dieſe Form, in Briefen, wie in Urkunden über Rechtsgeſchäfte, ſo gewöhnt, daß gewiß Viele glauben, ſie verſtehe ſich von ſelbſt, und es könne darin gar nicht an- ders ſeyn; den Römern aber war dieſe Form fremd, und ſie iſt bey ihnen erſt ſpät und in ſehr beſchränkten Anwen- dungen eingeführt worden. Die in Worten enthaltene ausdrückliche Willenserklä- rung iſt, eben ſo wie die Geſetzgebung, einer Auslegung empfänglich, und oft bedürftig (f). Die allgemeinſten Prin- cipien der Geſetzauslegung (§ 32—37) kommen auch hier inſofern zur Anwendung, als in beiden Fällen der Zweck nur darauf gerichtet ſeyn kann, den in dem todten Buch- ſtaben niedergelegten lebendigen Gedanken vor unſrer Be- trachtung wieder entſtehen zu laſſen. Auch darin kommen beide Fälle überein, daß die Römiſchen Juriſten für die Behandlung derſelben zwar eine Fülle belehrender Bey- (f) Ein Unterſchied zwiſchen beiden liegt allerdings darin, daß das Geſetz als einzelnes Element des in dem poſitiven Recht ent- haltenen großen Ganzen weit all- gemeiner Gegenſtand einer kunſt- mäßigen Behandlung ſeyn kann und muß, als das völlig verein- zelt ſtehende Rechtsgeſchäft. Von dieſem kann man daher mit mehr Wahrheit ſagen, als von dem Geſetz, daß es nur unter Vor- ausſetzung der Dunkelheit, alſo eines zufälligen und mangelhaften Zuſtandes, der Auslegung bedarf (vgl. § 50).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/256>, abgerufen am 23.11.2024.